30.09.2015

Verschwörungstheorien: Nichts geschieht aus Zufall, oder?


Verschwörungstheorien haben in den letzten Jahren einen beachtlichen Platz in den öffentlichen Diskussionen eingenommen. Zur Erklärung des Phänomens der generellen Verdächtigungen wird oft die Schwarz-Weiss-Sicht der Anhänger von Verschwörungstheorien angeführt. Diese Annahme wird nun durch die Arbeit einer Forschungsgruppe der Universitäten Freiburg und Paris Saint-Denis in Frage gestellt.




ZVG

Jedes grössere Ereignis wird heutzutage von einer oder mehreren „alternativen“ Erklärungen begleitet, welche der „offiziellen“ Version widersprechen und auf (vermeintliche oder reale) Unstimmigkeiten verweisen, welche als Indiz für versteckte und betrügerische Motive gedeutet werden. Studien aus verschiedenen Ländern, so auch der Universität Freiburg, haben bereits verschiedene soziologische und psychologische Abläufe in einen Zusammenhang mit der Mentalität von Anhängern von Verschwörungstheorien gestellt: ideologische Polarisierung, Vertrauensbruch gegenüber den „Eliten“, paranoide Tendenzen, einseitige und verkürzte Gedankengänge, Ängstlichkeit gegenüber komplexen Situationen... Kommentatoren solcher Studien haben die oft wiederholte These aufgestellt, dass Verschwörungstheoretiker nach einem sehr einfachen Denk-Schema funktionieren (einer Heuristik), die mit der Aussage „Nichts geschieht aus Zufall“ zusammengefasst werden könnte. Diese Haltung würde zu Fragen führen wie „Wer profitiert vom Verbrechen?“ und anfällig für Verschwörungstheorien machen.

Diese These wurde aber noch nie direkt überprüft. Drei Forscher der Universitäten Freiburg und Paris Saint-Denis haben nun ihre Expertise in kognitiver, sozialer und mathematischer Psychologie gebündelt, um einen einfachen Test durchzuführen: Wenn die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien wirklich an die verallgemeinernde Heuristik „Nichts geschieht aus Zufall“ gebunden ist, müsste sich dies in einer bestimmten Auffassung zum Zufall ausdrücken. Beispielsweise müsste dann eine Serie von Münzwürfen („Kopf oder Zahl“) jemandem, der an Verschwörungstheorien glaubt, als weniger zufällig erscheinen, als jemandem, der nicht daran glaubt.

Komplizierter als gedacht

In drei Experimenten mussten über 400 Teilnehmende einschätzen, ob binäre Sequenzen gleicher Länge – beispielsweise « XXXXXXXXXOOX » oder « XOOXOXOOOOXX » - eher ein Zufallsprodukt oder das Resultat eines bestimmten und gewollten Prozesses ist. Bei den genannten Beispielen wird ersichtlich, dass die erste Sequenz weniger zufällig erscheint als die zweite. Dies ist eine mathematisch berechtigte Annahme, die eine objektive Basis für das Zufallskonzept bietet. Parallel dazu mussten die Probanden einen Fragebogen ausfüllen, mit denen ihre Zustimmung zu verschiedenen Graden von Verschwörungstheorien gemessen wurde: allgemeines Misstrauen gegenüber Autoritäten, Anhängerschaft an bestimmte „klassische“ Verschwörungstheorien (11. September, Lady Diana, Attentat auf Kennedy usw.) oder Sensibilität für interpersonelle Verschwörungen (z.B. Komplott von Arbeitskollegen gegen sich selber).

Die in der Fachzeitschrift Psychological Science veröffentlichten Resultate widersprechen der Vorstellung, dass für Anhänger von Verschwörungstheorien „nichts aus Zufall geschieht“. Sie weisen viel mehr darauf hin, dass keinerlei Zusammenhang besteht zwischen der Fähigkeit, etwas als Zufall zu erkennen und dieser „Mentalität“. Auch wenn sie verführerisch und praktisch klingt, so muss diese Vorstellung überholt werden und die Forschung muss eine differenzierte Erklärung suchen. Das bringt die drei Forscher zu folgendem Zwischenfazit: „Angesichts der Vertrauenskrise gegenüber Politik, Medien und Experten und einer Tendenz zu einer stärkeren ideologischen Polarisierung durch ‚alternative’ Informationsflüsse ist es absolut wesentlich, die Vorgänge bei Verschwörungstheorien besser zu verstehen. Unsere Studie zeigt auf, dass die Motivationen bei Anhängern von Verschwörungstheorien auf kognitiver Ebene viel komplexer sind als bisher angenommen.“

Publikation:
Sebastian Dieguez, Pascal Wagner-Egger, Nicolas Gauvrit, «“Nothing happens by accident”, or does it? A low prior for randomness does not explain belief in conspiracy theories», Psychological Science.
http://pss.sagepub.com/content/early/2015/09/19/0956797615598740.abstract

Kontakt:
Sebastian Dieguez, Labor für Kognitive- und Neurowissenschaften, Departement für Medizin, 026 300 85 35, sebastian.dieguez@unifr.ch

Pascal Wagner-Egger, Departement für Psychologie, 026 300 76 25, pascal.wagner@unifr.ch