Psychologie12.03.2025

Arbeiten Kinder besser allein als in Gesellschaft?


Die Anwesenheit einer unbekannten Person kann die Geschwindigkeit, mit der Kinder Tests absolvieren, erheblich verlangsamen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie mit 123 Kindern. Diese Erkenntnis ist keineswegs trivial, sondern unterstreicht die Bedeutung des physischen und sozialen Umfelds, da es die kognitive Kontrolle beeinflussen kann.

Psycholog_innen interessieren sich besonders für die Entwicklung der kognitiven Kontrolle bei Kindern. Es ist bekannt, dass eine gut ausgeprägte kognitive Kontrolle mit schulischem Erfolg, gesundheitlichem Wohlergehen und – überraschenderweise – sogar mit dem späteren Einkommen in Zusammenhang steht. Im Schulalltag setzen Schüler_innen diese Fähigkeit regelmässig ein, etwa wenn sie Impulse unterdrücken und geduldig darauf warten, bis sie an der Reihe sind, anstatt einfach das Wort zu ergreifen.

Angesichts der Bedeutung der kognitiven Kontrolle wollen die Forschenden seit langem eine Methode entwickeln, um die Leistung zu verbessern, insbesondere bei Kindern, die in diesem Bereich Schwächen zeigen. Bisher sind die Ergebnisse jedoch uneinheitlich. «Aus diesem Grund haben wir beschlossen, den Einfluss des sozialen und kulturellen Umfelds auf das kognitive Engagement zu untersuchen», erklärt Valérie Camos, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Freiburg.

Die Rolle des sozialen Kontextes
Die Forschung in diesem Bereich ist nicht neu: Bereits 1904 stellte der Psychologe F. H. Allport fest, dass Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren besser lesen und rechnen, wenn sie in Gruppen arbeiten, anstatt allein – ein Phänomen, das als «soziale Erleichterung» bekannt ist.

Bei Erwachsenen konnten Psycholog_innen nachweisen, dass die Anwesenheit anderer Personen die Leistung bei einfachen Aufgaben verbessert, während sie sich bei komplexeren Aufgaben mit höherem kognitivem Anspruch negativ auswirken kann.

Doch wie verhält es sich bei Kindern im Vorschul- und Schulalter? Kann ihre Leistung durch die blosse Anwesenheit einer unbekannten Person – etwa in einer Prüfungssituation – beeinflusst werden? Diese Frage untersuchte eine Studie, die am 18. Februar 2025 in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurde.

Experiment in China
Das Experiment fand in Peking statt – der Stadt, in die Aurélien Frick, der Erstautor der Studie, ursprünglich für sein Postdoktorat reisen wollte, was jedoch durch die Covid-19-Pandemie verhindert wurde. Stattdessen übernahmen chinesische Studierende die Durchführung. Untersucht wurden 123 Kinder, die in zwei Altersgruppen eingeteilt wurden (4–5 Jahre und 8–9 Jahre). Sie absolvierten eine Reihe kognitiver Tests unter zwei verschiedenen Bedingungen: In einer Variante waren sie allein im Raum, in der anderen befand sich eine erwachsene Person, die sie 60 % der Zeit beobachtete – ein Standardverfahren in Studien zur sozialen Präsenz.

«Wir konnten beobachten, dass allein die Anwesenheit eines Erwachsenen die Reaktionszeiten verlängerte – besonders deutlich bei den 4- bis 5-Jährigen», erklärt Valérie Camos. Allerdings beeinträchtigte die Anwesenheit der Beobachter_innen nicht die Qualität der Antworten – weder bei den Jüngeren noch bei den Älteren.

Das Forschungsteam vermutet, dass eine unbekannte Person allein durch ihre Anwesenheit bestimmte kognitive Ressourcen der Kinder beansprucht – insbesondere jene, die für vorausschauendes Denken und Reflexion erforderlich sind. «Diese Präsenz stört die sogenannte proaktive Kontrolle – also die Fähigkeit, im Voraus über die beste Antwort nachzudenken», erläutert Camos. Besonders bei den jüngeren Kindern scheint die fremde Person einen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, wodurch ihre Fähigkeit, relevante Informationen aktiv im Arbeitsgedächtnis zu behalten, abnimmt.

Bedeutung für Bildung und Lernen
Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für die Pädagogik. Kinder mit Schwierigkeiten in Lesen oder Mathematik – Fächer, die eine starke kognitive Kontrolle erfordern – könnten durch die Anwesenheit einer unbekannten prüfenden Person stärker beeinträchtigt werden. «Unsere Studie zeigt, wie wichtig das soziale und physische Umfeld für die kognitive Leistung ist. Dies muss insbesondere von Schulpsycholog_innen berücksichtigt werden, die in Klassen gehen, um Kinder zu evaluieren. Für die Kinder sind sie Fremde – und nun wissen wir, welchen Einfluss das auf ihre kognitive Kontrolle haben kann», resümiert Valérie Camos.

Quelle:
Frick, A., Belletier, C., Tan, W., Ning Meng, Qiang Zhou, Stella Christie & Valérie Camos.The effects of an unfamiliar experimenter on proactive and reactive control in children. Sci Rep 15, 5860 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-025-89193-9