War Nikolaus Teilnehmer von Nizäa?

Ein Beitrag von P. Gerardo Cioffari o.p., Bari
Übersetzt aus den Italienischen von Mons. Nikolaus Wyrwoll

 

aus: Gerardo Cioffari o.p., San Nicola. La vita, i miracoli, le leggende (= Studi e testi 12), Bari 2006, S. 22.

 

Nikolaus hatte einerseits Glück: Es gibt über ihn eine reiche Literatur, auf griechisch, auf lateinisch, auf altrussisch. Andererseits hatte er Pech: Der größte Nikolaus-Forscher, Gustav Anrich (1867-1930), war in erster Linie Philologe, dessen Stärke in der Datierung von Manuskripten lag, der aber wegen fehlender Geschichtskenntnisse ungenau war in der Datierung des Originaltextes, aus dem der Schreiber dieses Manuskript hatte. Deshalb hat Anrich die Texte des 4. Jahrhunderts ins 6. Jahrhundert datiert, wegen ihrer Sprache, die tatsächlich mehr dem 6. Jahrhundert entspricht. Wegen der historischen Einzelheiten, die in diesem Text genannt werden, kommt aber nur ein Verfasser des 4. Jahrhunderts infrage (Praxis de stratelatis).

Demselben Irrtum unterliegt Anrich bezüglich des Namen ‚Nikolaus’ in den Listen von Nizäa. Das besterhaltene Manuskript des Berichtes, den Theodor der Lektor um 515 geschrieben hat, haben wir nämlich erst aus dem 13. Jahrhundert. Deswegen kommt Anrich zur Ansicht, der Name ‚Nikolaus’ sei in dieses Manuskript aus dem Lebensbeschreibungen und den Synaxarien des 9. und 10. Jahrhunderts eingefügt (interpoliert) worden. Anrichs Irrtum basiert auf einer falschen Voraussetzung: Der Name ‚Nikolaus’ stehe nicht in den ältesten Listen des Konzils von Nizäa. Aber die ältesten Listen haben nur 200 Namen, es gibt gleichzeitig viel mehr Listen (z.B. die des hl. Athanasius) mit 300 Namen. Auf den Listen mit 200 Namen fehlt sogar der hl. Paphnutius, der, wie uns Sozomenos berichtet, mit großem Einsatz verhinderte, daß dem Klerus ein zölibatäres Leben vorgeschrieben wurde.

Genauer gesagt: Mir sind 16 Listen bekannt. Nikolaus fehlt in folgenden Listen: 1. Liste der 221 Namen; 2. alexandrinische Abschrift mit 225 Namen; 3. Corpus canonum von Antiochien (vor dem Jahr 381); 4. – 8. die lateinischen Listen I, II, III, IV, V; 9. die syrische Liste von 501; 10. die koptische Liste der 162 Namen.

Nikolaus steht in folgenden Listen: 1. Historia Tripartita von Theodor dem Lektor aus dem Jahr 515, cor. Marcianus gr. 344, f. 37; 2. Vaticanus Gr (V); 3. Sinaiticus 1117, Beneševi?; 4. Hierosolymitanus Metoch 2, ff. 388v-389, Lebedev; 5. Hierosolimitanus Patr. 167, ff. 233-234b, Lebedev; 6. Arabicus B. Nikolaus hat das Pech, daß die meisten Nikolaus-Autoren sich auf Anrich berufen, der für die Konzilsgeschichte Nicht-Fachmann ist. Sie übersehen die Arbeiten von Eduard Schwartz (Über die Bischofslisten der Synoden von Chalkedon, Nicaea und Konstantinopel, München 1937, S. 63), dem angesehensten Forscher über die Teilnehmer an den ersten ökumenischene Konzilien. Schwartz hält den Text von Theodor dem Lektor für authentisch und spricht ihm Autorität zu. Es kann auch nicht anders sein. Theodor ist Lektor an der Kathedralkirche Hagia Sophia in Konstantinopel. Nirgendwo anders wurden die Dokumente der alten Kirche besser aufbewahrt.

* Vgl. Gustav Anrich, HAGIOS NIKOLAOS. Der hl. Nikolaus in der griechischen Kirche, 2 Bände, Leipzig-Berlin: Teubner 1914/17.