Wochenprogramm

Thema 9 – Aktion und Kontemplation

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Thema 10   

Mein Gott, du hast mich geschaffen, ich lebe durch dich und trachte nach dir, wenn ich mit Seufzen das Gute erflehe.

Ich kenne dich ja als meinen Gott und weiß nur, daß ich dir dienen darf, denn du hast mir
Einsicht gegeben.

O du mein Helfer bei allem Guten, durch dich vollbringe ich gute Werke. Auf dich will ich all meine Hoffnung werfen und mich bekleiden mit deiner Huld. 

Hildegard von Bingen

Blog-Artikel

“Aktion und Kontemplation” so das Thema dieser Woche, mit der Betonung wohl auf dem “und”, das auf die Balance von beiden Polen hinweist. Dabei ist gar nicht von vornherein klar, dass diese beiden Begriffe im christlichen Glauben gleichwertig zusammen gehen. In der Tradition gab es eine Art “hellenistisches Vorurteil”, nämlich dass die Aktion den “weltlichen und materiellen Dingen” zuzuordnen sei, die Kontemplation dagegen den "geistlichen, immateriellen Dingen”. Damit war klar: die Kontemplation war das wichtigere, Aktion zweitrangig oder gar minderwertig.

Im Extremfall wird dann die Liebe zu Gott als “kontemplativ” bezeichnet, die Liebe zu Nächsten dementsprechend zur Aktion. Auch hier kann aus der Verordnung der Kontemplation schnell eine Abwertung der Aktion, der Tat der Liebe werden. Durch die Reformation kam dann eine weitere Schwierigkeit dazu: Aus Angst vor den “katholischen Werken” liefen die Reformatoren Gefahr, den Glauben einseitig und passiv aufzufassen. Glaube ist ein Geschenk reiner Gnade. Damit steht plötzlich jede “Aktion” unter dem Generalverdacht, hier wolle sich jemand selbstmächtig das Heil aneignen. Die Kontemplation verdünnte sich dadurch in ein reines, passives Empfangen – sie wurde quietistisch.

Der grosse Theologe Adolf Schlatter insistierte, dass die Reformatoren dadurch die Liebe vom Glauben abgetrennt haben. Für ihn war klar: Die Reformation hat den Glauben als Geschenk richtig erfasst, er bezeichnete diese Lehre als “Offenbarung des Heiligen Geistes”. Aber, so betonte er: Wer ein Geschenk erhält, der reagiert im Normalfall mit Dankbarkeit und Liebe. Der oder die Beschenkte wird von der Liebe des Gebers und aus Dankbarkeit für das Geschenk nun durch seine eigene Liebe in den Dienst, das heisst in die (Re-)Aktion getrieben. Das ist der Glaube, der durch die Liebe wirkt, von der auch Paulus im Galaterbrief spricht (Gal 5,6).

In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Betonung allerdings oft genau umgekehrt verschoben: Ohne Aktionen und Handlungen, ohne politisches Bewusstsein und Verantwortung ist Christsein fast nicht mehr denkbar. Dass es allerdings auch so etwas wie einen “politischen Messianismus” gibt, der sich zunehmend weniger durch die Kontemplation orientiert, sondern sich primär an den “Nöten des Nächsten” oder der Umwelt ausrichtet, darauf haben schon Johan Baptist Metz und Edward Schillebeeckx hingewiesen. Sinnigerweise wollen sie unter dem Stichwort “Mystik und Politik” diese Spannung weder auf die eine noch auf die andere Seite hin aufgelöst sehen. In dieser Spannung auszuharren, gilt es besonders in Zeiten von politischer und gesellschaftlicher Unruhe. Was dies für die Kirche heute bedeutet, müssen wir gemeinsam immer wieder neu von Gott her empfangen, entdecken und aushandeln.

Dr. Walter Dürr

Direktor des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und Pfarrer der Landeskirchlichen Gemeinschaft jahu.

  • "Zivilcourage - ein 'theologischer Begriff' (Karl Barth)?" mit Christine Schliesser

    Christine Schliesser, geb. 1977, studierte ev. Theologie und Englisch in Tübingen und Pasadena, USA. Am Gymnasium Münsingen war sie als Studienrätin tätig. Sie ist Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Zürich und Research Fellow in Studies in Historical Trauma and Transformation an der Universität Stellenbosch, Südafrika. Mit ihrem Mann Benjamin Schliesser und ihren drei Kindern lebt sie in der Nähe von Zürich.

  • "Retrieving Otherwordliness: On Action and Contemplation" / "Wiedererlangung der Jenseitigkeit: Über Aktion und Kontemplation" mit Hans Boersma (e/d)

    Action and contemplation together make up the Christian life. Although the active life and the contemplative life feed into each other, the latter holds a certain priority: contemplation (beatific vision) is our final end. This talk critiques the undue focus on action (and on this-worldly goods) in recent Reformed theology and in contemporary political readings of Scripture, concluding with a plea for a retrieval of otherworldliness.

    Aktion und Kontemplation bilden zusammen das christliche Leben. Obwohl das aktive Leben und das kontemplative Leben miteinander ergänzend verwoben sind, hat letzteres eine gewisse Priorität: Die Kontemplation (seligmachende Gottesschau) ist unser letztendliches Ziel. Dieser Vortrag kritisiert die unangemessene Fokussierung auf die Aktion (und auf diesseitige und weltliche Güter) in der jüngeren reformierten Theologie und in zeitgenössischen politischen Lesarten der Schrift und schliesst mit einem Plädoyer für die Wiedergewinnung der Jenseitigkeit.

    Hans Boersma has been professor at the Nashotah House Theological Seminary in Wisconsin (USA) since 2019. Prior to that he was professor at Regent College in Vancouver for fourteen years and at Trinity Western University in Langley for six years. Boersma is known for his books, including Seeing God: The Beatific Vision in Christian Tradition (2018), Scripture as Real Presence (2017), and Heavenly Participation (2011). His research focuses on Catholic thought, the Fathers of the Church and the spiritual interpretation of Scripture.

    Hans Boersma ist seit 2019 als Professor am theologischen Seminar Nashotah House in Wisconsin (USA) tätig. Davor war er während vierzehn Jahren Professor am Regent College in Vancouver sowie für sechs Jahre an der Trinity Western University in Langley. Bekannt ist Boersma u.a. für seine Bücher, darunter Seeing God: The Beatific Vision in Christian Tradition (2018), Scripture as Real Presence (2017) und Heavenly Participation (2011). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das katholische Denken, die Kirchenväter sowie die geistliche Interpretation der Schrift.

  • "Ein Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde – Inneres Leben und Solidarität" mit Frère Richard

    Wie geht es nach einem Aufenthalt in Taizé weiter? Taizé ist keine organisierte Bewegung. Die Besucher und Gäste werden eingeladen, sich in ihren eigenen Gemeinden zu engagieren und zu Hause Verantwortung zu übernehmen. Um junge Menschen darin zu unterstützen, initiierte Frère Roger einen „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“. Die Jugendtreffen, die Brüder von Taizé seit über vierzig Jahren sowohl in Europa als auch auf den anderen Kontinenten organisieren, sind Stationen auf diesem Weg.

    Frère Richard, geboren in Bargen (bei Aarberg), besuchte das klassische Gymnasium in Langenthal. Nach der Matura lebte er ein Jahr als Freiwilliger in Taizé und trat 1979 in die Communauté ein. Er hilft bei der Gestaltung der Jugendtreffen mit, ist an der theologischen Arbeit der Communauté und der Ausbildung der jüngeren Brüder beteiligt und pflegt für die Communauté Kontakte insbesondere mit Südosteuropa. 

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