Wochenprogramm
Thema 10 – Gebet und Politik in Zeiten des Endes
„Hilf, dass wir dies Gut der Erden treu verwalten immerfort.
Alles soll geheiligt werden durch Gebet und Gottes Wort.
Alles, was wir Gutes wirken, ist gesät in deinen Schoss,
und du wirst die Ernte senden unaussprechlich reich und gross.“
(Heinrich Puchta)
Blog-Artikel
„Das Leben wird, selbst wenn es am Ende wieder zur Normalität zurückkehrt, auf andere Weise normal sein, als wir es vor dem Ausbruch gewohnt waren“, so der slowenische Philosoph Slavoj Žižek. Was wäre, wenn diese „andere und neue Normalität“, dem Leben besser diente als jene davor? Muss man sich das fatalste Szenario ausmalen, oder gäbe es eine Möglichkeit, den Ausnahmezustand als Chance zu sehen, wie man global etwas positiv verändern könnte? Ist die „normale Normalität“, zu der wir zurückkehren würden, wirklich erstrebenswert?
Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa würde diese letzte Frage verneinen. Denn die moderne westliche Gesellschaft hat ein fundamentales Problem, das sie zu lösen hat: die dynamische Stabilisierung. Es handelt sich dabei um eine gesellschaftliche Beschleunigung mit Eskalationstendenz, eine Beschleunigung, die nicht dazu dient, vorwärts zu kommen, sondern notwendig ist, um an demselben Ort zu bleiben, an dem man bereits ist. Die Folge dieser eskalativen Beschleunigung ist, dass jene, die nicht mehr fähig sind zu beschleunigen, gezwungen sind, aus dem „Rennen“ auszusteigen. Dies zeigt sich besonders in der wachsenden Zahl von Burnouts und Depressionen. Auch der moderne Begriff der Working-Poor – Menschen, die trotz mehreren Arbeitsstellen und enormem Zeitaufwand arm bleiben – gehört zu derselben Schlagseite.
Will man zu dieser Normalität wirklich zurück?! Was aber wäre eine alternative Lebensweise, wie liesse sich die Gesellschaft umdenken? Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Ulrich hat in seinem Buch Integrative Wirtschaftsethik einen herausragenden Entwurf dazu verfasst. So betont er die Notwendigkeit einer Ökonomie der Lebensfülle in einer Mentalität des Genug-Haben-Könnens anstelle einer endlosen Steigerung der Quantität verfügbarer Güter. Denn die endlose Steigerung von Konsumgütern, etc. führt nach Ulrich nie dazu, dass man „genug“ hat, sondern fördert jeweils das Gegenteil: Modernisierung der Knappheit. Damit bezeichnet er die merkwürdige Beobachtung, dass mit dem Wirtschaftswachstum das Gefühl der Knappheit eher zu- statt abnimmt. Es entsteht ein objektiv feststellbarer defensiver Konsum, der die Lebensqualität zu verteidigen sucht, indem höhere Vorleistungen für die Erfüllung der Bedürfnisse erbracht werden. Z.B. muss man aus der härteren Arbeitswelt in die schönen Ferien fliehen oder braucht eine teure abgelegene Wohnung zur Erhaltung von Ruhe, etc. Dieser hat seine Begründung in einem subjektiv kompensatorischen Konsum: Die fehlende Fülle in der getätigten Arbeit wird durch Konsumgenuss zu kompensieren versucht.
Eine Ökonomie der Lebensfülle hingegen begrenzt sich auf das, was zum Leben notwendig ist. Nicht «wie viel brauche ich zum Leben?», sondern «wie wenig brauche ich zum Leben?» ist das Motto. Dies aber nicht in einem naiven Minimalismus, der postuliert, weniger sei mehr. In einer Ökonomie der Lebensfülle entsteht die Erkenntnis, dass die endlose Steigerung der Güter das Gegenteil hervorbringt: Immer mehr zu produzieren, zu konsumieren, zu beherrschen, führt nicht dazu, dass man genug hat, sondern dass noch mehr produziert wird. An dieser Stelle berührt sich die Analyse von Ulrich mit der von Rosa: die Welt wird beschleunigt, um zu beschleunigen. Auf der Strecke bleibt die Lebensfülle – und offensichtlich ganz existenziell die modern-wirtschaftlich Unzulänglichen. Was man zu erreichen suchte, gerät in unerreichbare Ferne, nicht weil es weit weg wäre, sondern weil es durch die Beschleunigung nicht mehr gehalten werden kann.
Eine Ökonomie der Lebensfülle erkennt diesen Teufelskreis und will aussteigen. Die Unmöglichkeit einer solchen Ökonomie der Lebensfülle liegt jedoch gerade in der normalen Normalität. Wollte eine Gruppe in unserer normalen Normalität eine Ökonomie der Lebensfülle leben, wäre sie der geltenden Wirtschaftslogik jeweils und notwendig unterlegen. Wer langsamer geht und seine Leistung nicht steigert, ist zum Ausstieg gezwungen. Die normale Normalität verunmöglicht eine Ökonomie der Lebensfülle, nicht weil sie nicht zu erreichen wäre, sondern weil sie kategorisch und methodisch durch dynamische Stabilisierung verunmöglicht wird.
Nun hat der Ausbruch des Coronavirus offensichtlich die ganze Welt entschleunigt und auch die Steigerung massiv gedämpft. Es wäre also global möglich, sich darüber Gedanken zu machen, ob man alles wieder beschleunigt und steigert und so zu dieser normalen Normalität zurückkehren will. Wieso nicht jetzt eine neue Normalität gestalten? Man stelle sich eine Welt vor, in der nicht die Steigerung der Produktion das oberste handlungsleitende Prinzip, sondern die Freude an der Arbeit dafür maßgebend ist. Ist das utopisch? Ja natürlich, aber nicht, weil es keinen Ort für eine solches Verständnis gibt, sondern weil die Wirtschaft und die Konsumenten, diesen Ort nicht gewähren – und die Betroffenen ihn sich nicht nehmen. Stell Dir vor, es ist „normale Normalität“, und keiner macht mit …
Wie könnte eine solche Ökonomie der Lebensfülle aussehen? Dies auszuarbeiten braucht selbstverständlich viel mehr als einen kurzen Artikel über ein mögliches Umdenken während der Coronakrise. Dieser potenzielle Veränderungsprozess betrifft uns alle, denn er beginnt hier an diesem Ort, bei allen Konsumenten, bei allen Geschäften, in der Wirtschaft, in der Politik, bei den Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Eine Welt, in der nicht beschleunigt wird, um zu beschleunigen, in der nicht gesteigert wird, um zu steigern, eine Welt, die nicht nach dem Motto „wie viel?“, sondern nach dem Motto „wie viel ist genug?“ lebt: Eine solche Welt ist möglich, und nur wenn sie real wird, ist das Leben auf eine wünschenswerte Weise wieder normal …
Dario Colombo, MTh
Diplomassistent bei Prof. Dr. Barbara Hallensleben am Lehrstuhl Dogmatik & Theologie der Ökumene der Universität Fribourg
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"Das Gebet stiftet die menschliche Weltordnung" mit Martin Brüske
Martin Brüske (geb. 1964), hat Philosophie und Theologie in Bonn, Jerusalem und München studiert. Seine Dissertation im Grenzgebiet von Liturgiewissenschaft und dogmatischer Sakramententheologie bestimmt die grundlegende Handlungsform der Liturgie als Spiel vor Gott. Derzeit interessieren ihn einerseits theologisch-ekklesiologische Grundlagen einer Erneuerung der Kirche, andererseits das Verhältnis von westlicher Partizipationsmetaphysik in thomasischer Tradition zur östlichen Sophiologie. Er hat in Fribourg Dogmatik und theologische Propädeutik (immer noch Lehraufträge) unterrichtet, ab August 2020 Ethik am TDS Aarau.
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"Gebet im Zeichen des Endes. Selbstübergabe an Gott in Leben und Tod" mit Ursula Schumacher
Ursula Schumacher ist Professorin für Katholische Theologie und Religionspädagogik (Schwerpunkt: Dogmatik und ihre Didaktik) an der PH Karlsruhe.
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"Sie rufen: "Friede! Friede!" Aber da ist kein Friede – Ein Gespräch zwischen Christentum und Transhumanismus in Zeiten von COVID-19" mit Oliver Dürr
Die globale Corona-Pandemie hat die Kernfrage des Transhumanismus in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt: Kann der Mensch den Tod mit wissenschaftlich-technischen Mitteln besiegen? Transhumanist*innen betrachten die Welt – im Sinne eines reduktionistischen Naturalismus – durch die Linse einer exklusivistisch aufgefassten naturwissenschaftlichen Methode und erhoffen sich dabei eine restlos verfügbar, kontrollierbar und damit beherrschbar gemachte Wirklichkeit. Die gegenwärtige COVID-19-Krise hat diesen transhumanistischen Traum paradoxerweise sowohl massiv in Frage gestellt als auch nachhaltig gefördert: Wie hilflos erscheint die Weltgemeinschaft im Angesicht eines vergleichsweise simplen Proteinaggregates, das ihre Existenz bedroht? Wie hoch sind aber gleichzeitig Hoffnung und Glaube an eine wissenschaftlich fabrizierte Lösung in der Gestalt eines Impfstoffs bzw. eines anderen Medikaments? Die Vorstellung einer technologisch unsterblich gemachten Menschheit ist uns zugleich näher und ferner denn je. Im Horizont der Corona-Pandemie müssen deshalb die Fragen nach Leben und Tod, Modell und Wirklichkeit und nicht zuletzt nach dem angemessenen Deutungsrahmen der Welt neu gestellt werden. Dabei kommen Christentum und Transhumanismus ins kritische Gespräch als zwei radikal verschiedene Perspektiven auf dieselbe Wirklichkeit – unsere Welt, unser Leben und unsere Zukunft darin.
Oliver Dürr (MTh), Diplomassistent bei Prof. Dr. Barbara Hallensleben am Lehrstuhl Dogmatik & Theologie der Ökumene der Universität Fribourg
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"Das Gebet lässt sich nicht säkularisieren“ mit Jean-Claude Wolf
Jean-Claude Wolf war von 1993 bis 2018 Ordinarus für Ethik und politische Philosophie an der Universität Fribourg und hat als Autor verschiedene Bücher geschrieben. Seine letzte Veröffentlichung erfolgte in diesem Jahr unter dem Titel "Philosophie des Gebets. Gebetsscham und Langeweile in der Moderne".
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"Christusbeziehung und politischer Widerstand - eine neutestamentliche Spurensuche" mit Thomas Schumacher
Thomas Schumacher ist Professor für Neues Testament an der Universität Fribourg.