Tersteegen-Forschung (1973/1986)
Gerhard Tersteegen[1] gehört neben Paul Gerhardt zu den überragenden Dichtern des evangelischen Kirchenliedes. Walter Nigg nahm Tersteegen unter der Überschrift "Der Heilige im Protestantismus"[2]in "Große Heilige" auf. Die Tersteegen-Forschung hat Walter Niggs Beitrag für die Wiederentdeckung des Mystikers Tersteegen positiv gewürdigt. So hob Hansgünter Ludewig in seiner Dissertation (1986) Niggs bleibendes Verdienst hervor, "dass Tersteegen unter das von ihm immer wieder neu entfachte Richtbild des Heiligen zu stellen sei."[3] Cornelius Pieter van Andel (1973) behauptet zwar, ohne den Nachweis zu erbringen, Nigg habe in "Große Heilige" durch "einseitige Beleuchtung und kritiklose Annäherung das Bild des Mystikers schiefgezogen und verzeichnet"[4], muss aber dennoch anerkennen, dass Nigg "Tersteegen den Weg in die Welt-Öffentlichkeit allgemein gebildeter Leser gebahnt hat."[5] Durch ihre einseitige Blickrichtung blieb es der Tersteegen-Forschung jedoch bislang verborgen, dass Nigg weit mehr als eine Rehabilitierung des rheinländischen Mystikers vorschwebte. Er verstand sich als sein Nachfolger im 20. Jahrhundert und er stellte ihn programmatisch neben andere "evangelische Heilige" wie Pestalozzi, Oberlin und Blumhardt.
[1] Jürgen Henkys. Gott ist gegenwärtig. In: Hansjakob Becker (Hrsg.). Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Beck Verlag. München 2001. S. 337-342. Henkys urteilt über den Mystiker Gerhard Tersteegen: "Tersteegen hat in seinem reformiert-pietistischen Umfeld mit Lebensbeschreibungen und mit Übersetzungen, vor allem aus dem Französischen, die Frömmigkeit der Mystiker in Erinnerung gerufen." (S. 343)
[2] Walter Nigg. Große Heilige. 1946. S. 309-354. "Er ist der Heilige im Protestantismus. In seltener Reinheit verkörpert er das Wesen jenes heiligen Menschen, der das Christentum als Existenzmitteilung begreift, die eine entsprechende Lebensführung verlangt." (S. 310) Die Formulierung verrät deutlich den Einfluss Kierkegaards auf Niggs Heiligenbild.
[3] Hansgünter Ludewig. Gebet und Gotteserfahrung bei Gerhard Tersteegen. Vandenhoeck und Ruprecht. Göttingen 1986. S. 47. Nigg hat diese Dissertation gelesen und sich u.a. folgendes Zitat von Gadamer angestrichen: "Wer einen Text verstehen will, ist (...) bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher muss ein hermeneutisch geschultes Bewusstsein für die Andersheit des Textes von vornherein empfänglich sein." (S. 11)
[4] Cornelius Pieter van Andel. Gerhard Tersteegen. Leben und Werk - sein Platz in der Kirchengeschichte. Neukirchener Verlag. 1973. S. 249. Dieses Werk befindet sich in der Nigg-Bibliothek wie auch das Buch der Nigg nahe stehenden Karmelitin Giovanna della Croce. Gerhard Tersteegen. Neubelebung der Mystik als Ansatz einer kommenden Spiritualität. Peter Lang Verlag. Frankfurt 1979.
[5] Ibid., S. 249.