Wochenprogramm

Thema 7 – Der Mensch vor Gott I

   Thema 6

Thema 8   

Ohne Vorbehalt und ohne Sorgen
leg ich meinen Tag in Deine Hand.

Sei mein Heute, sei mein Morgen, 
sei mein Gestern, das ich überwand.

Frag mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen, bin in Deinem Mosaik ein Stein.

Wirst mich an die rechte Stelle legen. Deinen Händen bette ich mich ein.

Edith Stein

Blog-Artikel

In seinem berühmten Buch Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung (1918) bezeichnet der Theologe und Religionswissenschaftler Friedrich Heiler das Gebet „als das Herz und der Mittelpunkt aller Religion. Nicht in den Dogmen und Institutionen, nicht in den Riten und ethischen Idealen, sondern im Beten erfassen wir das eigentlich religiöse Leben“. Er belegt das mit Zitaten von Theologen und Mystikern verschiedener Religionen, aber auch mit den Worten Ludwig Feuerbachs, des radikalsten unter den Religionskritikern; „der alle Religion zur Illusion stempelte“, und doch erklärte: „Das tiefste Wesen der Religion offenbart der einfachste Akt der Religion – das Gebet“. Wie Papst Benedikt XVI. in seinen eindrucksvollen Katechesen von 2011-2012 über das Gebet betonte, ist der Mensch auch im ‘säkularen Zeitalter’ ein ‘homo religiosus’ geblieben, in dessen Herz das Gebet eingeschrieben ist. Und doch dürfen wir das Gebet nicht für selbstverständlich halten: „Man muss beten lernen, indem man diese Kunst immer wieder aufs Neue erwirbt“ (so Papst Benedikt XVI. in der Audienz vom 4.05.2011).

Wir leben in Zeiten, in denen Angehörige verschiedener Religionen in ein und derselben Gesellschaft miteinander koexistieren. In der Nachbarschaft, aber auch am Arbeitsplatz, in den Bildungseinrichtungen und in den Medien werden wir mit Mitmenschen, Gebetsformen und Werten anderer Religionen konfrontiert. Der Respekt vor dem Wahren, Schönen und Guten in anderen Religionen (vgl. Nostra aetate 2) ist allgemein gestiegen – trotz der fundamentalistischen Gegenentwicklungen. Gebete aus anderen Religionen, auch aus solchen, die in ihrer Entwicklung mit dem Christentum nichts zu tun hatten, ziehen Christen an, wie etwa dieses Gebet an den Weltenschöpfer aus der alten Religion der Azteken:

 

„Im Himmel wohnst Du,

Du hältst den Berg,

Anahuac (= die Welt) ist in Deiner Hand,

überall wirst Du gehört,

angerufen, angefleht,

man sucht Deine Ehre, Deinen Ruhm.

Im Himmel wohnst Du,

Du hältst den Berg,

Anahuac ist in Deiner Hand.“

 

(aus: Miguel León-Portilla, La pensée aztèque.

Traduit de l’espagnol par Carmen Bernand, Paris 1985, 134)

 

Angesichts solcher Gebete fragen sich viele Christen heute, ob das alte Schema christlicher Theologie noch tauglich ist, wonach wir es in den Religionen und Gebeten verschiedener Kulturen mit einem Zeugnis „der religiösen Dimension und des Verlangens nach Gott“ zu tun haben, das „im Alten und im Neuen Testament ihre Erfüllung und ihren vollendeten Ausdruck“ findet, weil die biblische Offenbarung „die ursprüngliche Sehnsucht des Menschen nach Gott reinigt“ und „zur Erfüllung“ bringt, indem sie dem Menschen „im Gebet die Möglichkeit einer tieferen Beziehung zum himmlischen Vater bietet“ (so Papst Benedikt XVI. ebd.). Es ist heute gewiss eine dringende theologische Aufgabe, die Überlegenheitspose einer ‘Erfüllungstheologie’ im interreligiösen Dialog zu überwinden, und sich demütig darauf zu konzentrieren, den Christen, aber auch denjenigen, die sich für den christlichen Weg interessieren, deutlich zu zeigen, was ‘christliches Beten’ bedeutet, ohne deswegen das andersreligiöse Beten zu qualifizieren oder gar abzustufen.

Dabei bietet sich als Ausgangspunkt an, uns mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil der „göttlichen Berufung“ des Menschen (Gaudium et spes 22) zu vergegenwärtigen, da Gott den Menschen gleichsam als seinen ‘Gesprächspartner’ geschaffen hat: „Zum Dialog mit Gott (ad colloquium cum Deo) ist der Mensch schon von seinem Ursprung her aufgerufen: er existiert nämlich nur, weil er, von Gott aus Liebe geschaffen, immer aus Liebe erhalten wird (a Deo ex amore creatus, semper ex amore conservatur)“ (Gaudium es spes 19). Nicht ‘das’ Gespräch mit Gott, das es auch in anderen Religionen gibt, sondern die Art und Weise wie dieses formell und inhaltlich gestaltet wird, ist das Unterscheidende im christlichen Beten. Daher haben die Deutschen Bischöfe angesichts der multireligiösen Gesellschaftssituation betont: „Für die Christen heißt beten vor allem wie Jesus, mit Jesus und in Jesus beten“ (Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen, Bonn 2008, 28). Dann aber heißt christliches Beten, bei Jesus selbst in die Schule zu gehen, ihn mit den Jüngern zu bitten: „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1).

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Mariano Delgado

Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Fribourg, Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog sowie Dekan der Theologischen Fakultät

  • "Wie soll eine zukünftige Generation weiterleben? Bonhoeffer und Verantwortung heute" mit Christine Schliesser

    Christine Schliesser geb. 1977, studierte ev. Theologie und Englisch in Tübingen und Pasadena, USA. Am Gymnasium Münsingen war sie als Studienrätin tätig. Sie ist Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Zürich und Research Fellow in Studies in Historical Trauma and Transformation an der Universität Stellenbosch, Südafrika. Mit ihrem Mann Benjamin Schliesser und ihren drei Kindern lebt sie in der Nähe von Zürich.

   Thema 6

Thema 8