21.08.2007

Murgänge in den Alpen: Zukunftsprognosen anhand von Jahrringen


Freiburg, den 21. August 2007. In Zukunft werden Naturkatastrophen wie Murgänge nicht unbedingt häufiger auftreten, dagegen dürften Ereignisse vereinzelt folgenschwerer sein. Diese Schlussfolgerung ziehen Experten des Labors für Dendrogeomorphologie der Universität Freiburg aufgrund der Analyse von Jahrringen von über 1000 Bäumen auf dem Kegel des Wildbachs Ritigraben im Wallis.

Nachdem er mit seinen Mitarbeitenden die Jahrringe von 1100 Bäumen untersucht hat, zweifelt Markus Stoffel, Lehr- und Forschungsrat der Einheit Geografie und Koordinator des Labors für Dendrogeomorphologie des Departements für Geowissenschaften, die These an, wonach die Klimaerwärmung zwingend mehr Murgänge periglazialen Ursprungs verursachen wird. Die auf dem Murkegel des Ritigraben im Mattertal erhobenen Daten zeigen, dass Murgänge mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1860 viel häufiger aufgetreten sind. Ein eigentlicher Höhepunkt in der Muraktivität wurde zwischen 1916 und 1935 verzeichnet, als die Sommermonate ausgesprochen heiss und feucht waren.

Der Freiburger Forscher hat zudem festgestellt, dass sich die Muraktivität im Laufe des 20. Jahrhunderts von den Monaten Juni und Juli gegen die Monate August und September verlagerte. Waren bislang mehrheitlich Sommergewitter für die Auslösung von Muren verantwortlich, dürften in Zukunft vermehrt Tiefdruckzellen südlich der Alpen und damit verbundene intensive Niederschläge im Spätsommer und Herbst zu Ereignissen führen. Die Beobachtungen der Jahrringforscher decken sich mit in Klimamodellen errechneten Tendenzen, die von wärmeren, aber auch trockeneren Sommerperioden und mehr Niederschlag im Frühling und Herbst ausgehen. Die vergleichweise tiefen Temperaturen sowie Schneefall in den periglazialen Anrissgebieten dürften indes die Auslösung von Muren im Frühling und Spätherbst verhindern. Aufgrund dieser Tatsachen werden Murgänge laut Markus Stoffel entgegen der landläufigen Meinung in Zukunft nicht häufiger auftreten. Dagegen muss künftig mit teils sehr grossen Ereignissen gerechnet werden, weil sich die Murrinnen kontinuierlich mit Material verfüllen und Sommergewitter zwar weniger zahlreich auftreten, in einem wärmeren Klima jedoch heftiger ausfallen dürften.

Die Häufigkeit von Murgängen rekonstruieren

Zu diesen Schlussfolgerungen ist der Forscher, der den Murkegel des Ritigraben im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) und des Kantons Wallis untersucht hat, dank dendrogeomorphologischen Untersuchungen gekommen. Mit dieser Methode lässt sich die Geschichte eines Baumes anhand seiner Jahrringe entschlüsseln, wie etwa sein Alter oder der Einfluss geomorphologischer Prozesse. Im Anschluss an das Studium der Geländemorphologie und der Kartierung der Murformen und Ablagerungen entnahmen die Freiburger Geografen auf einer Fläche von 32 Hektaren über 2400 Bohrkerne von lebenden Bäumen, die durch vergangene Murgänge in ihrem Wachstum beeinflusst wurden. Aufgrund dieser Störungen wie Wunden, schräggestellten Baumachsen, Wurzelfreilegung oder Kronenbruch lassen sich vergangene Murgangereignisse im Jahrringbild erfassen und so umfassende Dokumentationen zur vergangenen Muraktivität erstellen. Die Murgangrekonstruktion auf dem Kegel des Ritigrabens ist in ihrer Art und Länge weltweit einmalig: Von ursprünglich zehn dokumentierten Ereignissen seit 1922 konnte die Murganggeschichte bis ins Jahr 1570 verlängert werden. So liessen sich insgesamt 123 Ereignisse rekonstruieren. Weiter fällt auf, dass die letzten zehn Jahre im 300-jährigen Vergleich die Phase mit der geringsten Muraktivität darstellen, ein einziges Ereignis wurde im Jahr 2002 registriert. Über den gesamten untersuchten Zeitraum gesehen scheint die Murgangaktivität seit einigen Jahrzehnten eher rückläufig zu sein.

Das Labor für Dendrogeomorphologie der Universität Freiburg wird seine Erhebungen zur Murgangaktivität noch bis zum Jahr 2011 weiterführen und die Chronologie vergangener Ereignisse in 32 Wildbächen im Wallis analysieren. Nebst Daten zu vergangenen Murgängen erarbeitet die Gruppe um Markus Stoffel wichtige Grundlagen für die Schaffung von Gefahrenkarten zu Steinschlag, Überschwemmungen, Lawinen und Rutschungen. Als eine der weltweit führenden Institutionen erarbeiten die Freiburger Forscher auch Grundlagen zu Naturgefahren und vergangenen Ereignissen in Österreich, Frankreich, Spanien und Mexiko.

Infos: www.unifr.ch/dendrolab,
Bilder unter http://www.unifr.ch/spc/alb/thumbnails.php?album=43

Kontakt: Dr. Markus Stoffel, LFR, Departement für Erdwissenschaften, Tel. +41(0)26 300 90 15,
E-Mail : markus.stoffel@unifr.ch

Quelle: Dienst für Kommunikation und Marketing, Tel. +26 300 70 34, E-Mail : marcom@unifr.ch