Psycholinguistik22.08.2023
«Inklusive Sprache kenne ich nicht gut - aber ich kann sie nicht ausstehen!»
Dass inklusive Sprache die öffentliche Meinung polarisiert, ist bekannt. Nicht immer klar ist hingegen, warum genau ihre Anwendung mit Argwohn betrachtet wird. Eine wegweisende Studie der Einheit Psycholinguistik der Universität Freiburg stellte die Hypothese auf, dass sich die starken Vorbehalte gegenüber einer inklusiven Schreibweise durch mangelnde Kenntnis darüber erklären lassen. Und das scheint auch tatsächlich zu stimmen.
Mit einer inklusiven Schreibweise – écriture inclusive – wird bezweckt, die französische Sprache mithilfe von Feminisierungs- und Neutralisierungsstrategien zu entmännlichen. Ziel ist es, alle Geschlechter besser sichtbar zu machen und inklusiver zu behandeln und die Dominanz des Maskulinums in der französischen Sprache infrage zu stellen. Die heftige öffentliche Kontroverse, die dieses Werkzeug umgibt, ist allerdings allgegenwärtig – sowohl in den Medien als auch in politischen Debatten – und stösst in der Schweiz wie in anderen französischsprachigen Regionen entweder auf erbitterten Widerstand oder auf klare Zustimmung.
Warum gibt es so viele Vorbehalte?
Frühere Forschungen haben gezeigt, dass die politische Sensibilität einen Einfluss auf die Einstellung zu dieser Sprachpraxis haben kann. Linke Parteien benutzen inklusive Sprache eher häufiger, während konservative Parteien weniger geneigt dazu sind. Studien zeigen zudem, dass eine Verbindung zwischen sexistischen Einstellungen und der Meinung zu inklusiver Sprache besteht: Menschen mit sexistischen Einstellungen zeigen weniger Bereitschaft, dieses Werkzeug zu benutzen. In psycholinguistischen Forschungen wurde überdies beobachtet, dass die Entscheidung für inklusive Sprache von Gewohnheit und Zeit beeinflusst wird, was vermuten lässt, dass sie desto weniger Widerstand auslöst, je häufiger sie genutzt wird.
Kenntnis der inklusiven Sprache als Erklärung
Im Rahmen dieser neuen Studie wollte die Einheit Psycholinguistik der Universität Freiburg erkunden, welche Gründe hinter Vorbehalten gegen inklusive Sprache stehen, und zwar mit einem Fokus auf der sprachlichen oder historischen Kenntnis dieser Sprachpraxis sowie auf der Kenntnis des politischen Gewichts von Sprache. Zu diesem Zweck wurde eine Online-Befragung erstellt, mit deren Hilfe die Kenntnisse und Einstellungen der 252 Teilnehmenden zur inklusiven Sprache gemessen und die entsprechenden soziodemografischen Daten erfasst wurden. Die Ergebnisse bestätigen: Je weiter rechts sich eine Person auf dem politischen Spektrum befindet, desto weniger historische und sprachliche Kenntnisse hat sie über inklusives Schreiben. Zudem sind Menschen mit einer besseren historischen Kenntnis dieses Werkzeugs eher imstande, dessen politische Dimension wahrzunehmen. «Diese Arbeit bestätigt, dass unsere Einstellung zu inklusiver Sprache auch davon abhängt, wie viel wir darüber wissen: Je weniger wir sie kennen, desto weniger gefällt sie uns; je besser wir ihren Daseinsgrund und ihre Ziele kennen, desto grösser ist unsere Akzeptanz», so das Fazit von Tania Sauteur, einer Hauptautorin der Studie.
Praktische Implikationen
Die ermutigenden Ergebnisse dieser Studie zeigen, wie wichtig es ist, Menschen für die Grundlagen und Ziele der inklusiven Sprache zu sensibilisieren und sie darüber aufzuklären. Durch die Förderung eines vertieften Verständnisses dieser Sprachpraxis und die Sensibilisierung für die ihr zugrunde liegenden Motivationen können Vorbehalte abgeschwächt und positivere Einstellungen begünstigt werden. Solche Massnahmen helfen, inklusivere Kommunikationsumgebungen zu schaffen und einen positiven Sprachwandel zu fördern. In diesem Sinne ermutigen die Forschenden sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen nachdrücklich, inklusive Sprache bereits ab dem Schulalter als kraftvolles Werkzeug zur Förderung von Chancengleichheit und Inklusion auf dem Wege der Sprache anzusehen.
Literaturhinweis
Tania Sauteur, Pascal Gygax, Julia Tibblin, Lucie Escasain und Sayaka Sato, L’écriture inclusive, je ne connais pas très bien… mais je déteste!, GLAD!, Band 14, Juli 2023
Pascal Gygax, Sandrine Zufferey, et Ute Gabriel. Le cerveau pense-t-il au masculin? - Cerveau, langage et représentations sexistes. Éditions Le Robert, 2021