Wochenprogramm

Thema 8 – Der Mensch vor Gott II

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Thema 9   

Herr, lass mich vor dich kommen,
eintreten in das Licht deines Angesichts, in deine Gegenwart,
die Freude schenkt und Lob hervorruft.

Lass mich eintreten in das Jerusalem des Himmels
voll Licht und Schönheit.
Schenk mir die selige Teilhabe am Lobpreis der himmlischen Scharen.
Du bist allen Lobes würdig
und dir will ich dienen in Freude.

Lass wachsen, Herr,
die Gemeinschaft derer,
die dich in Freude preisen,
lass immer mehr
das Licht entdecken,
das das Herz jubeln lässt.
Lass uns deine Wege gehen, vor dir, im Licht deines Angesichts.

Martin Brüske

Blog-Artikel

Der Mensch vor Gott: Das ist eine biblische Positionsbestimmung des Menschen. Sie gibt seinen Ort an. Und dies ganz grundsätzlich: Der Mensch steht einfach, insofern er Mensch ist, in der Beziehung „vor Gott“. Der Mensch ist Mensch vor Gott. Die Bibel kennt den Menschen weder als ein geschlossenes und in dieser Geschlossenheit vollständiges, in sich abgeschlossenes, Wesen, noch kennt sie die Vorstellung einer Gott gegenüber gleichsam „neutralen“ Plattform menschlichen Lebens, von der aus sich der Mensch allererst entscheiden könnte, ob er vor Gott sein will oder ob er in „reiner“ Weltlichkeit existieren möchte.

Letzteres, die neutrale Plattform, ist nicht letzte Bestimmung des Menschseins, sondern vielmehr die notwendige Rechtsgestalt einer Gesellschaft in der Personen als Personen und damit als Träger einer absoluten Bestimmung, die sich im Gewissen artikuliert und als Würde zeigt, anerkannt werden. Gerade weil sich in Gewissen und Freiheit etwas Unbedingtes anzeigt, tritt der Staat zurück und gestaltet sich menschliches Zusammenleben als pflegliche Abgrenzung der Sphären der Selbstbestimmung. Dies ist nicht nur auf der Ebene von Staat und Gesellschaft dem biblischen Menschenbild kongruent, vieles spricht historisch dafür, dass – leider durch viele Fehlleistungen der Vertreter des Christentums hindurch und deshalb nicht ohne Brüche, Kämpfe und Verwerfungen – die Entdeckungsgeschichte einer solchen Form des Zusammenlebens in der Wirkung der biblisch bezeugten Offenbarung Gottes wurzelt. Und dass sie gefährdet ist, wenn sie ihre Wurzeln gänzlich vergisst. Christinnen und Christen werden deshalb für ihre Erhaltung kämpfen, aber genauso für die Präsenz dieser Wurzeln. Ihr Gedächtnis darf nicht verloren gehen.

Mit dem Stichwort „Gedächtnis“ und dem zugehörigen Akt des „Gedenkens“ finden wir uns aber sofort wieder mitten in biblischen Zusammenhängen vor. Eine auf Selbstbestimmung beruhende Gesellschaft spielt den Personen den Raum des Innewerdens ihrer letzten Bestimmung zu. Sie ersetzt sie nicht. (Fatal – nur dies sei angemerkt – wenn eine im deutschsprachigen Raum derzeit modische „Theologie“ eine formal, leer und absolut begriffene Autonomie zum letzten Ausgangspunkt der theologischen Reflexion macht und damit die vorletzte Ortsbestimmung des Menschen in der Gesellschaft mit seinem letzten Seinsort vor Gott verwechselt, der allein Ausgangspunkt solcher Reflexion sein kann.) Tatsächlich ist die biblische Bestimmung des Menschen vor Gott durchgreifend. Sie ist keine Randbestimmung, kein „auch noch“. Denn dem „vor Gott“ entspricht das „aus Gott“ seiner Geschöpflichkeit. Sie kennzeichnet den Menschen der Bibel radikal, also von seiner letzten Wurzel her. Sie ist aber gerade so keine bloss faktische, bare, platte Selbstverständlichkeit, sondern sie ist dem in der Zeit werdenden und darin zu sich kommenden Menschen als Gabe geschenkt und als Aufgabe zugemutet. Er darf und soll sich annehmen als von Gott sich, in jedem Augenblick, in die Hand gegebene Gabe, in der Gutheit seines Seins. Das ist Grundstruktur geschöpflicher Freiheit, die bei sich ist, wenn sie bei Gott ist, jenseits der Alternative von Heteronomie und Autonomie, die hier keinen Sinn mehr hat. Alles andere ist Entfremdung. Biblisch entspricht solcher Entfremdung die Gottvergessenheit. Gottvergessenheit ist zugleich Unaufmerksamkeit, metaphysische Schläfrigkeit und Trägheit. Das Gegenteil wäre Wachheit, Gottgedenken, Gebet. Der Mensch der Bibel steht zwischen Gottesgedächtnis und Gottvergessenheit. Den Weg des Wachens und Betens zu gehen, heisst den Weg des Gottgedenkens zu gehen und so immer tiefer und inniger zu realisieren, dass der Mensch Mensch vor Gott ist. Dieser Weg beginnt biblisch mit der Anrufung des Namens Gottes und schliesst das Gedächtnis seiner Taten ein. Solcher Anrufung ist die Gegenwart Gottes verheissen: Der Mensch vor Gott geht seinen Weg im Licht seines Angesichts.

Dr. Martin Brüske

Lehrbeauftragter im Bereich ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und ab August 2020 Dozent für Ethik am TDS Aarau.

  • "Was heisst: Gott erhört Gebet?" mit Christiane Tietz

    Der Vortrag gibt den Aufsatz "Was heisst, Gott erhört Gebet?" wieder, abgedruckt in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 106 (2009), S. 327-344.

    Christiane Tietz ist seit 2013 Professorin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Unter anderem setzt sie sich in ihrer Forschung schwerpunktmässig mit den Verhältnisbestimmungen von Religion und Politik, der Ökumene sowie Fragen klassischer Dogmatik auseinander. Bekannt ist Christiane Tietz u.a. für ihre biographischen Werke Karl Barth – ein Leben im Widerspruch (2018) und Dietrich Bonhoeffer – Theologe im Widerstand (2013).

  • "Ontologie des Dankens" (Teil 1) und "Ethik der Kontemplation" (Teil 2) mit Johannes Hartl

    Johannes Hartl kommuniziert die Faszination von Glauben und Spiritualität auf ansteckende Weise. Der promovierte katholische Theologe wurde 1979 geboren und studierte Germanistik und Philosophie, bevor er mit seiner Frau 2005 das Gebetshaus Augsburg gründete, in dem seit 2011 Tag und Nacht das Gebet nicht mehr verstummt und zu dessen Veranstaltungen Tausende Besucher kommen. Er ist Autor zahlreicher Bücher und international gefragter Konferenzredner, der es versteht, geistlichen Tiefgang mit Humor, Intellekt und hoher Praxisrelevanz zu verbinden. Johannes lebt mit seiner Frau Jutta und den vier Kindern in Augsburg.

  • "Zwischen Widerstand und Ergebung: Einige Impulse zum Umgang mit Leid und Anfechtung in praktischer Absicht" mit Peter Zimmerling

    Der Vortrag geht auf Spurensuche und fragt nach hilfreichen Impulsen für den Umgang mit Leid und Anfechtung in der christlichen Spiritualität. Dabei soll gezeigt werden: Der jüdisch-christliche Glaube eröffnet einen Raum zum Protest. In den Psalmen steht eine hervorragende Sprachhilfe für Leid und Anfechtung bereit. Menschen werden fähig, sich mit der Realität aussöhnen und zur Annahme des Leidens zu finden. Ein Leben unter dem geöffneten Himmel wird möglich, in dem niederschwellige spirituelle Rituale wie persönliche Segnungen oder Gebete mit Handauflegung und Salbung den Leidenden und Angefochtenen auf körperliche Weise die Zuwendung Gottes symbolisieren.

    Peter Zimmerling ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig, wo er seit 2012 der erste Universitätsprediger ist. Neben seiner Tätigkeit als Pfarrer, promovierte er bei Jürgen Moltmann über Zinzendorfs Trinitätslehre und habilitierte 1999 an der Universität Heidelberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind, u.a. das Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers, Spiritualität und evangelische Mystik, Seelsorge und Predigtlehre.

  • "Im Rhythmus der Zeit. Persönliches Beten mit dem Kirchenjahr" mit Stephan Wahle

    Im Mittelpunkt des Kirchenjahres steht das Wochen- und Jahrespascha. Christliche Existenz ist wesentlich österliche Existenz, die Teilhabe am Pascha-Mysterium Jesu Christi. Im Zyklus des natürlichen und kulturellen Jahresverlaufs wird diese Sinnmitte des Glaubens geweitet und in die Linerarität des Lebenslaufs entfaltet: vom Motiv des „anfänglichen Lebens“ (Weihnachtsfestkreis/Winter) über die Botschaft des „neuen Lebens aus dem Tod heraus“ (Osterfestkreis/Frühling) und den Aufbruch in das „geisterfüllte Leben“ (Pfingsten und Jahreskreis/Sommer) bis hin zur „Reifung und Vollendung des Lebens“ (Ende des Kirchenjahres/Herbst).

    Stephan Wahle (geb. 1974 in Winterberg/Westfalen) ist außerplanmäßiger Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg in Breisgau. Er leitet dort die Arbeitsstelle Liturgie, Musik und Kultur am Lehrstuhl für Dogmatik und Liturgiewissenschaft. Im Verlag Herder Freiburg ist sein Buch "Die stillste Nacht. Das Fest der Geburt Jesu von den Anfängen bis heute" erschienen.

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