Die Uni Freiburg soll zum Hub für umweltethische Fragen werden

Die Uni Freiburg soll zum Hub für umweltethische Fragen werden

Fairere, ethisch korrekte Lösungen für Umweltprobleme – das ist das Ziel des jungen UniFR_ESH Instituts an der Universität Freiburg. Direktor Ivo Wallimann-Helmer ist überzeugt, dass der Mix aus Natur- und Geisteswissenschaften seine Studierenden zu kompetenten und gefragten Generalist_innen werden lässt. Für die Zukunft des Instituts hat er ambitionierte Ziele.

An welchen Orten sind Abfalldeponien vertretbar? Wie gehen wir mit den realen und den eingebildeten Risiken von nuklearem Abfall um? Und wie beim Biodiversitätsschutz mit gebietsfremden Arten? Ist eine einzelne Person moralisch überfordert, wenn von ihr lapidar verlangt wird, sie solle ihre CO2-Emissionen um «so viel wie möglich» reduzieren? Wird sie womöglich sogar ungerechtfertigterweise gegenüber denjenigen benachteiligt, die sich nicht um ihre Emissionen scheren?

Umweltprobleme und deren Lösungsansätze werfen fast immer ethische Fragen auf. Und diese sind oft nicht leicht zu beantworten. Wer zum Beispiel ist verantwortlich dafür, dass Anpassungsmassnahmen in Nepal ergriffen werden? Die Industrieländer, die schliesslich hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich sind? Oder doch die Nepales_innen selbst, da man weiss, dass Massnahmen effektiver sind, wenn sie von der Lokalbevölkerung mitgetragen werden? Und falls dem so ist, wer muss Ressourcen und Know-how zur Verfügung stellen?

Immer wieder neue Fragen
Umweltprobleme müssen angegangen werden, da ist sich zumindest die Wissenschaft einig. «Es ist aber auch wichtig, dass dies auf eine faire, ethisch korrekte Art gemacht wird», sagt Ivo Wallimann-Helmer. Er ist Professor für Umweltgeisteswissenschaften am Departement für Geowissenschaften und Direktor des University of Fribourg Environmental Sciences and Humanities Institute (UniFR_ESH Institute), dem Institut, das vor zweieinhalb Jahren gegründet wurde und in seiner Forschung bestrebt ist, Antworten auf Fragen wie die eingangs formulierten zu finden.

Denn man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass in den kommenden Jahren immer wieder neue solcher Herausforderungen und Dilemmata hinzukommen werden. «Eine neue Herausforderung ist zum Beispiel, dass mit Klimaschutz auch Gewinn gemacht werden kann.» Wallimann-Helmer denkt da etwa an die CO2-Entfernung aus der Atmosphäre und deren Lagerung. «Diejenigen, die den besten Zugang zu Lagerstätten und auch die Technologie dazu haben, sind diejenigen, die mit am meisten zum Klimawandel beigetragen haben: die Ölfirmen. Die investieren nun in Lagerstätten in der Nordsee.»

Weg von der technizistischen Idee
Umweltwissenschaften gibt es an der Universität Freiburg schon länger, mit der Gründung des neuen Instituts sind nun aber die Umweltgeisteswissenschaften und damit ethische Fragestellungen ein zentraler Bestandteil davon geworden. Im Zentrum steht nicht mehr hauptsächlich interdisziplinäre empirische Wissenschaft, weil nackte Zahlen nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind. «Wir wollen weg von der technizistischen Idee, dass sich alles von selbst regeln wird, wenn man nur genügend Daten sammelt. Oft gibt es ethische und historische Zusammenhänge, die nahelegen, dass ein anderes Vorgehen sinnvoll ist, als die nackten Zahlen vermuten liessen.» Bei Klimafragen etwa fällt mitunter der Begriff Pfadabhängigkeit. Während es Luxusemissionen tatsächlich zu beschränken gilt, ist es in den meisten Gesellschaften unmöglich, radikale Emissionsreduktionen zu realisieren, ohne drastische Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen zu müssen.

Als Philosoph bezeichnet sich Wallimann-Helmer als das, was man in der Politik manchmal einen «Realo» nennt. Als «Mann der kleinen Schritte» erarbeitet er mit den Studierenden zwar «sehr kreative Ideen», wie er sagt, ruft aber gleichzeitig gewisse Errungenschaften in Erinnerung, die angesichts von Umweltherausforderungen nicht einfach über Bord geworfen werden dürfen: Demokratie, Freiheit und Gleichheit etwa.

An allen fünf Fakultäten
Über den Tellerrand schauen, ein Problem von verschiedenen Seiten betrachten, das ist bei den Umweltwissenschaften in Freiburg zentraler Kern. «Die Studierenden sollen am Ende fähig sein, ethische Konflikte und Herausforderungen zu erkennen, im breiten Kontext einzuordnen, sie zu analysieren, neu zu sortieren und eine Lösung zu suchen. Das alles vor dem Hintergrund von breitem, interdisziplinärem Grundwissen», sagt Wallimann-Helmer.

Und wo Interdisziplinarität draufsteht, ist im Fall der Umwelt- und Umweltgeisteswissenschaft an der Uni Freiburg auch tatsächlich Interdisziplinarität drin. Studiert wird an allen fünf Fakultäten. Die Studierenden belegen Geowissenschaften mit den Geograph_innen und Geolog_innen, Umweltökonomie mit den Ökonom_innen und Umweltrecht mit den Jurist_innen. Das ist herausfordernd, aber natürlich lehrreich. «Sie lernen immer mit den Spezialist_innen, lernen so, die verschiedenen Sprachen der verschiedenen Fachbereiche zu verstehen.»

Fast einzigartig
Wallimann-Helmer ist zuversichtlich, dass seine Studierenden auf dem Arbeitsmarkt eine Lücke schliessen werden. «Ich bin fest davon überzeugt, dass Kompetenzen in Ethik im Umweltkontext gefragt sind, sei es bei Umweltberatungsunternehmen, NGOs oder in der Verwaltung», nennt er drei Bereiche, in denen die Studierenden in Zukunft ihr Wissen als Fachkraft einbringen könnten. «Zurzeit fehlt dieses Bewusstsein an vielen Orten nämlich noch.»

Der Mix aus Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, den die Universität Freiburg anbiete, sei fast einzigartig. «Für den Bereich `Umweltgeisteswissenschaften’ gibt es nach unseren Recherchen auf Master-Ebene in der Schweiz und im näheren Ausland neben unserem noch ein weiteres Angebot in Lausanne – sonst sind wir die einzigen.» Rund 120 Bachelor-Studierende und 20 Master-Studierende sind derzeit für Umweltwissenschaften und Umweltgeisteswissenschaften eingeschrieben. Für Wallimann-Helmer dürften es in Zukunft gerne noch ein paar Studierende mehr sein, er hat ambitionierte Ziele: «Ich bin bestrebt, dass die Uni Freiburg in einigen Jahren schweizweit und auch über die Landesgrenzen hinaus als Hub für Umweltgeisteswissenschaften, als breit aufgestelltes Kompetenzzentrum für umweltethische Fragestellungen bekannt sein wird, das inspirierende Forschung betreibt und auch internationale Studierende und Forschende anzieht.»

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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

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