Schulrecht
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Darf obligatorischer Religionsunterricht erteilt werden?
Es ist zwischen neutralem Religionskundeunterricht und konfessionellem Religionsunterricht in der öffentlichen Schule zu unterscheiden. Obligatorischer Religionskundeunterricht, der Religion neutral und wertefrei lehrt, ist mit dem Neutralitätsprinzip vereinbar und zulässig. Konfessioneller Religionsunterricht muss freiwillig sein.
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Wer entscheidet über die Teilnahme von Schüler:innen an konfessionellem Religionsunterricht?
Bis Schüler:innen das 16. Lebensjahr vollendet haben, bestimmen die Eltern über die religiöse Erziehung ihrer Kinder (ZGB 303 I). Die Eltern bestimmen in dem Sinne auch, ob ihre Kinder am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen.
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Müssen Privatschulen religiös neutral sein?
Für Privatschulen gilt die religiöse Neutralität nicht im selben Umfang wie für öffentliche Schulen. Sie dürfen religiöse Inhalt lehren, wobei Kantons- und Bundesrecht sowie internationales Recht respektiert werden müssen.
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Haben Schüler:innen ein Anrecht auf eine Dispens für religiöse Feiertage?
In vielen Kantonen ist eine Dispens für religiöse Feiertage gesetzlich vorgesehen. Gemäss Bundesgericht sollen Schulen möglichst grosszügig mit Dispensgesuchen für religiöse Feiertage umgehen. Sofern dies im kantonalen Gesetz nicht so vorgesehen ist, besteht aber kein gesetzlicher Anspruch auf eine Dispens.
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Haben Schüler:innen ein Anrecht auf eine Dispens von bestimmten Unterrichtsfächern aus religiösen Gründen?
Schüler:innen haben kein Anrecht auf eine Dispens von bestimmten Unterrichtsfächern aus religiösen Gründen. Aufgrund des öffentlichen Interessens insbesondere am Integrations- und Sozialisationsprozess der betreffenden Kinder wird einem solchen Gesuch auch nur selten stattgegeben. Das Bundesgericht hat die Nichtdispens vom Schwimmunterricht (für muslimische Knaben) und vom Sexualkundeunterricht gestützt (BGE 135 I 79 und BGer 2C_132/2014 vom 15. November 2014).
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Dürfen Schulen religiöse Bekleidungsvorschriften für Schüler:innen einführen?
Schüler:innen unterstehen keiner religiösen Neutralitätspflicht. Deshalb hat das Bundesgericht in einem konkreten Fall entschieden, dass ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unzulässig war (vgl. BGE 142 I 49). Allgemeine Bekleidungsvorschriften sind hingegen zulässig.
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Dürfen Schulen religiöse Bekleidungsvorschriften für Lehrpersonen einführen?
Die Schule ist an das Gebot der religiösen Neutralität gebunden. Wenn Lehrpersonen religiöse Symbole tragen, besteht die Möglichkeit, dass sie dadurch die religiösen Gefühle der Schüler:innen sowie deren Eltern verletzen. Bei der Beurteilung der Frage ist insbesondere dem Alter der Schüler:innen Rechnung zu tragen. In einem Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 1997 bestätigte das Bundesgericht das Kopftuchverbot für eine Genfer Primarschullehrerin (BGE 123 I 296).
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Dürfen Schulen religiöse Symbole anbringen?
Für die Beantwortung dieser Frage gibt es keine Allgemeinformel – es sind die Umstände des Einzelfalles massgebend. Das Bundesgericht kam 1990 im Kruzifix-Entscheid zum Schluss, das Kruzifix im Schulzimmer einer Tessiner Primarschule verstosse gegen die religiöse Neutralität (BGE 116 Ia 252). Es betonte aber, dass dieser Schluss nur für den konkreten Fall gelte. Es gilt deshalb im Einzelfall eine Lösung zu suchen, die für alle Beteiligten tragbar ist.
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Dürfen in der obligatorischen Schule christliche Weihnachtsfeiern gefeiert werden?
Grundsätzlich sind Weihnachtsfeiern in Schulen erlaubt. Es ist jedoch zu beachten, dass niemand gezwungen werden darf, an religiösen Handlungen teilzunehmen. Dementsprechend dürfen Schüler:innen nicht im Rahmen einer Weihnachtsfeier zu rituellen Handlungen wie zum Beispiel zu Gebeten oder religiösen Liedern gezwungen werden. Krippenspiele müssen freiwillig sein, wenn sie hauptsächlich aus Gebeten und religiösen Lieder bestehen (Dienststelle Volksschulbildung Kt. Luzern, Schule und Religion, S. 6). Nicht rituelle Handlungen wie Adventskranzbinden, Weihnachtskekse backen oder Krippenfiguren basteln sind unbedenklich.
Weiterführende Literatur
- Epiney, Astrid/Mosters, Robert/Gross, Dominique, Islamisches Kopftuch und religiöse Neutralität an der öffentlichen Schule, in: Pahud de Mortanges, René/Tanner, Erwin (Hrsg.), Muslime und schweizerische Rechtsordnung, FVRR 13, Freiburg 2002, S. 129 ff.
- Frank, Katharina/Jödicke, Ansgar, Öffentliche Schule und neue religiöse Vielfalt: Themen, Probleme, Entwicklungen, in: Baumann, Martin/Stolz, Jörg (Hrsg.), Eine Schweiz – viele Religionen, Risiken und Chancen des Zusammenlebens, Bielefeld 2007, S. 273 ff.
- Gut, Walter, Kreuz und Kruzifix in öffentlichen Räumen, Eine Auseinandersetzung mit Gerichtsentscheiden über Kreuze und Kruzifixe in kommunalen Schulzimmern, Zürich 1997.
- Hafner, Felix/Loretan, Adrian/Schwank, Alexandra, Gesamtschweizerische Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts, in: Kohler-Spiegel, Helga/Loretan, Adrian (Hrsg.), Religionsunterricht an der öffentlichen Schule, Zürich 2000, S. 55 ff.
- Lauber, Gerold, Bericht aus der Praxis: Wie verwirklicht man religiöse Neutralität in der Schule?, in: Pahud de Mortanges, René (Hrsg.), Religiöse Neutralität, Ein Rechtsprinzip in der multireligiösen Gesellschaft, FVRR 21, Zürich/Basel/Genf 2008, S. 137 ff.
- Pahud de Mortanges, René/Süess, Raimund, Muslime und schweizerisches Recht, Ein Ratgeber für Experten und Laien, FVRR 37, Zürich/Basel/Genf 2019.
- Pahud de Mortanges, René/Süess, Raimund, Religiöse Symbole in der Schule, Die Rechtslage in der Schweiz, in: Danz, Christian/Ritter, André (Hrsg.), Zwischen Kruzifix und Minarett, Religion im Fokus der Öffentlichkeit, Münster 2012, S. 75 ff.
- Plotke, Herbert, Schweizerisches Schulrecht, Bern 2003, insb. S. 149 ff. und 191 ff.
- Tappenbeck, Christian R./Pahud de Mortanges, René, Religionsfreiheit und religiöse Neutralität in der Schule, in: Pahud de Mortanges, René (Hrsg.), Religiöse Neutralität, Ein Rechtsprinzip in der multireligiösen Gesellschaft, FVRR 21, Zürich/Basel/Genf 2008, S. 105 ff.
- Winzeler, Christoph, Religionsunterricht in der Schweiz und Liechtenstein, in: Rinnerthaler, Alfred (Hrsg.), Historische und rechtliche Aspekte des Religionsunterrichts, Frankfurt am Main 2004, S. 481 ff.