19.05.2011
Elektronikmaterialien der Zukunft:
der Unterschied zwischen dünn und sehr dünn
Auf der Suche nach Materialien, etwa für elektronische Bauteile, gibt es eine neue Spur: Ein Forscherteam aus Deutschland und der Schweiz mit Beteiligung der Gruppe von Prof. Christian Bernhard der Universität Freiburg hat beobachtet, wie sich die elektronischen und magnetischen Eigenschaften einer Substanz ändern, wenn diese in zweidimensionaler statt dreidimensionaler Form verarbeitet wird. Dank dieser Erkenntnis könnten neue Stoffe gefunden werden zur Herstellung der Computerchips der Zukunft. Die Forschungsgebnisse sind im Fachjournal Science erschienen.
PSI-Forscher Thomas Prokscha neben dem Detektor, mit dem die Positronen nachgewiesen werden, die beim Myonen-Zerfall entstehen. (Foto: PSI/M. Fischer)
Die Halbleitertechnologie – seit Jahrzehnten Grundlage der Elektronik – stösst allmählich an ihre Grenzen. Werden elektronische Bauteile weiterhin immer kleiner, dürften Leiterbahnen und Transistoren bald auf die Grösse einzelner Atome schrumpfen. Solch winzige Strukturen aber lassen sich mit den gängigen Methoden kaum noch kontrolliert herstellen; im Betrieb erzeugen sie wegen ihres elektrischen Widerstands zudem so viel Hitze, dass sie rasch ihre Form verlieren dürften. In Zukunft könnten andere Verbindungen – die Metalloxide – die Rolle der Halbleiter übernehmen. Unter den Metalloxiden gibt es viele interessante Materialien - solche, die sich wegen ihrer magnetischen Eigenschaften als Datenspeicher empfehlen und sogar solche, die Strom völlig ohne Widerstand leiten – die Supraleiter.
Massgeschneiderte Elektronik
Eine Besonderheit der Metalloxide besteht darin, dass ihr elektronisches Verhalten stark von den Details ihres Aufbaus abhängt, was wiederum bedeutet, dass man versuchen kann, durch kleine Veränderungen Materialien mit gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Ein internationales Team um Alexander Boris und Bernhard Keimer am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, Thomas Prokscha, Leiter der Gruppe Niederenergiemyonen, am Paul Scherrer Institut und Christian Bernhard, Präsident des Departements für Physik der Universität Freiburg weist nun einen neuen Weg, um die Eigenschaften von Metalloxiden masszuschneidern.
Die Wissenschaftler untersuchten das Metalloxid Lanthannickeloxid LaNiO3, das neben den elektronisch inaktiven Lanthan- und Sauerstoffatomen auch Nickel enthält. Auf diese Zusammensetzung fiel die Wahl nicht zuletzt, weil Nickel Elektronen mitbringt, die sich auf eine spezielle Art verhalten - sie erzeugen ein magnetisches Moment, d.h. sie verhalten sich wie winzige Stabmagnete. Normalerweise ist davon allerdings nicht viel zu merken – die winzigen Stabmagnete weisen in verschiedene Richtungen und das ganze Material ist im alltäglichen Sinn unmagnetisch, leitet dafür aber gut Strom. Reduziert man jedoch das Material auf eine ganz dünne Probe, die statt aus unzähligen nur noch aus zwei Schichten besteht und kühlt das Ganze danach auf minus 100 Grad ab, verliert es seine Leitfähigkeit. Die Elektronen befinden sich sozusagen in einer Zwangslage: Sie stossen sich gegenseitig ab, können sich aber nicht mehr aus dem Weg gehen und bleiben jeweils an einem Atom „stehen“ – der Stromfluss versiegt. So haben die Forschenden erstmals genau herausgearbeitet wie die räumliche Dimension eines Materials sein physikalisches Verhalten beeinflusst.
Die veränderte Leitfähigkeit war aber nicht der einzige Effekt der Schlankheitskur für das Metalloxid. Als die Physiker die dünne Probe noch weiter abkühlten, etwa auf minus 220 Grad Celsius, nahm das Material eine magnetische Ordnung an – die Minimagnete an den Elektronen richteten sich antiparallel aus, etwa so wie Stabmagneten, die abwechselnd mit ihren Nord- und Südpolen nebeneinander liegen.
Grosse Experimentelle Herausforderungen
Die Eigenschaften solch extrem dünner Materialien zu ermitteln und gezielt zu beeinflussen stellt die Forscher vor grosse experimentelle Herausforderungen. Um die antiferromagnetische Ordnung in einer schicht von gerade einmal zwei Atomlagen zu ermitteln, setzten die Wissenschaftler auf Myonen, instabile Elementarteilchen, die mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern erzeugt werden.
Die Myonenexperimente wurden an den Myonenanlagen des PSI durchgeführt und durch das dortige Team von Thomas Proschka und der Freiburger Gruppe von Professor Christian Bernhard durchgeführt. Am PSI wird der europaweit stärkste Myonenstrahl für Festkörperuntersuchungen erzeugt.
Es besteht die Hoffnung, dass diese neuen Erkenntnisse über die Veränderbarkeit und Beinflussung der Eigenschaften von Metalloxyden mithelfen, Wege zur Lösung der zunehmenden Platz- und Wärmeprobleme bei der Entwicklung immer leistungsfähigerer Mikrochips zu finden.
Originalveröffentlichung:
Dimensionality Control of Electronic Phase Transitions in Nickel-Oxide Superlattices
A. V. Boris, Y. Matiks, E. Benckiser, A. Frano, P. Popovich, V. Hinkov, P. Wochner, M. Castro-Colin, E. Detemple, V. K. Malik, C. Bernhard, T. Prokscha, A. Suter, Z. Salman, E. Morenzoni, G. Cristiani, H.-U. Habermeier, and B. Keimer,
Science, 20 May 2011
Über das PSI:
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1400 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. Franken ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
Weitere Infos:
http://www.psi.ch/media/forschen-mit-myonen
Kontakt:
Prof. Dr. Christian Bernhard, Departement für Physik und Fribourg Center for Nanomaterials Frimat, Universität Freiburg, 1700 Freiburg, 026 300 90 70, christian.bernhard@unifr.ch