Gesundheit21.01.2025
Gleichgewichtstraining kann Alterserscheinungen mildern
Das Älterwerden wirkt sich oft negativ auf das Wohlbefinden aus: Schlechtere Schlafqualität, Beeinträchtigung der motorischen Kontrolle oder kognitive Störungen sind häufige Beschwerden. Erstmals konnte ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Yves-Alain Kuhn und Prof. Wolfgang Taube von der Universität Freiburg nachweisen, dass Gleichgewichtstraining dazu beitragen kann, eine der neurologischen Funktionsstörungen zu bekämpfen, die diesen Beschwerden zugrunde liegt.
Es ist bekannt, dass das Älterwerden eine Reihe von Beeinträchtigungen mit sich bringt, darunter eine Abnahme der Muskelkraft, nachlassende kognitive Fähigkeiten (Gedächtnis), eine Verschlechterung der Schlafqualität oder auch zunehmende Schwierigkeiten bei der Schmerzbewältigung. Diese Beschwerden, die die Lebensqualität mitunter stark beeinträchtigen, sind unter anderem zurückzuführen auf eine Fehlfunktion eines Neurotransmitters: der Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Die gute Nachricht: Gezielte körperliche Übungen können diese negative Entwicklung aufhalten. Dies haben Yves-Alain Kuhn, Assistenzdozent an der Fakultät für Naturwissenschaften und Medizin der Universität Freiburg, und seine Kollegen von deutschen Universitäten nachgewiesen. Die vielversprechenden Ergebnisse wurden kürzlich im The Journal of Physiology veröffentlicht.
Problem im Bremssystem
Unser Gehirn besteht aus Milliarden von Neuronen, die ständig miteinander kommunizieren. Ihre Aufgabe? Die Übertragung von Nachrichten über chemische Substanzen, bekannt als Neurotransmitter. Eben dieses Kommunikationssystem ermöglicht es uns beispielsweise, die Hand in wenigen Millisekunden von einer heissen Herdplatte zu entfernen. Die oben erwähnte Gamma-Aminobuttersäure (GABA) hat die Funktion, bestimmte Nervenimpulse zu dämpfen, damit sie nicht zu stark oder zu weit übertragen werden. Sie wirkt wie eine Art Bremse, die verhindert, dass das Gehirn mit übermässiger Aktivität überladen wird. Diese Bremsfunktion, die im motorischen Kortex aktiv ist, also dem Bereich des Gehirns, der Bewegungen steuert, wird als GABAerge intrakortikale Hemmung bezeichnet.
„Mit zunehmendem Alter funktioniert diese Hemmung weniger gut“, erklärt Yves-Alain Kuhn. „Dieser Funktionsverlust ist unter anderem für Gleichgewichtsstörungen und den Verlust der motorischen Kontrolle bei älteren Menschen verantwortlich. Interessanterweise ist diese Hemmung auch bei Kindern weniger ausgeprägt, was dazu führt, dass ihre Bewegungen beim Laufenlernen oft unkoordiniert sind. Die GABAerge Hemmung erreicht im Erwachsenenalter ihren Höhepunkt und nimmt dann allmählich wieder ab. Noch unklar war der Wissenschaft bisher, ob gezielte Interventionen diesen Rückgang verhindern oder verlangsamen könnten.“
Wirksame Übungen
Genau dieses Rätsel wollten die Forschenden unter der Leitung von Yves-Alain Kuhn lösen. Für ihre Studie teilten sie 40 Personen im Alter von 66 bis 81 Jahren in zwei Gruppen auf. Die erste Gruppe, bestehend aus 20 Senior_innen, absolvierte unter der Anleitung von Franziska Peier zweimal pro Woche einstündige Gleichgewichtstrainings, während die weiteren 20 Personen als Kontrollgruppe diente.
Die Teilnehmenden der ersten Gruppe führten zunehmend schwierigere Übungen durch, wie etwa das Gehen auf einer instabilen Oberfläche wie beispielsweise Kissen, der Gebrauch einer Gleichgewichtsplatte oder gar das Balancieren auf einer Slackline. Nach sechs Monaten stellten die Wissenschaftler_innen eine signifikante Verbesserung der intrakortikalen Hemmung (+16,5 %) sowie des Gleichgewichtsvermögens (+15 %) in der ersten Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe fest. „Wir konnten somit erstmals nachweisen, dass gesunde ältere Menschen aktiv gegen den altersbedingten Rückgang der intrakortikalen Hemmung vorgehen können – ein Prozess, der also keineswegs unausweichlich ist“, freut sich der Yves-Alain Kuhn. „Körperliche Aktivität kann ein wirksames Mittel sein, um das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittern wiederherzustellen – selbst in höherem Alter!“
Zukünftige Forschungen
Die Studie wurde gezielt im Kontext von Gleichgewichtstrainings durchgeführt. In einem weiteren Schritt wollen Yves-Alain Kuhn und seine Kollegen die Auswirkungen von Gleichgewichtstrainings auf andere Bereichen untersuchen, etwa im Zusammenhang mit Schlafproblemen oder bei Schmerzreizen. „Unser Ziel ist es, nicht nur zu überprüfen, ob die Zunahme der intrakortikalen Hemmung auch in anderen Gehirnzuständen auftritt, sondern auch die Auswirkungen auf die Schlafqualität oder die Schmerzempfindung zu beobachten“, erklärt Kuhn.
Studie
Kuhn, Y.-A., Egger, S., Bugnon, M., Lehmann, N., Taubert, M., & Taube, W. (2024). Age-related decline in GABAergic intracortical inhibition can be counteracted by long-term learning of balance skills. The Journal of Physiology, 1(1). https://doi.org/10.1113/JP285706
Das Wichtigste in Kürze
- Das Älterwerden führt zu einem Rückgang der GABAergen intrakortikalen Hemmung, einem Prozess, der verschiedenen Erkrankungen zu Grunde liegt (motorische Störungen, Parkinson, Schlafstörungen usw.)
- Wissenschaftler_innen wussten bisher kaum, ob es Möglichkeiten gibt, diesen negativen Verlauf zu verlangsamen
- Die vorliegende Studie hat erstmals gezeigt, dass sechs Monate Gleichgewichtstraining den Rückgang der GABAergen intrakortikalen Hemmung verlangsamen können