Praxis de stratelatis
Die wichtigste Nikolaus-Legende
Die Geschichte von den drei byzantinischen Generälen (Praxis de stratelatis), die auf einem Fresko auf der Außenmauer des rumänischen Klosters Sucevita abgebildet ist, gehört zum festen Kern aller Lebensgeschichten des Bischofs Nikolaus. Es gibt ein untrügliches Zeichen, dass diese Geschichte im Altertum für die weitaus wichtigste unter allen Nikolauserzählungen gehalten wurde: Sie heißt oft gar nicht ‚Geschichte von den Generälen’, sondern einfach ‚Geschichte vom hl. Nikolaus’, als wären alle anderen Geschichten nicht wichtig im Vergleich zu dieser:
Eines Tages ankerten Kriegsschiffe in Myra, und auf dem nahen Wochenmarkt von Plakoma gab es Streitigkeiten, angezettelt durch Soldaten, die ein Ventil brauchten für die Anspannung ihres harten Dienstes. Die Polizei verhaftete drei Bürger von Myra, die nach einer oberflächlichen Untersuchung zum Tode verurteilt wurden. Nikolaus sprach zu dieser Zeit mit den drei Heerführern Nepozianos, Ursos und Herpylion, die ihm von dem bevorstehenden Kriegszug gegen die Taifalier berichteten, einen Stamm der Goten, der in Phryrien einen Aufstand angezettelt hatte. Nikolaus forderte die Generäle auf, in Plakoma für Ruhe zu sorgen. Das gelang ihnen.
Einige Bürger eilten zu Nikolaus und berichteten, der Präsident Eustatios habe drei Unschuldige zum Tode verurteilt. Sofort machte sich Nikolaus nach Myra auf, gefolgt von den drei Generälen. Als sie im Ort Leos ankamen, trafen sie Leute, die wussten, dass die Verurteilten mittlerweile in Dioskur waren. Dort erfuhr Nikolaus bei der Kirche der Märtyrer Crescens und Dioskuros, dass die drei Verurteilten inzwischen in Berra, der Richtstätte, waren.
Nikolaus war sich im Klaren: nur er als Bischof konnte die Henker aufhalten. Er lief los und bahnte sich den Weg durch die gaffende Menge. Der Henker stand schon bereit, die Verurteilten knieten bereits, den Kopf auf dem Block. Nikolaus packte zu und nahm dem Henker das Schwert aus der Hand. Nachdem Nikolaus die Unschuldigen vor der Enthauptung bewahrt hatte, eilte er zum Palast des Eustatios und trat ein, ohne sich anzumelden. Er trat vor den Präsidenten und beschuldigte ihn sofort der Ungerechtigkeit, der Gewalt und Bestechlichkeit. Nikolaus drohte, er werde alles dem Kaiser berichten.
Eustatios verteidigte sich, er sei durch die vornehmen Bürger Simonis und Eudoxios falsch informiert worden. Nikolaus ging nicht auf die Einzelheiten ein, sondern hielt ihm nochmals Bestechlichkeit vor. Nicht die Herren Simonis und Eudoxios, sondern die Herren Chrysaphios (Gold) und Argyros (Silber) hätten ihn vom rechten Weg abgebracht. Nikolaus hatte Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg verholfen. Er wütete aber nicht gegen Eustatios, sondern verzieh dem reuigen Richter.
Nach: Gerardo Cioffari, Sankt Nikolaus. Leben, Wunder, Legenden, Bari 2008.