Medienqualitätsrating 202018.09.2020
Sinkende Vielfalt in der Berichterstattung
Doppelsieg für die NZZ: Neue Zürcher Zeitung und die NZZ am Sonntag liegen in ihrer Vergleichsgruppe je an der Spitze. Die Radiosendung «Echo der Zeit» erreicht erneut die beste Position im Gesamtranking. lematin.ch heisst der Gruppensieger bei den Boulevard- und Pendlermedien, Aufsteigerin des Jahres ist blick.ch. Im Gesamtbild zeigt sich, dass in der Schweiz die Medienberichterstattung an Vielfalt verliert. Dies geht aus dem Medienqualitätsrating 2020 hervor unter Beteiligung der Universität Freiburg.
Die Entwicklung der sinkenden Vielfalt wird durch redaktionelle Verbundsysteme verschärft: Immer weniger Redaktionen entscheiden darüber, welche Themen, Meinungen und Organisationen mediale Aufmerksamkeit erhalten. Diese zunehmende inhaltliche Medienkonzentration ist problematisch für Demokratie und Gesellschaft.
International einmalige Qualitätsmessung
Die dritte Ausgabe des Medienqualitätsrating untersucht die Qualität der 49 wichtigsten Informationsmedien der Schweiz anhand wissenschaftlicher Methoden. Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich misst die Berichterstattungsqualität mittels eines inhaltsanalytischen Verfahrens. An der Universität Freiburg und der Hochschule Luzern wird die Qualitätswahrnehmung mit einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung gemessen. Diese zweifache Medienqualitätsmessung ist national wie international einmalig.
Das Ranking erfolgt gesondert für vier Mediengruppen mit vergleichbarer publizistischer Ausrichtung. Das Nachrichtenmagazin «Echo der Zeit» von Radio SRF führt erneut die Bestenliste der Informationsmedien an. Es setzt über alle untersuchten Medientitel hinweg - sowohl in der Inhaltsanalyse wie auch in der Publikumsbefragung – den Massstab punkto Medienqualität in der Schweiz. Die gedruckte NZZ führt die Gruppe der Tages- und Onlinezeitungen an, die NZZ am Sonntag ist innerhalb der Sonntagszeitungen und Magazine am besten platziert. Unter den Boulevard- und Pendlerformaten behält lematin.ch seine Spitzenposition bei. Die Newssite blick.ch ist die Aufsteigerin des Medienqualitätsratings 2020, da sie von allen Informationsmedien gegenüber 2018 am meisten Qualitätspunkte gewonnen hat.
Boulevard und Online gewinnen überraschend deutlich Qualitätspunkte
Qualitätsverbesserungen können bei den Boulevard- und Pendlerzeitungen ausgemacht werden. Sechs von acht Medientiteln dieser Gruppe konnten ihre Qualität steigern. Die zwei Onlineangebote lematin.ch und watson.ch führen die Gruppe an. Den grössten Sprung nach vorne hat die Newssite blick.ch geschafft. Sie legt sowohl in der Berichterstattungsqualität als auch bei der Publikumswahrnehmung um je 6 Punkte zu.
In den Vorjahren war die Qualität der Online-Newssites in der Regel tiefer als jene der Printausgaben. Das Rating 2020 zeigt einen umgekehrten Trend. Die Qualität verschiedener Online-Newssites verbessert sich teilweise deutlich. Die Online-Ausgaben der Berner Zeitung oder des Blicks überflügeln die Werte der gedruckten Ausgaben. Dies bestätigt, dass es trotz Aktualitätsdruck möglich ist, im Onlinebereich qualitativ hochwertigen Journalismus zu produzieren.
Sonntagszeitungen und Magazine weisen eine vergleichsweise hohe Qualität auf, haben aber gegenüber 2018 durchwegs an Qualitätspunkten verloren. Die Einbussen beschränken sich auf die gemessene Berichterstattungsqualität. Das Publikum schätzt die Qualität der Sonntagszeitungen nach wie vor ähnlich hoch ein. Die Ausnahme ist der SonntagsBlick, der zwar keinen Punktverlust verbuchen muss, jedoch weiterhin das Schlusslicht der Vergleichsgruppe bildet.
Bei 14 von 21 Tages- und Onlinezeitungen zeichnet sich über die letzten Jahre vor allem ein Verlust an Vielfalt ab. Vielfaltsverluste können vor allem bei Medien beobachtet werden, die in Verbundsysteme integriert sind und über Zentralredaktionen mit Inhalten versorgt werden.
Zunehmende inhaltliche Medienkonzentration als Folge von Verbundsystemen
Der Vielfaltsverlust wird durch die wachsende inhaltliche Medienkonzentration als Folge von Mehrfachverwertungen von Beiträgen in Verbundsystemen akzentuiert. Immer weniger Redaktionen entscheiden darüber, welche Themen, Meinungen, Personen und Organisationen Publizität erhalten. Dies ist für die demokratische Meinungsbildung problematisch. Auch für die Reputation von Organisationen wie Unternehmen oder Behörden bedeutet sie ein Risiko.
Eine für das Medienqualitätsrating 2020 durchgeführte Vertiefungsstudie zeigt eine zunehmende inhaltliche Medienkonzentration im Schweizer Pressemarkt. In nur zwei Jahren hat sich der Anteil der Mehrfachverwertungen, sogenannter «geteilte Beiträge», von 10% auf 21% erhöht. In der Berichterstattung zu nationalen Politikthemen beträgt der Anteil an geteilten Beiträgen 2019 bereits 41 Prozent. Treiber dieser Entwicklung sind die Verbundsysteme TX Group und CH Media.
In beiden Verbundsystemen ist der Anteil geteilter Beiträge von 2017 bis 2019 deutlich angestiegen – bei der TX Group von 16 % auf 37 %, bei CH Media von 12% auf 20 %. In beiden Verbundsystemen hat auch die Anzahl geteilter Leitartikel, Kommentare und Rezensionen im Zeitraum von 2017 bis 2019 deutlich zugenommen – bei der TX Group von 12 % auf 22 %, bei CH Media von 8 % auf 25 %.
Nicht von der inhaltlichen Medienkonzentration betroffen ist das Regional-Ressort. Dieses wird auch in Verbundsystemen von eigenständigen Redaktionen mit Inhalten versorgt. Jedoch ist in der Berichterstattung zu regionalen Themen, sowohl bei der TX Group als auch bei CH Media, eine Tendenz zur Boulevardisierung feststellbar. Der Anteil an Human-Interest-Themen legt zu, während insbesondere die regionale Politikberichterstattung an Bedeutung verliert.