20.07.2004

Permafrost - weniger wärmeempfindlich als bisher angenommen


Freiburg, den 20. Juli 2004. Die globale Klimaerwärmung wird nicht unweigerlich ein umfassendes Abschmelzen des Permafrosts zur Folge haben. Zu diesem Schluss kommt Reynald Delaloye von der Universität Freiburg. Er hat im Jura, in den Alpen und in den Pyrenäen Permafrost-Gebiete untersucht, darunter solche, die nur 1200 Meter über Meereshöhe liegen. Dabei ist er auf einen effizienten Kühlmechanismus gestossen.

Seit dem Hitzesommers 2003 werden mögliche Folgen der globalen Klimaerwärmung für die Alpen nicht nur unter Fachleuten diskutiert. Neben dem dramatischen Rückgang der Gletscher gibt insbesondere das Schmelzen des Permafrosts zu Sorgen Anlass, denn Steinschlag und Murgänge könnten Verkehrswege und Siedlungen bedrohen. Umfassende Untersuchungen des Freiburger Geografen Reynald Delaloye zeigen nun aber, dass der Permafrost nicht so empfindlich auf Erwärmungen reagiert, wie bisher angenommen wurde. Gestützt auf Messungen im Rahmen des Permafrost-Beobachtungsnetzes in den Schweizer Alpen (PERMOS) weist der Forscher ein tieferes Auftauen als einzige nennenswerte Auswirkung des Sommers 2003 nach. In den Geröllablagerungen von Lapires (2500 m) oberhalb von Nendaz im Wallis verursachten die aussergewöhnlichen Temperaturen 2003 ein Auftauen bis in Tiefen von etwas mehr als 4 Metern. In den Vorjahren lag die Auftautiefe bei 3.5 bis 3.7 Metern. Mittels Tiefenbohrungen konnte zwar festgestellt werden, dass sich die Dauerfrostböden seit Anfang des 20. Jahrhunderts um ca. 0.5 bis 1°C erwärmt haben, Reynald Delaloye konnte jedoch bei Messreihen über sechs Jahre hinweg keine Veränderung der Bodentemperatur unterhalb von 4.5 Metern feststellen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit in Geomorphologie, die im Verlauf des Sommers publiziert wird, untersuchte der 34jährige Delaloye die Prozesse, welche die Entwicklung der Bodentemperatur von Dauerfrostböden in tieferen Lagen beeinflussen. Der Forschungsansatz ist von Bedeutung, da diese Dauerfrostböden als erste vollständig auftauen müssten, falls sich das Klima markant erwärmt. Reynald Delaloye konnte jedoch Permafrost an Orten nachweisen, an denen es eigentlich wegen der seit langem zu hohen Temperaturen gar keinen mehr geben sollte. Die überraschenden Resultate der Studie zeigen, dass die Zusammenhänge zwischen der Erderwärmung und der Veränderung der Dauerfrostböden viel komplexer sind, als bisher angenommen wurde. Dank Temperatursensoren und geophysikalischen Methoden entdeckte der Forscher verschiedene Mechanismen, die das Schmelzen des Permafrosts in der Tiefe der Geröllablagerungen zu verhindern scheinen. Um die komplexen Phänomene besser zu verstehen, beschäftigte sich Reynald Delaloye zuerst mit dem Permafrost in tiefen Lagen (1200 m) auf dem Creux du Van im Kanton Neuenburg. In Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Lausanne zeichnete er während mehrerer Jahre die Temperaturen an verschiedenen Stellen der Geröllablagerung auf. Dabei konnte er einen Ventilationsmechanismus nachweisen, der bislang noch nie beschrieben worden ist. Im Winter ist die Luft in der Geröllablagerung 0 bis 5 Grad wärmer als ausserhalb (-10 Grad): Dadurch ist sie leichter und steigt durch das Geröll auf; sie entweicht und bewirkt damit das Eindringen von kalter Luft auf den Grund des Gerölls. Diese Zufuhr von kalter Luft erzeugt einen „Kühlschrank-Effekt" und bewirkt ein umfassendes Gefrieren des Bodens bis in grosse Tiefen. Im Sommer verharrt der bedeutende Kaltluftvorrat in der Tiefe des Gerölls. So liegen die Durchschnittstemperaturen in den unteren Schichten des Gerölls im Jahresdurchschnitt um 3 bis 7 Grad tiefer als die durchschnittlichen Aussentemperaturen. Dass sich dieser Luftzirkulations-Mechanismus nicht auf den Creux du Van beschränkt, zeigten Untersuchungen in Geröllablagerungen verschiedener Höhenstufen der Freiburger Voralpen sowie bei Dauerfrostböden in höheren Lagen. Hier weist das Phänomen zum Teil ganz eindrückliche Ausprägungen auf. Mehr als einen Meter Durchmesser weisen die Öffnungen in der Schneefläche auf, durch die wärmere Luft entweicht. In grossen Höhen könnte der neu entdeckte dynamische Kühlmechanismus unter anderem den Erhalt des Eises in felsigen Gletschern erklären, die offensichtlich mehrere tausend Jahre alt sind. Es deutet vieles darauf hin, dass der Permafrost auch in hohen Lagen resistenter gegen Klimaveränderungen ist, als bisher angenommen wurde. Um die Mechanismen besser zu begreifen, die zur Erhaltung des Permafrosts beitragen, wird Reynald Delaloye seine weiteren Untersuchungen auf das genauere Verständnis des Phänomens der Luftströmung konzentrieren. In Zusammenarbeit mit Geografen der Universität Lausanne möchte er für bestimmte Regionen ein Verzeichnis der Orte erstellen, an denen sich der Kühl-Mechanismus nachweisen lässt. Er verspricht sich davon genauere Hinweise auf die Häufigkeit und die Bedeutung des Phänomens. Die Studie von Reynald Delaloye zeigt, wie wichtig fortlaufende Messungen der Bodentemperatur sind. Nur auf der Grundlage von systematischen Aufzeichnungen können Veränderungen analysiert und massgebliche Einflüsse ermittelt werden. In diesem Rahmen sollten insbesondere die Dauerfrostböden in sehr steilen Felswänden genauen Analysen unterzogen werden. Denn bei einem beträchtlichen oberflächlichen Auftauen, wie dies in der zweiten Hälfte des Sommers 2003 der Fall war, können sie am ehesten ein Problem darstellen. In Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Zürich wird Reynald Delaloye noch in diesem Sommer solche Untersuchungen vornehmen. Fotos stehen zur Verfügung unter : http://www.unifr.ch/spc/alb/index.php?cat=6 Auskünfte : Reynald DELALOYE Email : reynald.delaloye (at) unifr.ch

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