Die neusten Ergebnisse des Schweizer Permafrostmessnetzes PERMOS belegen: Die Erwärmung des Gebirgs-Permafrosts schreitet rasch voran und hinterlässt deutliche Spuren. Dies obwohl die Schneesituation im letzten Jahr eher günstig war für den Permafrost und die Bodenoberfläche sich im Vergleich zum Vorjahr leicht abgekühlt hat. Unser Experte erklärt, wieso trotzdem kein Grund zum Jubeln besteht.
Benno Staub, der Permafrost ist seit Jahren im Schmelzen begriffen…
Da Permafrost nicht zwingend Eis enthalten muss, spricht man eher vom «Auftauen» als vom «Schmelzen» des Permafrosts. Zudem ist Permafrost rein thermisch definiert als «dauerhaft gefrorener Boden». Stark vereinfacht gleicht der Auftauprozess des Permafrosts folgender Alltagssituation: Ein Brot wird aus dem Gefrierfach genommen und bei Raumtemperatur aufgetaut. Von aussen nach innen nimmt die Temperatur stetig zu, allfällig vorhandenes Eis wird beim Überschreiten des Schmelzpunkts zu Wasser. Dass der Gebirgs-Permafrost in der Schweiz langsam aber stetig wärmer wird und in immer grössere Tiefen auftaut, belegen diverse Messungen, welche im Rahmen des Schweizer Permafrostmessnetzes PERMOS durchgeführt werden.
Was sagen denn die jüngsten Zahlen?
Den direkten Beweis für die Erwärmung des Permafrosts liefern Temperaturmessungen in knapp 30 Bohrlöchern mit maximalen Erwärmungsraten von über +0.5 °C innerhalb der letzten 5 Jahre. An warmen Standorten mit Bodentemperaturen nahe des Schmelzpunkts ist die Temperaturveränderung zwar viel geringer (wenige Hundertstelgrad pro Jahr), beispielsweise am Schilthorn (2910 m ü.M.) in den Berner Alpen. Dies liegt hauptsächlich an der so genannten «latenten Wärmeenergie» , welche für die Schmelze von Eis aufgewendet werden muss. Dennoch zeigen geophysikalische Messungen an demselben Standort seit Jahren eine Abnahme der elektrischen Widerstände im Boden – nie wurden in den letzten 16 Jahren tiefere Werte gemessen als 2015 und 2016: Dies ist ein Hinweis für ein Ansteigen des relativen Anteils flüssigen Wassers im Permafrost. D.h. die Veränderungen beschränken sich nicht auf die Bodentemperatur! Eine weitere direkt an der Oberfläche sichtbare Veränderung ist die aussergewöhnlich Bewegungsaktivität von Blockgletschern: Diese aus Gesteinsblöcken und Eis bestehenden Schuttmassen kriechen seit einigen Jahren um ein Vielfaches schneller talwärts als noch vor 20 Jahren, derzeit vielerorts mit mehreren Metern pro Jahr. Zum Vergleich: In vielen Lehrbüchern ist zu lesen, dass sich Blockgletscher bloss einige Zentimeter pro Jahr bewegen…
Wird sich die Gebirgslandschaft also grundlegend verändern?
Wie allgemein in der Umwelt geschehen die Veränderungen in Reaktion auf die Klimaerwärmung auch im Permafrost nicht von heute auf morgen und sind zusätzlich von kurzfristigen Witterungseinflüssen überlagert. Schwankungen der Lufttemperatur, Sonneneinstrahlung und der Schneefälle führen zu einer hohen Variabilität der Bodenoberflächentemperatur und machen uns Forschern die Arbeit nicht gerade leicht. Doch gehen wir zurück zum Alltagsbeispiel: Wer das gefrorene Brot unmittelbar nach der Entnahme aus dem Gefrierfach verzehren will, stellt fest: Dieser Prozess braucht Zeit. Auch wenn die Kruste schon weich ist, kann das Brot im Innern noch steinhart gefroren sein. Übertragen auf die Erwärmung des Permafrosts in unseren Bergen braucht es sogar sehr viel Zeit, denn mit zunehmender Tiefe verzögert sich der Temperaturanstieg gegenüber der Oberfläche. In zehn Metern Tiefe sind Temperaturschwankungen gegenüber der Oberfläche etwa sechs Monate verzögert, in 20 Metern beinahe ein Jahr. In grösserer Tiefe sind die Temperaturen deshalb immer durch die Witterungsverhältnisse der Vergangenheit mitbeeinflusst.
Der Boden als Langzeitgedächtnis?
Könnte man so sagen. Das gegenwärtige Klima ist nicht mit den langfristigen Bedingungen der letzten 150 Jahre vergleichbar. Die in Bohrlöchern gemessenen Temperaturen zeigen über die letzten 10-20 Jahre eine markante Erwärmung in der Tiefe. Dieser Erwärmungstrend ist stärker ausgeprägt als an der Bodenoberfläche und an den eher kalten Standorten mit Temperaturen unter -1°C besonders deutlich sichtbar. So ist zum Beispiel die Bodentemperatur am Gipfel des Stockhorns (3400 m) bei Zermatt (VS) in den letzten fünf Jahren von -2.6 auf -2.0 °C angestiegen – eine sehr schnelle Temperaturänderung in 20 Metern Tiefe. Ursache sind die seit 2009 anhaltend warmen Bedingungen an der Bodenoberfläche.
Liesse sich dieser Erwärmungstrend überhaupt stoppen oder zumindest bremsen?
Dass es möglich ist, den Erwärmungstrend im Permafrost kurzzeitig zu unterbrechen, haben die extrem kalten und schneearmen Winter 2004/05 bis 2006/07 gezeigt: Damals stagnierten die Temperaturen zwischenzeitlich, sogar in 20 Metern Tiefe. Eine nachhaltige Abkühlung bis in tiefere Bodenschichten erfordert anhaltend kalte Bedingungen an der Bodenoberfläche. Hierfür spielt der Schnee eine Schlüsselrolle – aber mehr dazu später. In Anbetracht der fortschreitenden Klimaerwärmung scheint mittel- und längerfristig eine Trendumkehr zu stagnierenden oder abkühlenden Permafrosttemperaturen illusorisch. Zu gross ist das Ungleichgewicht zwischen dem Permafrost und der Temperatur an der Bodenoberfläche – in unseren Alpen ebenso wie im hohen Norden. Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise auf ein Ende dieses Erwärmungstrends, denn die Klimaerwärmung schreitet voran. An vielen unserer Messstandorte in den Alpen sind sowohl die Lufttemperaturen als auch die oberflächennahen Bodentemperaturen heute im Jahresmittel positiv, dies auf über 2500 m ü.M.! Wollen wir die Erwärmung des Permafrosts in Grenzen halten, so müssten wir primär die Klimaerwärmung bekämpfen. Mit einem möglichst nachhaltigen Lebensstil können wir dazu auch als Individuen einen wichtigen Beitrag leisten.
Welche Bedingungen sind günstig für den Permafrost?
Kommen wir zurück zum Schnee: Unsere Messungen zeigen, dass die Zeitpunkte des Einschneiens im Frühwinter und des Ausaperns im Sommer entscheidend sind für die Variabilität der Temperaturen an der Bodenoberfläche von Jahr zu Jahr. Mit seinem hohen Gehalt an Luft ist Neuschnee ein guter thermischer Isolator. Fällt er früh, z.B. schon im September oder Oktober, verbleibt die während des Sommers gespeicherte Wärme im Boden. Fällt der Schnee spät, so kann der Boden diese Wärme an die Luft abgeben. Besonders effektiv ist dies bei wolkenlosem Himmel in der Nacht durch maximale langwellige Abstrahlung. Auch im Frühjahr und im Sommer beeinflusst Schnee die Bodentemperatur, diesmal jedoch umgekehrt: Je später der Boden ausapert, desto länger bleibt er vor der sommerlichen Erwärmung geschützt. Dieser Mechanismus gilt für einen Grossteil der von Permafrost beeinflussten Landschaft in der Schweiz. Eine wichtige Ausnahme sind sehr steile oder windexponierte Standorte, an denen nie oder kaum Schnee haften bleibt. Dort entwickelt sich die Temperatur an der Felsoberfläche ähnlich wie jene der Luft. Solche steilen Felswände sind derzeit äusserst warm.
Wie schätzen Sie den Winter 2016/17 ein in Bezug auf den Permafrost?
Während wir im Flachland bei relativ kalten Temperaturen oft im Nebel sassen, war der letzte Dezember in den Bergen ausserordentlich sonnig, warm, trocken und auch nachts meist wolkenlos. In der Höhenlage des Permafrosts auf über 2500 m ü.M. ist die Schneearmut in vielen Regionen noch immer markant. Nahezu ideale Bedingungen also für die winterliche Auskühlung der oberflächennahen Bodenschichten. Ich vermute deshalb, dass ein Grossteil der über 250 aktiven Temperaturlogger derzeit eher tiefe Oberflächentemperaturen registrieren. Quantifizieren lässt sich dies jedoch erst im nächsten Sommer, wenn der Schnee geschmolzen ist und die Daten ausgelesen wurden.
Entwicklung der Lufttemperatur im Hochgebirge seit 1900 im Vergleich mit ausgewählten Bohrlochtemperaturen und photogrammetrisch rekonstruierten Blockgletscherbewegungen
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- Fotos: Luc Braillard, Reynald Delaloye, Jeannette Noetzli, Benno Staub
- Webseite von Dr. Benno Staub
- The Swiss Permafrost Monitoring Network (PERMOS)
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