Klimawandel28.09.2022

Schlimmer als 2003: Schweizer Gletscher schmolzen wie noch nie


2022 war für Schweizer Gletscher katastrophal: Mit sehr wenig Schnee im Winter und anhaltenden Hitzewellen im Sommer wurden sämtliche Rekorde der Eisschmelze pulverisiert. Über 6 Prozent des Eisvolumens gingen verloren, berichtet die Expertenkommission für Kryosphärenmessnetze der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz.

Die Abschmelzraten übertreffen die bisherigen Rekorde aus dem Hitzesommer 2003 bei weitem: Die Gletscher haben im Jahr 2022 rund 3 Kubikkilometer Eis verloren, das sind mehr als 6 Prozent des verbleibenden Volumens. Als Vergleich: Bislang bezeichnete man Jahre mit 2 Prozent Eisverlust als «extrem». Besonders einschneidend war der Verlust für kleine Gletscher. Der Pizolgletscher SG, der Vadret dal Corvatsch GR und der Schwarzbachfirn UR sind praktisch verschwunden – die Messungen wurden eingestellt. Die Entwicklungen zeigen aber auch, wie wichtig Gletscher in heissen und trockenen Jahren für Wasserhaushalt und Energieversorgung sind. Alleine die Eisschmelze in Juli und August hätte genügend Wasser geliefert, um sämtliche Stauseen der Schweizer Alpen von null auf zu füllen. Im Engadin und im südlichen Wallis verschwand auf 3000 Metern über Meer eine Eisschicht von 4- 6 Metern Dicke. Das ist teils mehr als doppelt so viel wie das bisherige Maximum. Selbst an den allerhöchsten Messpunkten (z.B. Jungfraujoch) wurden deutliche Verluste gemessen. Der mittlere Eisdickenverlust liegt in allen Regionen bei rund 3 Metern, erreicht teils gar Werte über 4 Meter (z.B. Griesgletscher VS, Ghiacciaio del Basòdino TI). Beobachtungen zeigen, dass viele Gletscherzungen zerfallen und Felsinseln aus dem dünnen Eis inmitten des Gletschers auftauchen. Diese Prozesse beschleunigen den Zerfall weiter.


Vergleich der Zunge des Gornergletschers (VS) zwischen 1930 und 2022. (Foto: swisstopo / VAW Glaziologie - ETH Zürich)
Schnee nur im Frühwinter 2021/22
Es war ein Drama mit Ansage: Die Schneehöhe in den Alpen war im Frühling so gering wie noch selten, vor allem im Süden der Schweiz. Hinzu kamen die grossen Mengen an Saharastaub zwischen März und Mai. Der verunreinigte Schnee nahm mehr Sonnenenergie auf und schmolz schneller. Damit verloren die Gletscher den schützenden Schnee bereits im Frühsommer. Die anhaltende, teils massive Hitze zwischen Mai bis Anfang September dezimierte deshalb das Gletscher-Eis. Das Einschneien erfolgte im Winter 2021/22 für die meisten Gletscher Anfang November, was ungefähr der Norm entspricht. Allerdings verschwand die Schneedecke auf allen Höhenstufen rund einen Monat früher als üblich. Die über 80-jährige Messreihe auf dem Weissfluhjoch (GR, 2540 m) zeigte das zweitfrüheste je gemessene Ausaperungsdatum (6. Juni). Die Sommermonate waren rekordmässig heiss, sonnig und wolkenlos. So sank z.B. an der MeteoSchweiz-Station Jungfraujoch (VS, 3571 m) zwischen Juni und August an 41 Prozent aller Tage die Temperatur nie unter den Gefrierpunkt (durchschnittlich sind es 25 Prozent). Der Sommer war auch extrem trocken. Bis Mitte September gab es im Hochgebirge nur wenige Zentimeter Neuschnee. Der vergangene Winter brachte insgesamt sehr wenig Schnee, gerade im Mittelland und in der Südschweiz. In Basel und Luzern wurde überhaupt kein Schnee gemessen. Besonders schneearm war es am Alpensüdhang, insbesondere im Tessin und im Simplongebiet. Unterhalb von 1600 m fiel verbreitet kaum Schnee. An mehreren Tessiner Messstationen wurde seit Messbeginn 1959 noch nie eine so geringe mittlere Schneehöhe gemessen. Oberhalb 2000 m waren die mittleren Schneehöhen am Alpensüdhang nur rund halb so hoch wie normal. Am Alpennordhang und im Engadin lagen sie oberhalb 1200 m bei 70 bis 100 Prozent der langjährigen Normwerte (1991- 2020).

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Foto: SCNAT