Ausländische Arbeitskräfte mit Wohnsitz im Zielland integrieren sich besser in den Arbeitsmarkt als Grenzgänger_innen. Dies legt eine aktuelle Studie der Ökonom_innen Selina Gangl, Martin Huber und Berno Büchel von der Universität Freiburg nahe.
Wie kann ein Land Arbeitskräfte anlocken und binden? Diese Frage ist vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auch für Industrieländer aktueller denn je, Wirtschaftswachstum und Innovation können davon abhängen. «Zwischen Industriestaaten gibt es erhebliche Migrationsbewegungen von Arbeitskräften. Diese Migration zwischen Industrieländern wird in der Literatur allerdings selten beleuchtet, meist fokussiert sie sich auf die Migration aus Entwicklungsländern in Industrieländer», sagt Selina Gangl. Die Doktorandin hat nun mit einer kürzlich veröffentlichten Studie ihren Teil dazu beigetragen, das zu ändern. Gemeinsam mit den Professoren Martin Huber, der wie sie am Lehrstuhl für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation forscht, und Berno Büchel vom Lehrstuhl für Mikroökonomie, hat Selina Gangl erforscht, wie sich die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen auf die Integration in eine Volkswirtschaft auswirkt, die attraktive Nettolöhne bietet.
Ideales Setting in Liechtenstein
Das ist kein leichtes Unterfangen. «Das grosse Problem ist normalerweise, dass Migration nicht zufällig geschieht», sagt Martin Huber. «Leute, die von einem Land ins andere migrieren, sind normalerweise selektiv.» So unterscheiden sich die Personen mit oder ohne Aufenthaltsbewilligung typischerweise in verschiedenen Bereichen, etwa in Sachen Bildung oder Herkunftsland. Die Wirkung der Aufenthaltsbewilligung auf die Arbeitsmarktpartizipation von den übrigen Einflussfaktoren zu isolieren ist dadurch schwierig bis unmöglich. Es bräuchte also mehr Zufall – im Idealfall ein Setting, bei dem zufällig ermittelt wird, wem ein Wohnsitz gewährt wird, und bei dem gleichzeitig für alle interessierten Arbeitsmigrant_innen auch das grenzüberschreitende Pendeln eine Option bleibt.
Tatsächlich gibt es genau dieses Setting in Liechtenstein. «Dort finden jedes Jahr zwei Lotterien statt, in denen zufällig das Recht zugeteilt wird, nach Liechtenstein zu ziehen – und zwar nur unter Leuten, die bereits über einen Arbeitsvertrag in Liechtenstein verfügen», erklärt Martin Huber. Kommt hinzu, dass ausschliesslich Personen aus Industrieländern mitmachen können. Denn die Lotterie ist ein Kompromiss, den Liechtenstein eingehen muss, um im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) dabei sein zu dürfen. «Liechtenstein wollte Teil des EWRs sein, gleichzeitig aber die Anzahl Aufenthaltsbewilligungen beschränken, weil es ein kleines Land ist und seine nationale Identität schützen wollte. Dieses Recht wurde dem Land gewährt, allerdings nur unter der Bedingung, dass es die Hälfte der Bewilligungen im Lotterieverfahren vergibt», erklärt Selina Gangl.
Deutliche Ergebnisse
So nutzten die Forschenden der Universität Freiburg das ideale Versuchsfeld und analysierten die Daten aus den Lotterien der Jahre 2006 bis 2016. In ihren Daten befinden sich 350 Personen, die in der Lotterie erfolgreich waren, sowie 2’795 Personen, die nicht erfolgreich waren. Untersucht wurden die Jahre zwei bis zwölf nach dem jeweiligen Lotterieentscheid.
Bei der Auswertung haben die Forschenden festgestellt, dass eine Aufenthaltsbewilligung einen bedeutenden positiven Effekt auf die Arbeitsmarktintegration hat. «Die Leute, die in der Lotterie gewinnen und nach Liechtenstein ziehen, arbeiten länger und mehr in Liechtenstein als diejenigen, die kein Wohnrecht erhalten und mehrheitlich weiterhin pendeln», sagt Selina Gangl. Die Ergebnisse sind deutlich: «Wir haben die Arbeitswahrscheinlichkeit in Prozentpunkten gemessen. Der Wert pendelt sich bei circa 25 Prozent ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person während der nächsten Jahre in Liechtenstein arbeitet, erhöht sich also um ungefähr 25 Prozentpunkte, wenn sie eine Aufenthaltsbewilligung hat», sagt Martin Huber. «Und auch der Beschäftigungsgrad ist durchschnittlich um etwa 20 Prozent höher.»
Pendler_innen haben irgendwann genug
Interessant ist auch eine Erkenntnis, welche die Forschenden durch eine weitere Aufschlüsselung erlangten. In der Studie wird zwischen zwei Gruppen unterschieden: Personen, die bereits vor der Lotterie in Liechtenstein arbeiteten und zwingenderweise Pendler_innen aus dem benachbarten Ausland sind sowie Personen, die ein Angebot von einer Firma aus Liechtenstein haben, womöglich aber noch weit weg wohnen. Kurzfristig hat der Lotterieentscheid erwartungsgemäss einen deutlich höheren Einfluss auf die zweite Gruppe. Eine Aufenthaltsbewilligung schafft somit kurzfristig einen Anreiz für potenzielle neue Arbeitskräfte, eine Beschäftigung in Liechtenstein aufzunehmen, während die Wirkung für Pendler_innen zunächst nahe bei null liegt. «Nach sieben bis acht Jahren gleicht sich der Effekt allerdings an, und zwar auf einem positiven Niveau. Längerfristig scheint es keine grossen Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu geben», sagt Martin Huber. Anders ausgedrückt: Manche Grenzgänger_innen haben irgendwann genug vom Pendeln und verlassen den Arbeitsmarkt, wenn sie keine Aufenthaltsbewilligung erhalten.
Die Daten, die den Forschenden für ihre Studie zur Verfügung standen, lassen keinen Rückschluss auf die möglichen Gründe für die Arbeitsmarkteffekte zu. Aus anderen Studien lässt sich allerdings schliessen, dass insbesondere eine vorteilhafte Besteuerung, aber auch kürzere Pendelzeiten wichtige Faktoren sind, die den Effekt einer Aufenthaltsbewilligung auf die Arbeitsmarktintegration treiben – auch für Personen aus dem nahen Ausland.
Auf die Schweiz übertragbar?
Bleiben zum Schluss zwei wichtige Fragen: Inwiefern sind die Erkenntnisse auf andere Länder, wie etwa die Schweiz, übertragbar? Und welche politischen Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?
«In Liechtenstein ist die Ausgangslage besonders», antwortet Selina Gangl auf die erste Frage, «56 Prozent der Leute, die in dem Land arbeiten, pendeln jeden Tag nach Liechtenstein hinein und wieder hinaus». Möglich ist das, weil das Land so klein ist, in der Schweiz liessen sich die Ergebnisse deshalb am ehesten auf die Grenzregionen übertragen. «Die Wirtschaftsstruktur unterscheidet sich von Land zu Land. Gut möglich, dass die Effekte nicht genau die gleichen sind. Allerdings sind manche der wirtschaftlichen Sektoren, die in Liechtenstein stark vertreten sind, auch in der Schweiz bedeutend», erklärt Martin Huber. «Ich denke schon, dass unsere Studie generell aufzeigt, dass Aufenthaltsbewilligungen den Effekt haben können, ausländische Mitarbeitende anzulocken und zu halten – und entsprechend ein Instrument sind, um ausländische Schlüsselarbeitskräfte besser zu binden.»
Das ist es, was die Forschenden untersuchen wollten. «Die Studie weist nach, welchen Nutzen eine Aufenthaltsbewilligung für den Arbeitsmarkt in Bezug auf die Integration von ausländischen Arbeitskräften hat. Dem müssen Politiker_innen dann potenzielle Kosten gegenüberstellen. Das könnten zum Beispiel steigende Wohnungspreise oder Infrastrukturkosten sein. Zu entscheiden, wie der Nutzen gegenüber den potenziellen Kosten dann gewichtet wird, ist nicht unsere Aufgabe, sondern diejenige der Politik», schliesst Martin Huber.
- Webseite von Selina Gangl
- Webseite von Martin Huber
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