05.05.2010

Ice Age 4: Das Würfelspiel der Gene


Die Migration von Lebewesen und die Neudurchmischung ihrer Erbanlagen kann eine enorme Bedeutung für den Evolutionsprozess haben. Dies zeigen Forschungsergebnisse von Evolutionsbiologen der Universität Freiburg um Prof. Christian Lexer. Beim Zusammentreffen von Populationen der gleichen Tier- oder Pflanzenart, die sich bisher getrennt entwickelt haben, kommt es zu einem genetischen Mischvorgang, dessen Ablauf entscheidend sein kann für die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Die Forscher analysierten dieses „Würfelspiel der Gene“ anhand einer Pappelart. Ihre Befunde sind vor kurzem in Molecular Ecology erschienen.



Migration von Lebewesen ist ein verbreitetes Naturphänomen, bestens illustriert durch die Wanderungen vieler Tier- und Pflanzenarten nach dem Schmelzen der eiszeitlichen Gletscher. Was aber passiert dort, wo zwei Migrationslinien einer Spezies aufeinander treffen? Der Forschungsgruppe von Prof. Christian Lexer am Departement für Biologie der Universität Freiburg ist es in Kooperation mit Partnern gelungen, einen nacheiszeitlichen geografischen Treffpunkt zweier Populationen der Baumart Aspe (Zitterpappel) zu ermitteln. In dieser skandinavischen Region trafen nach dem Ende der letzten Eiszeit Erbinformationen von Pappeln der gleichen Spezies aufeinander, die sich zuvor in getrennten Lebensräumen entwickelt hatten. Die Forscher konnten nun anhand dieses Vorgangs zeigen, wie bei einem solchen Aufeinandertreffen die genetischen Merkmale der Zitterpappeln innerhalb der letzten siebentausend Jahre „durcheinandergewürfelt“ wurden.

Vermischungszonen als Brutkästen der Evolution
Genetische Variation zwischen den Individuen einer Population ist die Grundlange der Evolution: Durch die Variation entstehen anpassungsrelevante Merkmale und die natürliche Selektion bewirkt die Auslese vorteilhafter Varianten. Evolutionsbiologen vermuten aber seit langem, dass bei vielen Organismen völlig neue Mutationen alleine nicht genügen, um all die Variation hervorzubringen, die zur ständigen Anpassung an neue Bedingungen benötigt wird. Dies gilt speziell für Pflanzen mit sehr langen Generationszeiten, wie zum Beispiel für Bäume. Hier sollte die Anpassung häufig durch Rekombination, also durch das „Durcheinanderwürfeln“ von bereits vorhandenen, mitunter sehr alten genetischen Varianten erfolgen. Dieser Mechanismus sollte besonders effektiv sein, wenn Populationen klimatisch bedingten Zyklen von Trennung, Migration, und neuerlicher Vermischung ausgesetzt waren. Das ist der Fall bei vielen Tier- und Pflanzenarten Europas, die nach dem Abklingen der letzten Eiszeit neue, von der Vergletscherung freigegebene Lebensräume erobern konnten, welche als Vermischungszonen bisher getrennter Populationen zu potentiellen Brutkästen der Evolution wurden. Der konkrete Nachweis dieser Vorgänge ist nun erstmals am Beispiel einer Pappelart gelungen.

Entschlüsselung des genetischen Mosaiks
Die internationale Kollaboration von Evolutionsbiologen um die Gruppe von Christian Lexer untersuchte europäische Populationen der Baumart Populus tremula (Aspe oder Zitterpappel) mit molekulargenetischen Markern, entwickelt mit Hilfe der vollständig entschlüsselten Genomsequenz einer nahe verwandten amerikanischen Pappelart. Diese molekulargenetische Analyse erlaubte es, den geografischen Treffpunkt zweier nacheiszeitlicher Migrationslinien der Aspe in Skandinavien nachzuweisen, unweit von Durchmischungszonen vieler anderer Organismen wie bei Bären, Nagetieren, Nadelbäumen, und Orchideen. Die molekulargenetische Analyse lieferte klare Hinweise auf eine adaptive Differenzierung der Aspe in Europa aufgrund unterschiedlicher Selektionsdrücke, und auf das „Durcheinanderwürfeln“ von wichtigen Genvarianten in der skandinavischen Durchmischungszone. Zwei grosse Gartenexperimente in Schweden bestätigten die Auswirkungen dieses genetischen Mosaiks: Es trat erhöhte Variation auf bei Merkmalen, die für das Wachstum und die Reaktion der Bäume auf Unterschiede in Licht und Temperatur wichtig sind, und es gab eine verstärkte Selektion dieser Merkmale in der Vermischungszone. So konnte nachgewiesen werden, dass Migration und Durchmischung evolutionäre Anpassungsvorgänge bei dieser ökologisch wichtigen Pionierbaumart entscheidend vorantreiben.

Das Verständnis dieser Evolutionsvorgänge ist ein wertvoller Schlüssel um abzuschätzen zu können, ob und wie schnell sich wilde Tier- und Pflanzenarten an menschlich verursachte Umweltveränderungen anzupassen vermögen. Neben dem Modellcharakter der Zitterpappel sind die Forschungsergebnisse aber auch für die Forstwirtschaft womöglich von erheblichem praktischem Nutzen, denn die Aspe ist eine potentielle Quelle genetischer Variation für die Züchtung neuer Pappel-Sorten als ergiebige Bioenergie-Pflanzen. Die durchmischte skandinavische Population kann nun verwendet werden um unter Verwendung neuer, in der Humanmedizin entwickelter Methoden ökologisch wichtige, beispielsweise wachstumsrelevante, Gene in Pappeln zu identifizieren. Die rasanten Entwicklungen bei Technologien für die DNA-Sequenzierung dürften ähnliche Forschungen und Anwendungen bald auch für viele andere Arten ermöglichen.


Legenden zu beigeschlossenen Bildern:



1 – Zitterpappel oder Aspe (Populus tremula). Foto: Christian Lexer.


2 – Einheimische Pappelarten haben auch enorme ökologische Bedeutung in Auwäldern (Ticino Fluss, Lombardei, Italien). Foto: Christian Lexer.

Links:
Link zum Artikel in MOLECULAR ECOLOGY:
http://www3.interscience.wiley.com/journal/123327326/abstract
Link zur Molecular Ecology & Evolutionary Genetics Gruppe, Departement für Biologie, Uni Fribourg:
http://www.unifr.ch/biol/ecology/lexer/index.html


Kontakt: Prof. Christian Lexer, Département de biologie, 026 300 88 68, christian.lexer@unifr.ch

Quelle: Dienst für Kommunikation und Medien, 026 300 70 34, communication@unifr.ch