Der grosse, offenbare Tag

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Ich setzte mich auf das Bett neben ihn. Ich ergriff seine Hand - Barmherziger! was hätte ich darum gegeben, diese Not lindern zu können! Doch sie wich allmählich, wie sie jäh gekommen war. Pitirim! sagte ich, erkennst du mich? Pitirim! Pitirim! - Ich rief viele Male vergebens.

Lass mich hinaus! glaubte ich sein Keuchen deuten zu können, als der Atem ruhiger ging. Und später noch einmal, da allen verständlich: Lass mich hinaus!

Nun wussten wir, wo er immer noch war. Aber vielleicht meinten wir das nur zu wissen. Als der Nachmittag zu Ende ging, irrte sein gefangener und umnachteter Geist durch die Jahrtausende, durch die das Heil zu uns gekommen ist, und rechtete da schon mit Ahimelech, dem Priester, daß er ihm von dem geweihten Brote gebe.

Warum, stöhnte er, warum soll ich nicht von den Schaubroten essen? Ich habe Hunger, ich habe Hunger..., ich habe sie nicht angerührt, Marfa... Gib mir die Brote! Lass mich hinaus!

Er wird die geweihten Brote in der Kirche gegessen haben, als er hungrig wurde, und Gott fordert Rechenschaft, flüsterte eine von den Frauen bei der Tür.

Ich nickte. Wenn es ihm doch das Brot des Lebens geworden wäre! dachte ich traurig.

Schließen! heulte er langgezogen, und das war das Schauerlichste, was er bislang geschrien hatte. Und dann, nach vielen Anstrengungen, ein Wort zu formen, die vergeblich blieben, kam noch einmal, so flehentlich, daß mir die Tränen in die Augen stiegen, seine letzte Bitte: ... Hinauuus!

Was er dann noch sagte, ging in dem Rasseln unter, mit dem seine Brust um Luft rang und einen blutigen Schaum über seine ausgedorrten, wie hornigen Lippen schickte. Die Hände auf der Decke griffen ziellos um sich, endlich war es nur noch ein Zucken, und auch das erlahmte. Als ihm das Kinn das nächste Mal auf die Brust sank, war kein Leben mehr da, das ihm den Mund wieder schloss. Aber dafür standen seine Augen jetzt zum ersten [120] Male offen und waren, da er wohl endlich hinausgelangt war, voll von einem großen, glanzlosen Staunen...

Uns blieb noch soviel Zeit gewährt, daß wir ihn in den Sarg legen und drei Tage und drei Nächte die Evangelien für ihn lesen konnten. Das alles geschah in meinem Hause. Auch das Totenamt ward dort vollzogen, und das Begräbnis geschah von dorther. Es war, als hätte er nirgends sonst Freunde besessen in seinem Leben als bei denen, die er verfolgt hatte. Die Panichiden hielt ich dort nicht mehr. Bald nachdem der klirrende und rasselnde Zug der Eisschollen auf dem Tuulos-Fluß aufgehört hatte, begannen die Panzerwagen der Roten Armee bei ihrem Aufmarsch zur finnischen Grenze zu rollen, und die große Straße am See war jetzt wie der Fluss einst. Und da wir nach soviel Wundern am Himmel und Zeichen auf Erden den großen und offenbaren Tag des Herrn nahe herbeigekommen wähnten, verließen wir unser Dorf, in dem die Aushebungen schon große Lücken unter den Meinen gerissen hatten, und zogen, als der Frühling in seiner Blüte stand, in den Wald hinaus. Denn, sehen Sie, dieser neue Krieg war ebenso wenig unsere Sache wie unsere Seite die rechte war; vielmehr verlangte uns alle, in denen der Geist des Herrn am Werke war, nur noch seine Zeugen zu sein bis ans Ende dieser Zeit.

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