Max Schoch (1990)

Der reformierte Luzerner Pfarrer und Hochschuldozent Max Schoch gehörte zu den Mitbegründern des Hauses der Stille im ehemaligen Kloster Kappel bei Zürich. Daher ist er für einen Grenzgänger zwischen wissenschaftlicher Theologie und Spiritualität in besonderer Weise sensibilisiert. Er kannte Nigg aus mehrfachen persönlichen Begegnungen und war in dessen Haus ein gern gesehener Gast. Auch Max Schoch sieht einen Zusammenhang zwischen Biographie und Werk: "Dass er jung verwaist war, mag dazu beigetragen haben, dass Walter Nigg mit außergewöhnlichem Ernst auf die Suche nach tragender Wahrheit und Wirklichkeit ging."[1] Als Zeitgenosse von Walter Nigg erklärt der sechs Jahre jüngere Schoch die breite Rezeption des Werkes auch aus dem Kontext der Fünfziger Jahre. "Nach dem Weltkrieg, in dem der soldatische und der ideologische Mensch gepriesen worden waren, ja vornehmlich die Lehren und Weltanschauungen an sich betont waren, wurde der Hinweis auf den Christen als frommen Menschen ein Wink, dem viele folgen mochten. Als das eigentliche zeitgeschichtliche Manko erschien vielen eben gerade diese Menschlichkeit. Nach soviel Lehre hieß man die religiöse Lebenswirklichkeit willkommen. Nicht zu vergessen ist auch, dass sich in jenen Jahren der Existenzialismus in verschiedenen Varianten den Zeitgenossen als hilfreich darstellte (...). Walter Nigg vermittelte mit der Beschreibung religiöser Menschen anschauliche Bilder radikaler christlicher Existenz. "[2]

Auch Max Schoch betont den bleibenden Einfluss, den Hermann Kutters theozentrische Theologie auf Nigg ausgeübt hat. "Er blieb ihm näher als Karl Barth, Thurneysen oder Emil Brunner. Die kirchliche Bestimmung des Unmittelbaren, nämlich dessen Konkretion in der Inkarnation des Wortes in Jesus Christus, hat er als reaktionäre Verengung abgelehnt. Weltweit, universell und zugleich individuell, in ausgewählten Existenzen der Menschheitsgeschichte zeigt sich das Übergeschichtliche. "[3] Wenn auch etwas pointiert, so hebt Max Schoch doch zutreffend die Bedeutung des Individuums für Walter Niggs Hagiographie hervor. Sie bestimme auch Niggs Christologie. "Die Gegenwart des Reiches in seiner Person ist das eigentliche Geheimnis des Glaubens."[4] Dass sich hier der prägende Einfluss von Niggs früher Kierkegaard-Lektüre zeigt, nimmt Max Schoch jedoch nicht wahr.

Max Schoch hebt auch den Einfluss hervor, den Rudolf Ottos Werk «Das Heilige" auf Nigg ausgeübt hat. Seine Heiligenviten wollen den Leser durch die Erfahrung des Heiligen als tremendum und fascinosum "in eine Andacht einführen. Der Leser soll in religiöse Kommunikation mit den Heiligen treten. Es geht Nigg um die Gegenwart und nicht um die Vergangenheit der Heiligen."[5] Damit zeigt Schoch, ohne es ausdrücklich zu betonen, den entscheidenden Grund für die Rezeption Niggs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Leser suchten Orientierung und Weisung durch Vorbilder gelebten Glaubens.

 


[1] Max Schoch. Walter Nigg (1903-1988). Abkehr von der Lehre - Zuwendung zum Heiligen. In: Stephan Leimgruber/ Max Schoch (Hrsg.) Gegen die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. und 20. Jahrhundert. Herder Verlag. Freiburg 1990. S. 591-599. S. 591f. Siehe auch: Max Schoch. Dionysos gegen den Gekreuzigten. Nachwort zu: Walter Nigg. Friedrich Nietzsche. Diogenes Verlag. Zürich 1994. (=detebe 22742). S. 203-217. Hier finden sich - wie in der Nigg-Forschung bisher leider üblich - eine Reihe von falschen Daten. So wird Niggs Geburtsdatum mit dem Jahre 1902 falsch angegeben. Ebenso das Datum der Erstausgabe von "Große Heilige" (1946) mit 1947.

[2] Max Schoch. Walter Nigg. S. 591.

[3] Ibid., S. 593.

[4] Ibid., S. 595. Vgl. auch: "Nigg ist kein schwärmerischer Gegner der Kirche. Doch muss er mahnen, dass sie die Hoffnung auf das Reich unter den Gläubigen lebendig erhalten und nicht in festen Institutionen, nicht im Kirchentum untergehen lassen darf." (S. 595)

[5] Ibid., S. 597.