20.09.2012

Neue Studie mit Patienten mit Hirnverletzungen verbessert unser Verständnis des Gehirns


Tiefer Blick ins Gehirn: In Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Lausanne (CHUV) hat das Forschungsteam von Dr. Lucas Spierer des Departements für Medizin der Universität Freiburg untersucht, welchen Aufschluss der Ort einer Hirnverletzung in Folge von Schlaganfällen oder Hirntumoren auf die damit verbundenen funktionalen Defizite gibt.


Foto: Thinkstock

Hirnverletzungen aufgrund von Schlaganfällen oder Hirntumoren stehen in den Industriestaaten an erster Stelle der Ursachen für nicht angeborene Behinderungen bei Erwachsenen. Die Konsequenzen solcher Hirnverletzungen betreffen sowohl kognitive Funktionen wie die Wahrnehmung, das Gedächtnis oder das Sprachvermögen, wie auch die Motorik. Dr. Lucas Spierer, Ko-Direktor des Laboratory for Cognitive and Neurological Sciences des Departements für Medizin der Universität Freiburg und Mitarbeiter im Dienst für Neuropsychologie und Neurorehabilitation am Universitätsspital Lausanne (CHUV), hat sich in der von ihm geleiteten Studie insbesondere den Auswirkungen von Hirnverletzungen auf die Gestik gewidmet. Die Resultate der Studie belegen nicht nur, dass die linke Hirnhälfte für die kommunikative Motorik zuständig ist, sondern zeigen auch, dass die Auswirkungen auf die Motorik je nach Ansiedelung der Verletzung im Gehirn variieren können. Des Weitern ermöglichen die Forschungsresultate eine genauere Voraussage der zu erwartenden Einschränkungen in Folge einer Hirnverletzung und verbessern dadurch auch die klinischen Behandlungsmöglichkeiten von Hirnpatienten. „Mit über 150 Patientinnen und Patienten, die an der Studie teilgenommen haben verfügten wir über eine stattliche Anzahl an Daten und konnten Vergleiche anstellen zwischen funktionellen Störungen in Folge von Tumoren oder von Schlaganfällen – eine Unterscheidung, die bislang noch sehr wenig erforscht worden war“, erklärt Dr. Lucas Spierer.

„Wenn ich feststelle, dass ein Bestandteil meines Autos beschädigt ist und gleichzeitig merke, dass der Wagen sich nicht mehr anhalten lässt, so kann ich davon ausgehen, dass das kaputte Teil zum Bremssystem gehört. In unserer Studie haben wir mit demselben logischen Prinzip gearbeitet und herauszufinden versucht, welche Hirnverletzungen mit welchen Disfunktionen und Defiziten verbunden sind“, so Lucas Spierer. Aurélie Manuel, die an der Studie beteiligte Doktorandin fügt hinzu: „Wir haben dafür mit Pantomime gearbeitet, also, in unserem Fall, der Fähigkeit, den Gebrauch eines Objekts zu simulieren, wie beispielsweise das Zähneputzen. Die erfolgreiche Simulation einer Tätigkeit hängt von verschiedenen Fähigkeiten ab, die in Folge eines Hirnschadens partiell geschädigt sein können: Die Erinnerung, wie z.Bsp. die Zahnbürste zu halten ist, das Auswählen der richtigen Bewegungen und schliesslich das Ausführen der gesamten Tätigkeit. Diese Art von Test wird weltweit verwendet in der neuropsychologischen Diagnostik der Apraxie, einer Störung der Ausführung zielgerichteter Bewegungen bei intakter motorischer Funktion.“

Vielversprechendes Verfahren

Auf der Basis der Röntgenaufnahmen wurden die Verletzungen der Patientinnen und Patienten in einem ersten Schritt in einer 3D-Computergrafik rekonstruiert und anschliessend in eine Rastergrafik projeziiert, bestehend aus unzähligen Datenpunkten, auch Voxels genannt. Diese Voxels wurden mit Daten gefüttert, die Aussagen zur Performance der Hirnverletzten in bestimmten Tests machten. Im Anschluss daran wurden die Voxels aller Patientinnen und Patienten statistisch miteinander verglichen. Mit Hilfe dieser Methode ist es den Forschenden gelungen, eine genaue Verbindung herzustellen zwischen den jeweiligen Strukturen des Gehirns, die in Folge einer Verletzung beschädigt wurden und den Funktionen die als Konsequenz der Verletzung beeinträchtigt wurden. Der verwendete Ansatz ist eine sinnvolle Ergänzung zu Röntgentechniken wie der Magnetresonaztomographie, da er im Gegensatz dazu nicht nur eine Assoziation herstellt zwischen der Ausführung einer bestimmten Tätigkeit und der Erhöhung der Hirnaktivität in bestimmten Regionen des Gehirns, sondern eine Aussage darüber macht, ob eine bestimmte Hirnstruktur zur Ausführung einer Tätigkeit nötig ist oder nicht.

Die Studienergebnisse resultieren aus einer Zusammenarbeit des Bereichs für Neurologie der Universität Freiburg, dem freiburger spital (hfr) und dem Dienst für Neuropsychologie und Neurorehabilitation des Universitätsspitals Lausanne (CHUV). Die Resultate wurden soeben im renommierten Wissenschaftsmagazin Cerebral Cortex veröffentlicht.

Link zur Studie: «Inter- and intra-hemispheric dissociations in ideomotor apraxia: a large-scale lesion-symptom mapping study in subacute brain-damaged patients»

Kontakt: Lucas Spierer, Ko-Direktor des Laboratory for Cognitive and Neurological Sciences des Departements für Medizin der Universität Freiburg, 026 300 85 48, lucas.spierer@unifr.ch