04.05.2015
Neue Hypothese zum Entstehen von Autismus
Autismus-Spektrum-Störungen haben massiv zugenommen. Noch unklar sind dabei die Ursachen der Störung selber sowie die Gründe für die Zunahme. Unter der Leitung von Prof. Beat Schwaller der Universität Freiburg hat eine internationale Forschungsgruppe nun das Tiermodell eines Autismus-Phänotypen charakterisiert, das dazu dienen soll, den Ursachen der Autismus-Störung auf die Spur zu kommen.
Getty Images
Diagnosestellungen zu Autismus haben in den letzten Jahren in alarmierender Weise zugenommen: Mehr als eines von hundert Kindern zeigt zumindest milde Symptome von Autismus, wobei weitgehend unklar ist, was dieser Zunahme zugrunde liegt. Sogenannte Autismus-Spektrum-Störungen werden als angeborene Entwicklungsstörungen des zentralen Nervensystems angesehen, die sich auf Verhaltensebene als Schwäche in sozialer Interaktion und Kommunikation, sowie in stereotypen Verhaltensweisen äussern. Erste Symptome zeigen sich bereits im frühen Kindesalter; die Störung selber ist unheilbar.
Noch weitgehend unbekannt sind bis heute die Ursachen, die der Autismus-Störung zugrunde liegen. Mit Sicherheit sind genetische Faktoren beteiligt, aber auch Umwelteinflüsse (Risikofaktoren) könnten die Entstehung von Autismus begünstigen. Bei vielen Autismuspatienten konnten Mutationen nachgewiesen werden in Genen, deren Genprodukte (Proteine) bei der Übertragung von Information zwischen zwei Nervenzellen eine Rolle spielen. Die Anzahl der identifizierten Gene, die Mutationen zeigen, ist hoch (über hundert); eine Mutation bei einem bestimmten Gen jedoch ist nur bei einem winzigen Teil der Patienten vorhanden. Daraus stellt sich die Frage, ob es allenfalls einen übergeordneten Mechanismus gibt, der den Krankheitsphänotypen erklären könnte.
Gemeinsamer Nenner
Viele Studien weisen darauf hin, dass Veränderungen in einer Subpopulation von hemmenden Nervenzellen, die das kalziumbindende Protein Parvalbumin produzieren, vermutlich ursächlich zum Autismus-Phänotyp beitragen. Obwohl viele Genmutationen direkt oder indirekt einen Einfluss auf die Funktion dieser Parvalbumin enthaltenden Nervenzellen haben, wurde bis vor kurzem nie die Frage gestellt, ob das Protein Parvalbumin selber irgendwie am Autismus-Phänotyp beteiligt sein könnte.
Untersuchungen an sogenannten Parvalbumin Knockout-Mäusen, d.h. an Tieren, die kein Parvalbumin produzieren können haben nun gezeigt, dass das Fehlen von Parvalbumin tatsächlich zu einem Autismus-ähnlichen Phänotyp dieser Mäuse führt. Die Knockout-Mäuse zeigen stark verminderte soziale Interaktionen, ein Defizit in der Kommunikation und sie haben grosse Mühe, ein erlerntes Verhalten aufzugeben oder umzulernen, selbst wenn es nicht mehr erfolgsversprechend ist. Dieses Verhalten zeigt sich nicht nur bei Mäusen ohne Parvalbumin, sondern auch bei heterozygoten Tieren, d.h. bei Mäusen, bei denen die Proteinexpression auf die Hälfte reduziert ist. Die Knockout-Mäuse zeigen auch morphologische Veränderungen des Gehirns, wie sie bei einem Teil der Autismus-Patienten beobachtet werden, wie etwa eine temporäre Vergrösserung des Volumens des Grosshirns während der Pubertät.
Bei einigen Mausstämmen mit Mutationen von „Autismus-Genen“ wurde bereits früher eine Abnahme der Parvalbumin exprimierenden Neuronen beschrieben. So stellten die Freiburger Forscher die Hypothese auf, dass vielleicht auch bei diesen Mutanten das Fehlen oder Herunterregulieren von Parvalbumin – und nicht wie in den früheren Studien angenommen, das Fehlen dieser Neuronen – zum Verhaltens-Phänotyp führen könnte. Diese Abnahme von Parvalbumin könnte, zumindest bei einigen der beschriebenen mit Autismus assoziierten Genmutationen, die gemeinsame zu Grunde liegende Ursache für Autismus bilden. Das Testen dieser Hypothese gehört zu den nächsten Schritten für die Mitarbeiter der Forschungsgruppe von Prof. Beat Schwaller und den beteiligten internationalen Partnern.
Die Resultate dieser Arbeiten entstanden in Zusammenarbeit mit den Gruppen von Dr. Markus Wöhr der Philipps-Universität in Marburg, Prof. Serge N. Schiffmann der Freien Universität Brüssel (ULB), Dr. Herman Moreno der State University of New York (SUNY) und Prof. David Wolfer der Universität Zürich und wurden kürzlich in der Zeitschrift Translational Psychiatry, welche zur Nature Publishing Group gehört, veröffentlicht.
Link zur Publikation: Lack of parvalbumin in mice leads to behavioral deficits relevant to all human autism core symptoms and related neural morphofunctional abnormalities
Kontakt: Prof. Beat Schwaller, Departement für Medizin, Universität Freiburg, 026 300 85 08, beat.schwaller@unifr.ch