15.02.2005

Schweizer Billigpreislinien sind rund 74 Prozent teurer als bei Aldi-Deutschland


Endlich fallen die Preise auch da, wo sie aus wirtschafts- und sozialpolitischer Sicht besonders wichtig sind: bei den permanenten Tiefpreisangeboten. Der Weg zu einem vernünftigen Preisniveau ist aber noch lang. Wie lang, zeigt der neuste Preisvergleich des Seminars für Finanzwissenschaft.

Da M-Budget von Migros nicht nur über lange Zeit die billigste, sondern auch die am besten ausgebaute Tiefpreislinie der Schweiz ist, haben Prof. Reiner Eichenberger, Shauna Selvarajah und Sandra Keller eine Auswahl von 94 Gütern des M-Budget Sortiments mit den günstigsten entsprechenden Produkten von Aldi Deutschland verglichen. Die Preisunterschiede sind frappent. Im Durchschnitt sind die schweizerischen M-Budget Preise um 74,3 Prozent höher als die deutschen Aldi Preise (umgerechnet zu einem Euro-Kurs von 1.55, Mengendifferenzen jeweils angeglichen). Da auch die Produkte der neuen Billiglinie von coop, Prix Garantie, praktisch gleich teuer wie die M-Budget Produkte sind, ist die Preisstruktur besonders interessant. Schwacher Wettbewerb bei der Verarbeitung Die Ergebnisse spiegeln die verschiedene Ursachen der Preisunterschiede: In den stark durch die Landwirtschaftspolitik, hohe Rohstoffpreise und staatliche Regulierungen gezeichneten Bereichen sind die Preisunterschiede besonders gross: So beträgt der durchschnittliche Preisunterschied bei den untersuchten 14 Fleisch- und Wurstprodukten 99,5 Prozent und bei 9 verschiedenen Käseprodukten 90,7 Prozent, wohingegen sie bei den 8 Körperpflegeprodukten bei 48,2 und den 17 Haushaltsprodukten bei „nur" 29,6 Prozent liegen. Die allergrössten Preisunterschiede finden sich dort, wo die hohen Schweizer Landwirtschaftspreise direkt durchschlagen: bei Kartoffeln mit 338,4 Prozent, Haushaltsmehl mit 209,7 Prozent, Zwiebeln mit 203,6 Prozent, Hackfleisch mit 186,7 Prozent und Speiseöl mit 153,2 Prozent. Kaum aussagekräftig ist hingegen der Milchpreis, der „nur" um 34,9 Prozent höher liegt, aber gemäss Migros „äusserst knapp kalkuliert werden muss". Gleichzeitig geben die Preisunterschiede einen Hinweis auf die mangelnde Wettbewerbsintensität in manchen Bereichen der Verarbeitung, insbesondere bei der Müllerei, den Ölen sowie auch bei Essig, der in der Schweiz immerhin 98,5 Prozent teurer ist. Leider ist aber auch die Absenz einer Schweizerischen Eigenproduktion kein Garant für tiefe Preise. Zwar ist Reis nur 5,1 Prozent teurer, Ananas aus der Büchse kosten aber in Scheiben 71,7 Prozent und in Stücken sogar 117,5 Prozent mehr. Die Preisunterschiede nehmen mit zunehmendem Verarbeitungsgrad leicht ab. So sind die Preisunterschiede für Spaghetti mit 55,7 Prozent und Spiralnudeln mit 48,3 Prozent oder Lasagne Bolognese mit 61,8 Prozent und Fleischravioli mit 68,0 Prozent tiefer als die Unterschiede für Mehl und Hackfleisch. Aber die immer noch hohen Unterschiede zeigen, dass die Verarbeitungsindustrie an den hohen Grundpreisen mitprofitiert. Besonders eindrücklich zeigen dies die Preisüberhöhungen bei den Pommes Frites mit 376,4 Prozent und den Pommes Chips mit 195,7 Prozent, die nicht alleine durch die ähnlich grossen Preisdifferenzen bei den Zutaten Kartoffel und Öl erklärt werden können. Genau so kann auch der Preisunterschied von Erbsli mit Rüebli in Büchsen mit 94,3 Prozent kaum mit dem nur um 26,2 Prozent höheren Karottenpreis erklärt werden. Günstige Kosmetika im Tiefstpreissegment Natürlich spiegeln die grossen Preisunterschiede auch die zum Teil noch hohen Zölle sowie die Beschränkungen der Parallelimporte. Diese sind in den meisten Nahrungsmittelbereichen in der einen oder anderen Form durch staatliche Regulierungen verboten, behindert oder zumindest stark erschwert. Zudem versuchen natürlich auch die Produzenten und Generalimporteure die Konkurrenz durch Parallelimporte zu behindern. Dass es in der Schweiz hingegen durchaus zu internationalen Tiefstpreisen geht, wenn die Märkte spielen können, zeigen viele Körperpflege und Haushaltsprodukte. So sind bei M-Budget das Schaumbad um 38,4, die Alufolie um 16,9, die Zahnbürsten um 12,7 und die Reinigungsschwämme um immerhin 7,8 Prozent billiger als bei Aldi. Gleichwohl sind viele Haushaltsprodukte in der Schweiz immer noch wesentlich teurer. Gewichtige Beispiele sind hier Zahnpasta mit 148,1 Prozent, kleine Stabbatterien mit 82,5 Prozent oder auch Windeln, die je nach Typ 38,4 oder 42,1 Prozent teurer sind. Personalintensität als kostentreibender Faktor Die oft gegen solche Preisvergleiche vorgebrachten Einwände ziehen nicht. So wird immer wieder argumentiert, die Schweizer Preise seien wegen der grossen Sortimentsbreite höher. Tatsächlich aber ist das Aldi-Sortiment rund dreimal breiter als das M-Budget-Sortiment. Genau so lassen sich die Preisunterschiede auch nicht mit Lohnunterschieden rechtfertigen. Die Löhne inklusive Lohnnebenkosten sind in Deutschland sogar eher höher als in der Schweiz. Allfällige Unterschiede zwischen Migros und Aldi in einzelnen Lohnkategorien reichen zudem niemals, um die Grössenordnung der Preisunterschiede zu erklären. Kostentreibend wirkt vielmehr, dass die Personalintensität im Schweizer Detailhandel viel höher ist als bei Aldi. Ein besonders beliebter Einwand ist schliesslich, die Schweizer Qualität sei halt immer noch besser. Immerhin schneiden M-Budgetprodukte bei Qualitätstests regelmässig sehr gut ab, wie kürzlich in einem innerschweizerischen Vergleich von K-Tipp das Kräutershampoo, das zwar 48.9 Prozent teurer als dasjenige von Aldi ist, aber qualitativ auch Markenshampoos weit hinter sich liess, die bis zum 27-Fachen kosten. Tatsächlich aber schneiden auch die Produkte von Aldi bei deutschen Warentests regelmässig hervorragend ab. Aldi sieht seine Kernkompetenz genau so wie M-Budget bei qualitativ guten Produkten zu günstigsten Preisen. Gegen das Qualitätsargument spricht auch das Ergebnis unserer letzten Untersuchung von Ende 2003. Damals haben wir die Preise von Markenprodukten verglichen, die dies- und jenseits der Grenze qualitativ praktisch identisch sind. Dabei waren die 91 untersuchten Produkte - 66 Nahrungsmittel, 25 Körperpflege- und Waschmittel - im Durchschnitt bei den billigen Schweizer Detailhandelsketten Migros, Carrefour und Denner im Durchschnitt um 84 Prozent teurer als bei den Deutschen Detailhandelsketten Lidl und Penny. Damit ist der durchschnittliche Preisunterschied bei Markenprodukten und den Tiefpreislinien auffällig ähnlich. Auf guten Pfaden Wohin führt die Preisreise in der Schweiz? „Sehr tief", lautet unsere optimistische Prognose. Zwar kann niemand sagen, wie gross die genauen Anteile der Hauptursachen - Marktstrukturen, Landwirtschaftspolitik und staatliche Regulierungen - an den Preisunterschieden sind. Doch der Markteintritt der deutschen Billigdiscounter und der nun zwischen Migros M-Budget und coop Prix Garantie entbrannte Preiswettbewerb wird zuerst schnell die Marktstruktur verändern und so die leicht realisierbaren Preissenkungen erzwingen. Immerhin sind die Preisunterschiede von M-Budget zu Aldi seit Jahresanfang von 77,1 auf die heutigen 74,3 Prozent zurückgegangen. Und das wird nun so weitergehen. Anfang 2006 mit dem Markteinstieg von Aldi werden die Kosten der hiesigen Regulierungen voll sichtbar. Dann wird sich zeigen, dass die Preise zwar einiges tiefer als heute, aber eben - gleich ob M-Budget, Coop Prix Garantie oder Aldi-Schweiz - immer noch wesentlich teuerer als bei Aldi-Deutschland sind, weil eben auch Aldi unter den hiesigen Regulierungen leben und leiden muss. Die Einstellung der Schweizer Bevölkerung zu den Regulierungen und zur Landwirtschaftspolitik wird sich dann schnell ändern, und unsere Politiker stärker als bisher dazu antreiben, mit dem schrecklichen Regulierungs- und Politiksalat aufzuräumen. Genau so wie sich Migros und Coop jetzt schon auf Aldi einstellen, sollten sich auch unsere Parteien und die betroffenen Interessengruppen, Importeure und Produzenten darauf einstellen, dass die Konsumenten dann ihre Rechte einfordern werden. Autoren: Reiner Eichenberger (Leiter des Seminars für Finanzwissenschaft der Universität Freiburg), Shauna Selvarajah (Assistentin) und Sandra Keller (freie Psychologin). Kontakt: Prof. Reiner Eichenberger, Seminar für Finanzwissenschaft, http://www.unifr.ch/finwiss/ Quelle: Eine gekürzte Version dieses Artikels ist in der SonntagsZeitung vom 13.02.2005 erschienen.