02.07.2010

Proton kleiner als gedacht


Das Proton - einer der Grundbausteine der Materie - ist kleiner als bisher angenommen. Das haben Experimente eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung des Physikdepartements der Universität Freiburg bewiesen, die am Paul Scherrer Institut PSI im schweizerischen Villigen durchgeführt worden sind. Mit diesem Ergebnis muss entweder die Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie oder die Rydberg-Konstante korrigiert werden - die genaueste physikalische Theorie bzw. die am genauesten gemessene physikalische Konstante. Zu bestimmen, welche Korrekturen hier nötig sind, stellt eine grosse Herausforderung für die Physiker dar.



Für ihr Experiment haben die Forschenden „exotische Wasserstoffatome“ erzeugt, in denen ein Proton von einem negativ geladenen Myon umkreist wird und nicht von dem normalerweise vorhandenen Elektron. Myonen sind sehr ähnlich wie Elektronen aber 200-mal schwerer. Die Bahn, auf der sich das Myon um das Proton bewegt, hat daher einen 200-mal kleineren Radius als die Bahn eines Elektrons. Dadurch wird die Myonenbahn stärker von der Grösse des Protons beeinflusst. Mit einem speziell entwickelten Laser konnten die Forschenden die Eigenschaften der Myonenbahn vermessen und daraus den Radius des Protons bestimmen. Die Experimente konnten nur am PSI durchgeführt werden, weil es weltweit nur hier einen hinreichend intensiven Myonenstrahl gibt. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature.

Protonen gehören zu den fundamentalen Bestandteilen der Materie – zusammen mit den Neutronen bilden sie die Kerne der Atome. Um die Kerne kreisen wiederum die Elektronen. Aus diesen drei Teilchenarten besteht praktisch alles was uns umgibt. Das Wasserstoffatom ist das einfachste aller Atome. Sein Kern besteht aus einem einzelnen Proton, um das ein Elektron kreist. Historisch war es oft das beste Objekt um grundlegende Fragen der Physik zu untersuchen. Der Nobelpreisträger Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik, der auch an diesem Forschungsprojekt beteiligt ist, nennt es „den Stein von Rosetta der Quantenphysik“.

Um den Protonenradius zu bestimmen, haben die Forschenden in einzelnen Wasserstoffatomen die Elektronen durch negativ geladene Myonen ersetzt. Diese sind 200-mal so schwer wie Elektronen, und müssen sich daher nach den Gesetzen der Quantenphysik 200-mal näher am Proton befinden, so dass die Eigenschaften ihrer Bahn viel stärker von der Grösse des Protons abhängen. So kann man aus den Eigenschaften der Myonenbahn den Protonenradius viel genauer bestimmen. Dazu wurde ein Infrarotlaser entwickelt, dessen Energie, also die Farbe des Laserlichts, sich in sehr kleinen Schritten verstellen lässt. Und der sehr schnell reagiert. Denn ein Myon zerfällt innerhalb von 2 Millionstelsekunden – in dieser Zeit muss also auch die Messung an dem Myonenatom durchgeführt werden, denn auch dieses verschwindet, wenn das Myon zerfällt.


Teil der Laseranlage, die für das Experiment zur Bestimmung des Protonenradius benötigt wird. Hier werden unsichtbare infrarote Laserpulse in grünes Laserlicht umgewandelt.

Unerwartete Diskrepanz

„Eigentlich wollten wir den bekannten Wert für den Protonenradius genauer messen, damit die Quantenelektrodynamik (Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie) geprüft werden kann. Wir hätten nicht gedacht, dass es Diskrepanzen zwischen den bekannten Werten und unseren Messungen geben würde.“ erklärt Franz Kottmann, der von Anfang an bei diesem Projekt dabei war. Das Ergebnis wich aber deutlich von dem bekannten Wert für den Protonenradius ab: 0,84184 Femtometer (1 Femtometer = 0,00 000 000 000 000 1 Meter) statt 0,8768 Femtometer – ein Unterschied, der viel zu gross ist als dass man ihn auf Messungenauigkeiten zurückführen könnte. Die Wissenschaftler diskutieren noch über die Gründe dieser Diskrepanz. „Entweder muss die genaueste Theorie der Physik oder die am genauesten bestimmte Konstante der Physik – die Rydberg-Konstante – korrigiert werden.“ erklärt der Physiker Aldo Antognini und fügt hinzu: „Wo der Fehler liegt, werden andere bestimmen müssen. Aber unser nächstes Experiment, bei dem wir Helium statt Wasserstoff nutzen werden, dürfte dazu wichtige Hinweise liefern.“

„Für das Experiment mussten alle Geräte völlig neu entwickelt und gebaut werden. So hat es rund zehn Jahre vom Anfang des Experiments bis zu dem Ergebnis gedauert“ betont Kottmann „Die Idee für das Experiment gab es am PSI übrigens schon vor 30 Jahren. Damals hatte man aber nicht die technischen Möglichkeiten, um es tatsächlich durchzuführen.“

Ihre Messungen führten die Forschenden an der Beschleunigeranlage des PSI durch. „Dieses Experiment könnte man nirgendwo sonst durchführen, weil nur hier der Myonenstrahl stark genug ist“ erklärt Antognini. Den besonders starken Strahl braucht man, damit während des Experiments genügend Myonenatome für das Experiment entstehen. Und auch so dauern die Messungen mehrere Wochen – Tag und Nacht!

Das Projekt war so komplex, dass mehrere Student(inn)en ihre Doktorarbeit über spezifische Teilgebiete des Experimentes durchführen konnten. Bis heute haben 4 Student(inn)en ihr Doktorat damit erworben. Die Universität Freiburg war insbesondere an der Entwicklung der Röntgenstrahldetektoren - in Zusammenarbeit mit der Universität Coimbra in Portugal - als auch des Datenverarbeitungssystems - in Zusammenarbeit mit dem PSI - beteiligt.

Internationale Forschung

Das Projekt beruht auf einer engen Kooperation zahlreicher Institute aus verschiedenen Ländern, die ihre Kompetenzen auf den Gebieten der Beschleunigerphysik, der Atomphysik sowie der Laser- und Detektortechnologie eingebracht haben.Die wichtigsten sind:

  • Paul Scherrer Institut PSI, Villigen, Schweiz
  • Institut für Teilchenphysik, Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Schweiz
  • Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching bei München, Deutschland
  • Laboratoire Kastler Brossel, Paris, Frankreich
  • Departamento de Física, Universidade de Coimbra, Coimbra, Portugal
  • Institut für Strahlwerkzeuge, Universität Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
  • Dausinger & Giesen GmbH, Stuttgart, Deutschland
  • Departement für Physik, Universität Freiburg, Freiburg, Schweiz


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1300 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 260 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.

Über die Universität Freiburg

Das Departement für Physik der Universität Freiburg hat offiziell bei diesem PSI Lamb Shift Experiment zur Bestimmung des Protonen-Ladungsradius bis 2003 mitgearbeitet, als der Professor (L.A. Schaller), der die sog. ME (Mittelenergie)-Gruppe leitete, in "aktive" Pension ging. Dank partieller Unterstützung durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) auch noch in den folgenden Jahren konnte die Freiburger Doktorandin (L. Ludhova) ihre Doktorarbeit 2005 an diesem Experiment abschliessen und zusammen mit den "Postdocs" der Gruppe (F.Mulhauser und P.Knowles) ihren experimentellen Einsatz bis zum erfolgreichen Resultat im vergangenen Jahr weiterführen.

Ansprechpartner

Dr. Franz Kottmann, Institut für Teilchenphysik, ETH Zürich, und Labor für Teilchenphysik, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI
E-Mail: franz.kottmann@psi.ch, Telefon: +41 (0)56 310 3502 [Deutsch, Englisch]

Dr. Aldo Antognini, Max-Planck-Institut für Quantenoptik und Labor für Teilchenphysik, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI
E-Mail: aldo.antognini@psi.ch, Telefon: +41 (0)79 709 71 32, +41 (0)56 310 4614 oder +41 (0)44 633 30 76 [Deutsch, Italienisch, Englisch]

Dr. Randolf Pohl, Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching bei München, Deutschland E-Mail: randolf.pohl@mpq.mpg.de, Telefon: +49 (0)89 329 05 281 [Deutsch, Englisch]

Fotos und Fernsehaufnahmen

Fotos der beteiligten Wissenschaftler und eines der Laser sowie Filmaufnahmen vom Experiment in Fernsehqualität sind beim PSI verfügbar.

Fotos: http://www.psi.ch/media/fotos-protonenradius

Filmmaterial: http://www.psi.ch/media/filme-protonenradius

Weitere Informationen zu dem Material erhalten Sie bei Paul Piwnicki: paul.piwnicki@psi.ch; Tel: 0041 (0)56 310 29 40.



Originalveröffentlichung

The size of the proton, Randolf Pohl, Aldo Antognini, François Nez, Fernando D. Amaro, François Biraben, João M. R. Cardoso, Daniel S. Covita, Andreas Dax, Satish Dhawan, Luis M. P. Fernandes, Adolf Giesen, Thomas Graf, Theodor W. Hänsch, Paul Indelicato, Lucile Julien, Cheng-Yang Kao, Paul Knowles, José A. M. Lopes, Eric-Olivier Le Bigot, Yi-Wei Liu, Livia Ludhova, Cristina M. B. Monteiro, Françoise Mulhauser, Tobias Nebel, Paul Rabinowitz, Joaquim M. F. dos Santos, Lukas A. Schaller, Karsten Schuhmann, Catherine Schwob, David Taqqu, João F. C. A. Veloso & Franz Kottmann, Nature, 466, July 2010.

> Protons - smaller than we thought [Media release - pdf]