07.06.2005
Fliegen mit Erinnerungen sind stressanfälliger
Freiburg, den 7. Juni. Ein gutes Gedächtnis hat seinen Preis. Dies konnten zwei Freiburger Biologen anhand von Lernexperimenten mit Taufliegen aufzeigen. Die Insekten mit im Langzeitgedächtnis gespeicherten Erinnerungen überlebten in Stresssituationen weniger lange als ihre Artgenossen mit nur kurzfristigen Erinnerungen. Diese Ergebnisse sind soeben im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht worden.
Frederic Mery und Tadeusz Kawecki vom Departement für Biologie führten mit mehreren Hundert Taufliegen (Drosophila melanogaster) Lernexperimente durch. Dabei trainierten sie die Tiere, einen bestimmten Geruch mit einem mechanischen Schock in Verbindung zu bringen. Einige Fliegen erlernten diesen Zusammenhang zwischen Geruch und Gefahr in einer einzigen langen Sitzung, andere Tiere in mehreren kurzen Lektionen. Im ersten Fall wird das neue Wissen im "Anästhesie-resistenten Gedächtnis" gespeichert, im zweiten Fall im viel dauerhafteren Langzeitgedächtnis. Letzteres geht nicht ohne Kosten: Um ein gutes Gedächtnis zu erlangen, mussten die Insekten Proteine produzieren. Nach dem Training setzten die beiden Freiburger Biologen die Taufliegen mit Nahrungs- und Wasserentzug unter Stress. Hatten die Tiere weniger stabile Erinnerungen angelegt, hielten sie diese extremen Bedingungen im Schnitt 21 Stunden lang aus. Jene, die Nährstoffe und Energie für Langzeiterinnerungen aufgewandt hatten, starben dagegen nach 17 Stunden. Offenbar ist der Energieverbrauch für das Anlegen von Langzeiterinnerungen so hoch, dass er die Insekten für Wasser- und Nahrungsmangel anfälliger macht, folgerten die beiden Forscher. Natur macht Nutzen-Kosten-Bilanz Nahrungs- und Wassermangel seien unter natürlichen Bedingungen keine Seltenheit für Taufliegen, schreiben Frederic Mery und Tadeusz Kawecki im Magazin „Science“ weiter. Daher könnten die neuen Beobachtungen vielleicht auch erklären, warum die Insekten überhaupt über mehrere unterschiedliche Erinnerungsmechanismen verfügten. „Die neuen Resultate lassen vermuten, dass das energetisch kostspielige Langzeitgedächtnis nicht nur Nutzen bringt, sondern auch mit ökologisch bedeutsamen Kosten einhergeht“, sagt Kawecki, der an der Universität Freiburg seit vier Jahren als Gruppenleiter in der Einheit Ökologie und Evolution die Kosten-Nutzen-Bilanz von Lernen als Überlebensstrategie erforscht. Ob und in welchem Ausmass die natürliche Auslese ein Langzeitgedächtnis bevorzugt, hänge im jeweiligen Fall davon ab, ob seine Kosten oder seine Vorteile überwiegen. Die Studie wirft damit auch die Frage auf, ob der Mensch während der Evolution für seine Intelligenz Einbussen in anderen Bereichen hinnehmen musste. Tadeusz Kawecki hält dies für wahrscheinlich: „Es ist davon auszugehen, dass unsere Spezies für ihre aussergewöhnlichen Erinnerungs- und Lernkapazitäten einen Preis bezahlt hat“. Artikel unter: http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/308/5725/1148 Fotos unter: http://www.unifr.ch/spc/alb/thumbnails.php?album=29 Kontakt: Tadeusz Kawecki, Einheit Ökologie und Evolution, Departement für Biologie, http://www.unifr.ch/biol/ecology/kawecki Tel.:+41 26 300 88 71; e-mail tadeusz.kawecki@unifr.ch Quelle: Dienst für Presse und Kommunikation, Tel.: 026 300 70 34, press@unifr.ch