16.04.2010

Gute Noten für Mathematiklehrer-Ausbildung in der Deutschschweiz


Die internationale Lehrerbildungsstudie TEDS-M mit der Universität Freiburg als Schweizer Leading house stellt der Deutschschweizer Mathematiklehrerausbildung ein gutes Zeugnis aus. Die ersten Teilergebnisse der vom Departement Erziehungswissenschaften der Universität gemeinsam mit den Pädagogischen Hochschulen Zentralschweiz und St. Gallen durchgeführten Analysen zeigen, dass die angehenden Lehrpersonen am Ende ihrer Ausbildung im internationalen Vergleich über hohe Kompetenzen in Mathematik und Mathematikdidaktik verfügen. Die Studie ergab aber auch, dass in der pädagogisch-psychologischen Ausbildung wichtige Aspekte vergleichsweise selten behandelt werden. Zwar wird den Praxiserfahrungen ein hohes Gewicht beigemessen, doch können die Studierenden selten über längere Zeit alleinige Verantwortung für eine Klasse übernehmen.

Die angehenden Lehrpersonen der Primarstufe und der Sekundarstufe I der Deutschschweiz verfügen im internationalen Vergleich mit 14 Ländern1 über hohe mathematische und mathematikdidaktische Kompetenzen. Die Durchschnittswerte liegen rund 30 bis 50 Punkte über dem internationalen Mittelwert von 500 Punkten2. Einzig gegenüber den beiden besten Ländern Taiwan und Singapur zeigen sich teilweise beträchtliche Leistungsabstände. Eine Bewertung dieser Abstände muss aber die Unterschiedlichkeit der Ausbildungssysteme der einzelnen Länder mitberücksichtigen.
Angehende Deutschschweizer Primarlehrpersonen, die eine Lehrberechtigung bis zur sechstenJahrgangsklasse erwerben, verfügen über eine höhere mathematische Kompetenz als angehende Lehrpersonen für die Unterstufe. Der Unterschied in der mathematikdidaktischen Kompetenz ist zwar auch signifikant, fällt aber geringer aus.

Wenige ganz schwache Leistungen

Erfreulicherweise erreicht der grösste Teil der angehenden Deutschschweizer Lehrpersonen Mindestanforderungen an fachlicher und fachdidaktischer Kompetenz in Mathematik. Dennoch ist anzustreben, den Anteil Studierender mit sehr schwachen fachlichen Leistungen weiter zu reduzieren oder ganz zu eliminieren. Umgekehrt werden – bei einem hohen durchschnittlichen Leistungsniveau – weniger Spitzenleistungen ausgewiesen. Dies hängt bei der Sekundarstufe I auch damit zusammen, dass in der Deutschschweiz, anders als etwa in Deutschland, keine angehenden Gymnasiallehrpersonen getestet wurden.
Das positive Bild für die Deutschschweiz wird durch den geringeren Spezialisierungsgrad der Lehrerausbildung in der Schweiz aufgewertet. In vielen anderen Ländern erwerben die angehenden Lehrpersonen auch auf der Primarstufe nur eine Lehrberechtigung für wenige Fächer oder durchlaufen eine spezialisierte Ausbildung mit Schwerpunkt Mathematik. In der Deutschschweiz hingegen werden Primarlehrpersonen zu Generalistinnen und Generalisten für fast alle Unterrichtsfächer ausgebildet. Auch auf der Sekundarstufe I ist die Spezialisierung in der Deutschschweiz weniger ausgeprägt als in den meisten anderen Ländern.

Kaum Geschlechterdifferenzen

In der Deutschschweiz zeigen sich nur bei der mathematischen Kompetenz der angehenden Primarlehrpersonen Geschlechterunterschiede. Der Vorsprung der Männer von 21 Punkten entspricht etwa den bei den PISA-Studien gefundenen Unterschieden. Bei den angehenden Lehrpersonen der Sekundarstufe I ist kein Geschlechterunterschied zu finden. Vermutlich findet durch eine bewusste Wahl bzw. Abwahl von Mathematik eine positive Selbstselektion statt, so dass zwar weniger, aber nur mathematisch kompetente bzw. kompetentere Frauen die Ausbildung beginnen. In der Mathematikdidaktik besteht weder bei der Primar- noch bei der Sekundarstufe I eine Geschlechterdifferenz.

Handlungsleitende Überzeugungen zum Lehren und Lernen von Mathematik

Die Ergebnisse zeigen, dass die angehenden Studierenden aller TEDS-M-Länder im Durchschnitt stärker eine konstruktionsorientierte Sichtweise des Lehrens und Lernens mathematischer Inhalte als eine transmissionsorientierte Perspektive einnehmen. Dies bedeutet, dass sie eine grössere Überzeugung für ein Lehrverhalten besitzen, das auf Verständnis, Selbstständigkeit und Lernbegleitung ausgerichtet ist, als auf eine auf standardisierten Vermittlungsverfahren basierende Lehrtätigkeit. Besonders stark ausgeprägt ist diese konstruktionsorientierte Sichtweise in den mittel- und nordeuropäischen Ländern Deutschschweiz, Deutschland und Norwegen, aber auch in Chile und Taiwan. Gesamthaft kann festgehalten werden, dass die Lehrerausbildung in der Deutschschweiz ein sehr stark eigenaktives und selbststeuerndes Lehr-Lernkonzept entwickelt hat und aufrecht erhält.

Lerngelegenheiten in der pädagogisch-didaktischen Ausbildung: Wichtige Aspekte
nur knapp behandelt

Die pädagogisch-didaktischen Lerngelegenheiten sind nach Einschätzung der Studierenden der Deutschschweiz im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich vorhanden. Die pädagogische Ausbildung und deren Praxisreflexion scheinen in der Deutschschweiz noch keinesfalls optimal zu sein. Die Gelegenheit zur Reflexion des professionellen Selbstverständnisses ist im Vergleich zu anderen Ländern gering. Hier scheint ein europäisches Phänomen sichtbar zu werden, das vermutlich mit der Bewertung des Lehrerberufs in den jeweiligen Kulturen und Gesellschaften zusammenhängt. Die europäischen Länder Deutschland, Spanien, Norwegen und Polen liegen zusammen mit der Deutschschweiz hinsichtlich der hier betrachteten Lerngelegenheiten fast durchwegs am Ende der Ländervergleiche.

Hoher Stellenwert der Praxisausbildung – wenig Gelegenheit, selbstständig zu unterrichten

Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden in den Praktika häufig unterrichten können. Allerdings erhalten sie kaum Gelegenheit alleine, d.h. ohne Anwesenheit der Praxislehrperson, zu unterrichten. Möglicherweise kommen die angehenden Lehrpersonen dadurch während der Ausbildung zu wenig mit den eigentlichen Schwierigkeiten des Klassenmanagements in Berührung, da sie in einer relativ sicheren „heilen“ Schulwelt unterrichten lernen. Es fehlt das Lernen und Sammeln von authentischen Erfahrungen in der Schule (“Emergency-Room-School“). Gerade in dieser Hinsicht kommt der von Mentorinnen und Mentoren begleiteten Berufseinführungsphase eine zentrale Bedeutung zu. Derartiges Erfahrungslernen darf aber keinesfalls nur der Berufseinführungsphase überlassen werden, solange diese kein fester und verbindlicher Bestandteil der Ausbildung ist.

Was ist TEDS-M?
TEDS-M (Teacher Education and Development Study: Learning to Teach Mathematics) ist
die erste international vergleichende empirische Studie zur Wirksamkeit der Lehrerausbildung. Sie wird international von der IEA (International Association for the Evaluation of Educational Achievement)3 organisiert und untersucht die Ausbildung für den Unterricht im Fach Mathematik auf der Primarstufe und der Sekundarstufe I. In der Schweiz wird TEDS-M in einem Kooperationsprojekt von der Universität Fribourg und den Pädagogischen Hochschulen Luzern (PHZ Luzern) und St.Gallen (PHSG) durchgeführt.
An der Studie haben sich weltweit 17 Länder beteiligt. Insgesamt wurden im Frühjahr 2008 mehr als 20'000 angehende Lehrpersonen getestet. In der Schweiz nahmen mehr als 1'000 Studierende aller Lehrerbildungsinstitutionen der Deutschschweiz teil.

Erfassung professioneller Kompetenzen angehender Mathematik-Lehrpersonen
Eines der Kernanliegen von TEDS-M ist über die Länder hinweg zu vergleichen, über welche mathematischen und mathematikdidaktischen Kompetenzen angehende Lehrpersonen am Ende ihrer Ausbildung verfügen. Die ersten Ergebnisse der Studie geben auch Auskunft darüber, wie sich die Lerngelegenheiten von Lehramtsstudierenden gestalten, über welche (handlungsleitenden) Überzeugungen zum Lehren und Lernen von Mathematik sie verfügen und welche Praxiserfahrungen gemacht wurden.

> ANHANG

> Dokumentation

Projektgruppe

TEDS-M wird in der Schweiz in Kooperation von drei Institutionen durchgeführt:

Universität Fribourg
Departement Erziehungswissenschaften
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Fritz Oser, em. (NRC), fritz.oser@unifr.ch
Dr. Horst Biedermann (Co-NRC), horst.biedermann@unifr.ch

Pädagogische Hochschule Zentralschweiz in Luzern
Institut für Pädagogische Professionalität und Schulkultur (IPS)
lic. phil. Sibylle Steinmann, sibylle.steinmann@phz.ch
dipl. math. Margit Kopp, margit.kopp@phz.ch

Pädagogische Hochschule des Kantons St.Gallen
Institut Professionsforschung und Kompetenzentwicklung
lic. phil. Christian Brühwiler, christian.bruehwiler@phsg.ch
lic. phil. Samuel Krattenmacher, samuel.krattenmacher@phsg.ch
Das Projekt wurde in der Schweiz finanziell unterstützt durch die CORECHED, die PHZ Luzern und die PH des Kantons St. Gallens

Auskunft
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Fritz Oser, em. (NRC), fritz.oser@unifr.ch
Dr. Horst Biedermann (Co-NRC), horst.biedermann@unifr.ch
Universität Freiburg, Departement Erziehungswissenschaften
Tel. +41 (0)26 300 75 59/28