21.04.2010

Der Blog: Ein Schlüssel zur Welt der Jugendlichen


Entgegen aller Stereotypen zum Verhalten der Jugendlichen, entpuppt sich der Blogspace als ein soziologisch äusserst reiches Terrain und ermöglicht uns einen Einblick in eine Welt, in der nicht Sex und Revolution propagiert werden, sondern vielmehr Romantik und normatives Verhalten. Zu diesem Schluss kommt Claire Balleys, Soziologin an der Universität Freiburg, in ihrer Studie zum Abgrenzungsprozess von 12- bis 15-jährigen.



Im Rahmen ihrer Doktorarbeit zum Individualisierungsprozess von Jugendlichen stiess die auf Jugendforschung spezialisierte Soziologin Claire Balleys auf den Blogspace und ihr wurde bewusst, dass dieses neue Kommunikationsmittel dem Thema eine gänzlich neue Dimension anfügte. Dank ihrer Forschung konnte Balleys sich in den Blogs ein Bild von deren Inhalten machen – Inhalte, die den Erwachsenen normalerweise verwehrt bleiben. Die Beobachtungen der Wissenschafterin enthüllen Überraschendes: Zuerst einmal - entgegen aller vorherrschenden Ideen - stellen die Jugendlichen öffentlich einen ausgeprägten Sinn für Romantik zur Schau. Vor breitem Publikum gemachte Liebeserklärungen und Freundschaftsversprechen sind an der Tagesordnung; nur wer eine „gestandene“ Beziehung vorweisen kann, weiss, wovon im Leben die Rede ist und darf sich „erwachsen“ nennen. Die Sexualität hingegen ist nur sehr selten ein Thema im Blog.



Unter sozialem Druck
Nicht minder auffällig als die gelebte Romantik sind die normativen Vorgaben und die gegenseitigen Klassierungen – zwei soziale Druckmittel, die im Rahmen der Sozialisierung übers Internet eine neue Grösse erlangen. Die Klassierungen sowie die damit verbundenen vorangehenden Strategien sind im Blog öffentlich und werden durch die Online-Publikation sozusagen greifbar. Auch Beleidigungen, Abrechnungen und andere Arten der Zurechtweisung werden publiziert und durch die Peer-Community kommentiert. Die Jugendlichen sind dadurch einer starken sozialen Kontrolle ausgesetzt, was zu einer Spannung führt zwischen dem Wunsch „authentisch“ zu sein und im Blog „alles zu sagen“ und der Tatsache, dass das Gesagte mit Argusaugen durchleuchtet wird. Die Wissenschafterin der Universität Freiburg betont, dass das Hauptrisiko im Benutzen dieser Art von Kommunikationsmitteln nicht hauptsächlich in der Gefahr einer schlechten Bekanntschaft liegt, sondern vielmehr durch den Druck entsteht, welcher mit dem Kommentieren von Gesagtem einhergeht und in gewissen Fällen sehr harsch ausfallen kann.

Erwachsene nicht erwünscht
Gewisse Jugendliche begeben sich in einen Blogspace, um dort Gleichgesinnte zu treffen, die einem selben Hobby nachgehen oder dieselbe Leidenschaft teilen. Der grösste Teil der jugendlichen Blogger aber trifft im Blog sein bereits existierendes Umfeld wieder – der Blog verlängert sozusagen die Pause im Schulhof. So freizügig das Gesagte im geschlossenen Raum des Blogs publiziert und mit allen Mitbloggern geteilt wird, so geheim ist es für die Erwachsenen, insbesondere für die Eltern. Im Blog entsteht damit eine einmalige erwachsenenfreie Zone für die heranwachsenden Personen.

Gesehen, gelesen und kommentiert
Claire Balleys hat für ihre Forschung acht Genfer Schulklassen während mehreren Monaten begleitet. „Das Erlangen von Autonomie im Jugendlichenalter wurde in der Soziologie schon mehrfach erforscht; viel weniger weiss man, was wirklich zwischen den Jugendlichen passiert, welche sozialen und einzig auf die Gemeinschaft ausgerichteten Mechanismen zum Zug kommen.“ Der Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe geht einher mit einer Distanzierung von der Familie als identitäre Referenzangabe. Die Suche nach einer neuen Autonomie geschieht über die Aufnahme eines Wir-Gefühls mit Gleichgesinnten. Es gehört zum Prozess des Erwachsenwerdens und der Identitätsfindung, sich von den Eltern abzugrenzen und ein eigenes Beziehungsnetz aufzubauen. Diese Gruppen haben sich schon immer durch normative Verhaltensvorgaben sowie eine strenge soziale Kontrolle gekennzeichnet – in den Blogs aber tritt die damit einhergehende Dynamik stärker zutage: „Die Jugendlichen wollen im Blog nicht nur Erlebtes erzählen und Persönliches preisgeben; sie hungern geradezu nach der Bestätigung des Gesagten durch die gleichgesinnte Gruppe, ausgedrückt in öffentlichen Kommentaren. Bloggen heisst gesehen, gelesen und kommentiert werden“.

Kontakt: Claire Balleys, Diplomassistentin Domaine des sciences des sociétés, des cultures et des religions, 026 300 83 77, 078 742 29 93, claire.balleys@unifr.ch

Quelle: Dienst für Kommunikation und Medien, 026 300 70 34, communication@unifr.ch