15.02.2013

Vergils verschlüsselte Botschaft


Cristiano Castelletti, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Klassische Philologie der Universität Freiburg, hat eine Entdeckung gemacht, die für Aufregung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sorgt: Dem Wissenschaftler gelang es, in der Aeneis Vergils Signatur zu entschlüsseln.




Vergil, in den Händen die Aeneis, mit den beiden Musen Klio (Geschichte) und Melpomene (Tragödie). Ausschnitt eines Mosaiks (3. Jh.) aus dem Bardo-Museum, Tunis.  Aus Wikimedia Commons

Vergils Aeneis wird seit 2000 Jahren gelesen, studiert und kommentiert – eine völlig neue Entdeckung innerhalb dieses klassischen Textes kommt deshalb eher überraschend. Genau eine solche hat aber Dr. Cristiano Castelletti gemacht: Der römische Dichter Publius Vergilius Maro (70 – 19 v. Chr.) soll in den ersten vier Versen seines Nationalepos Aeneis eine verschlüsselte Signatur eingebaut haben. „Es ist, als hätte man die Signatur Leonardo da Vincis auf der Mona Lisa entdeckt“, vergleicht der Philologe an der Universität Freiburg. Er hat in den ersten Zeilen der Aeneis ein sogenanntes Akrostichon identifiziert, eine in den Buchstaben einer Wortfolge versteckte Botschaft. Diese lautet „a stilo M(aronis) V(ergili)“, was übersetzt in etwa heisst: „Aus dem stilus (Griffel) von Vergil Maro“. In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Museum Helveticum erschienen Artikel erklärt Cristiano Castelletti, wie er auf das Akrostichon gestossen ist: „Alles begann mit dem griechischen Autor Aratos von Soloi. In den ersten Versen von dessen den Sternen gewidmeten Werk Phainomena versteckt sich ein „bustrophedonisches“ Akrostichon. Im Sinne einer Hommage an Aratos von Soloi, einer seiner Inspirationsquellen, hat sich Vergil derselben rhetorischen Stilfigur bedient.“

Das bustrophedonische Akrostichon

Hinter dem nicht ganz geläufigen Ausdruck versteckt sich eine Stilfigur, die darin besteht, jeweils abwechslungsweise den ersten und letzten Buchstaben einer Versreihe zu lesen. Der Weg des Auges gleicht damit der Spur des Ochsen, der mit seinem Karren die Furchen in die Erde gräbt – so beschreibt Aratos in seinen Versen das „bustrophedonische Akrostichon“. Folgt der Leser dieser Spur (rechtsaussen, linksaussen, rechtsaussen, linksaussen etc.), ergeben die Buchstaben eines solchen Akrostichons ein Wort oder mehrere Wörter. „Aratos lehrte uns mit dieser Stilfigur, die Sprache des Himmels zu verstehen: Die Sterne (Buchstaben) ergeben Konstellationen (Wörter) und diese wiederum lassen dem Menschen bestimmte Informationen zukommen. Meine Forschung stützt sich auf diese Erkenntnis und besteht darin, in einem Text bestimmte Informationen zu suchen, die darauf hinweisen, dass sich im Vers eine durch ein Akrostichon verschlüsselte Botschaft befindet“, erklärt Castelletti. Die Entdeckung anderer Akrosticha in alten Texten zeigt, dass es sich dabei nicht nur um Wortspiele besonders sprachgewandter Dichter handelt, sondern um wahrhaftige Wasserzeichen der Antike, Kennzeichen für die Authentizität der Autorschaft.

Arma uirumque cano, Troiae qui primus ab oriS
Italiam fato profugus Lauiniaque ueniT
Litora - multum ille et terris iactatus et altO
Vi superum, saeuae memorem Iunonis ob iraM
(Vergil, Aeneis I, 1-4)


Latein – eine tote Sprache?

Wie erklärt der Wissenschaftler, dass es für eine solch spektakuläre Entdeckung über 2000 Jahre gebraucht hat? „Ich bin ein leidenschaftlicher Verehrer der Werke Vergils – vielleicht wollte er mich damit für meine Treue belohnen“, schmunzelt Cristiano Castelletti. „Wenn meine Entdeckung zu einem Aufruhr in Wissenschaftskreisen sorgt, bin ich natürlich erfreut. Es gibt doch keine bessere Art, die universitäre Forschung und gerade auch den Bereich der klassischen Philologie zu verbreiten und zu fördern. Noch mehr aber freut es mich, der Jugend damit zu zeigen, dass Latein und Altgriechisch nicht statische Sprachen sind und es noch viele Geheimnisse zu entschlüsseln gibt. Erst wenn wir uns nicht mehr mit ihnen befassen, werden diese Sprachen zur toten Materie.“

Artikel: C. Castelletti, "Following Aratus’ plow: Vergil’s signature in the Aeneid", Museum Helveticum 69, (2012), 83-95.

Kontakt

Cristiano Castelletti, Domaine de philologie classique, Departement für Sprachen und Literaturen, 079 617 09 30, cristiano.castelletti@unifr.ch