Wie Kinder mit Stress umgehen ist mehr als bloss Glückssache

Wie Kinder mit Stress umgehen ist mehr als bloss Glückssache

Ein Team um Psychologie-Professorin Nadine Messerli-Bürgy untersucht in der STERN-Studie, wie Kinder die Fähigkeit entwickeln, ihre Stressreaktionen zu regulieren. Dazu sucht es dringend Eltern von Kindern, die im Sommer mit dem Kindergarten beginnen.

Welchen Einfluss hat Stress auf die Entwicklung von psychischen Problemen bei Kindern? Warum können gewisse Kinder besser mit Stress umgehen als andere? Wie lernt ein Kind, sein Stresslevel zu regulieren? Und wie können ihm seine Eltern dabei helfen? Fragen wie diesen geht ein Team um Studienleiterin Nadine Messerli-Bürgy in der STERN-Studie nach. STERN steht für Stresserleben, Stressregulation und Gesundheit bei Vorschulkindern. «Stress können wir nicht ganz aus unserem Leben verbannen ­– er gehört zu uns», erklärt die Professorin. Sie will deshalb genauer wissen, welchen Einfluss der Stress auf die Kinder hat ­– um in Zukunft den Kleinen und deren Eltern dabei zu helfen, einen möglichst gesunden Umgang mit Schwierigkeiten, Gefühlen und Emotionen zu erlernen.

«Wir wissen heute, dass 20 Prozent der Kinder psychische Probleme haben.» Aber nicht ausreichend, welche Rolle der Umgang mit Stress dabei spielt. Es ist bekannt, dass schwere Stressoren wie Gewalt, Missbrauch oder traumatische Erlebnisse das biologische System schwächen. «Bei mittleren Stressoren wie etwa dem Eintritt in den Kindergarten gehen wir aber eher davon aus, dass es ein wichtiger Schritt in der Entwicklung ist, bei dem das Kind lernen kann, seine Reaktion auf Stress zu verbessern.»

Fast wie ein Muskel im Fitnesscenter
Früher dachten Forscher_innen, dass einer Person in die Wiege gelegt wird, wie sie mit Stress umgeht. Entweder verfügt sie über Resilienz oder eben nicht. Glück gehabt ­– oder Pech. «Heute gehen die Theorien davon aus, dass der Umgang mit Stress ein Entwicklungsprozess ist.» Nebst genetischen Voraussetzungen spielen auch das Umfeld und insbesondere die Eltern eine wichtige Rolle. In der STERN-Studie wird nun in der Praxis untersucht, wie diese Faktoren zusammenwirken. «Fast wie ein Muskel im Fitnesscenter, lässt sich auch der Umgang mit Stress trainieren oder erlernen», sagt Nadine Messerli-Bürgy. Die Frage ist nur, wie?

Die Studie setzt beim Kindergarteneintritt an, bei den Vier- bis Fünfjährigen also. «Es ist ein Alter, in dem die Kinder vermehrt eigene Wege finden müssen, um mit Stress umzugehen, weil sie nicht mehr den ganzen Tag von den Eltern betreut werden.»

Von Aggression bis Rückzug
Es ist eine der ersten grossen Veränderungen im Leben eines Kindes und deshalb ein guter Moment, um zu beobachten, was dazu beiträgt, dass Kinder psychisch gesund bleiben ­– und welche Kinder stattdessen empfindlicher werden und nicht aus Stresssituationen lernen. «Mühe mit der Stressregulation kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äussern», sagt Jan-Philip Knirsch, Doktorand am Departement für Psychologie, der an der Studie mitarbeitet. «Es kann sein, dass das Kind sehr emotional auf Veränderungen reagiert, schnell in Rage gerät, vielleicht sogar aggressiv wird. Dass es Schwierigkeiten hat im Umgang mit anderen. Es gibt aber auch Kinder, die sich zurückziehen.» Auch wenn Kinder nicht mehr schlafen, plötzlich einnässen, zu wenig oder zu viel essen, kann das auf Probleme mit der Stressregulation hindeuten.

«Vielfach werden diese Probleme gar nicht richtig erkannt», sagt Nadine Messerli-Bürgy. «Wir sind aber nicht nur Wissenschaftler_innen, sondern auch Therapeut_innen und wollen deshalb wissen, wo wir möglichst früh ansetzen können. Oft kommen die Kinder später als Teenager zu uns, weil sie auffällig werden und die ganze Familie stark belastet ist. Zu diesem Zeitpunkt ist schon viel passiert, das man hätte beeinflussen und womöglich verhindern können.»

Fragen und Messungen
Deshalb wollen Nadine Messerli-Bürgy und ihr Team noch genauer verstehen, was die wichtigsten Einflussfaktoren sind. Ist es die Art der Erziehung oder das Temperament des Kindes? Kommt es darauf an, wie gestresst die Eltern selbst sind? 2018 begann das Team im Rahmen der STERN-Studie Kinder, die ins erste Kindergartenjahr eintreten, zu begleiten. Stellte Fragen, schaute im Labor, wie ein Kind auf eine Niederlage im Spiel reagiert, mass Herzfrequenzen und Stresshormone – und zwar in den Monaten vor und nach dem Kindergarteneintritt. Gut 60 Kinder wurden so begleitet, die Corona-Pandemie hat den Studienverantwortlichen jedoch bald einmal das Leben schwer gemacht.

200 Franken und ein Gratis-Feedback
Für den Schlussspurt hoffen sie deshalb nun möglichst rasch noch einmal auf rund 60 teilnehmende Familien. Begleitet werden diese diesmal nur vor dem Kindergarteneintritt, die Studie endet im Sommer, im Herbst sollen die ersten Daten der STERN-Studie präsentiert werden. Zuvor aber bitten Nadine-Messerli-Bürgy und ihr Team Eltern, deren Kinder diesen Sommer in den Kindergarten kommen, um Hilfe. «Wir haben unser Konzept an die Pandemie angepasst. Wir machen nichts mehr im Labor, alles kann von zu Hause aus erledigt werden. Dadurch können nun Eltern und Kinder aus der ganzen Deutschschweiz mitmachen», sagt Jan-Philip Knirsch.

Wer mitmacht, kriegt per Telefon einige Fragen gestellt, füllt einen Online-Fragebogen aus und erhält ein Paket mit Speichelproben und einem zweifränklergrossen EKG-Gerät nach Hause geschickt. Während zwei Tagen kleben sich das Kind und mindestens ein Elternteil das Gerät auf die Brust, um die Herzfrequenz zu messen. Gleichzeitig entnehmen sie sich selbst regelmässig Speichelproben, die später dazu dienen, die Anzahl Stresshormone zu berechnen. «Die Eltern leisten damit einen Beitrag zur Gesundheitsprävention, eine Teilnahme kann für sie aber auch persönlich interessant sein», sagt Knirsch. Und zwar nicht nur, weil sie mit 200 Franken entschädigt werden. «Wenn sie das wollen, erhalten sie am Ende kostenlos ein inhaltliches Feedback.»

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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

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