Publikationsdatum 12.12.2023

SNF Advanced Grant für Michele Baccis Projekt zu Heiligen Stätten in der Region Palästina


Seit Wochen verfolgen wir alle die erschütternden Nachrichten über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Vor allem in der Weihnachtszeit ist das aufgeladene Wort "Heiliges Land" sehr präsent, wenn wir uns an die lange, komplexe und sich überschneidende Geschichte der muslimischen, jüdischen und christlichen Völker in dieser Region erinnern. Diese Geschichte kommt oft zur Sprache, wenn die Gewalt in der Region als nahezu unvermeidbar diskutiert wird. Aber der UniFr-Kunsthistoriker Prof. Michele Bacci, der für sein Projekt Holy Networks: Locating, Shaping, and Experiencing Palestinian Loca Sancta (1187-1852) einen SNF-Advanced Grant erhält, sieht das anders. Seine Forschungen deuten auf eine lange Tradition religiöser Praktiken hin, die die Wege von Menschen zahlreicher Konfessionen und Religionen auf eine noch wenig erforschte Art und Weise miteinander verknüpften. Diese über Jahrhunderte andauernde Koexistenz war allem Anschein nach stabil und friedlich.

Michele Bacci, der seit 2011 den Lehrstuhl für mittelalterliche Kunstgeschichte an der Universität Freiburg innehat, erklärt, dass er sich schon sehr lange dafür interessiert, wie die Kunst in der Vergangenheit mit kultischen Phänomenen interagierte. Doch im Laufe seiner Karriere verlagerte sich dieses Interesse von aufwändigen Kunstwerken, die beispielsweise die Altäre von Kirchen schmücken, hin zu - wie er es lakonisch formuliert - "Löchern im Boden" (siehe das Bild oben, das die Abdrücke der Füsse Christi in der Himmelfahrtskapelle auf dem Ölberg zeigt). Vor allem im mittelalterlichen Palästina gab es viel mehr bedeutsame Orte, die als heilig galten, als religiöse Objekte, die zur Verehrung einluden und welche in Europa oft im Mittelpunkt religiöse Praktiken standen. Bacci stellt fest, dass solche Orte eine besondere Herausforderung für die Schaffung von Kultpraktiken darstellen. Denn der Boden musste abgegrenzt und auf eine bestimmte Art und Weise als heiliger Ort gekennzeichnet werden, die seinen Unterschied zu der ihn umgebenden Erde unterstrich. Dazu wurden in der Vergangenheit verschiedene Mittel eingesetzt, darunter Architektur, Erzählungen, Performance, ornamentale Strategien und vieles mehr. Genau dieser Prozess der Verwandlung von Erde und Stein in eine heilige Stätte steht im Mittelpunkt von Prof. Baccis Advanced Grant-Projekt.

Das Projekt ist äusserst innovativ, da es heilige Stätten, die christlichen, muslimischen und jüdischen Traditionen zugeschrieben werden, nebeneinander untersuchen wird. Ein Grossteil der bestehenden Geschichtsschreibung konzentriert sich auf die Gründungsmomente heiliger Stätten und nicht auf die sich ständig weiterentwickelnden Praktiken der Verehrung, wie Michele Bacci erklärt. Darüber hinaus konzentriert sich die Mehrzahl der existierenden Studien zu diesem Thema auf jeweils eine einzelne religiöse Tradition. Dies hat zur Folge, dass der derzeitige Stand der Forschung über heilige Stätten in der Region Palästina die lange Geschichte der Koexistenz von Religionsgemeinschaften ausser Acht lässt. Das Projekt Holy Networks wird eine viel breitere Perspektive einnehmen und die heiligen Stätten der Region kartieren, die für die drei grossen Religionsgemeinschaften der Region von Bedeutung sind. Ziel ist es, eine virtuelle Karte des Heiligen Landes zu erstellen, die eine Fülle von Informationen über die wichtigsten heiligen Stätten bereitstellt. Nach den Kreuzzügen wurden diese Stätten zunehmend durch präzise Routen miteinander verbunden, die von Pilgern benutzt wurden.  Die Rekonstruktion dieser Pilgerwege bildet die zweite Phase des Projekts. Laut Michele Bacci wird es sehr interessant sein, mit Hilfe dieser digitalisierten Topographien zu untersuchen, wie sich beispielsweise muslimische und christliche Pilgerrouten überschnitten.

Es liegt auf der Hand, dass dieses Forschungsvorhaben sehr vielfältige Kompetenzen erfordert, und Michele Bacci betont, dass dieses Projekt nur dank des SNF Advanced Grants mit einem Budget von zwei Millionen CHF realisiert werden kann. Dies erlaubt es ihm, ein Team von Spezialistinnen und Spezialisten zusammenzustellen, die mit Texten in Arabisch, Hebräisch, Griechisch, Russisch, Latein und in allen modernen europäischen Sprachen sowie den entsprechenden historischen und religiösen Traditionen arbeiten können. Das Team wird, neben Michele Bacci selbst, aus sechs erfahrenen Forschenden und zwei Doktorierenden bestehen. Sie alle werden an der Universität Freiburg zusammenarbeiten. Michele Bacci betont, dass dieses riesige Projekt mit vielen dynamischen Aspekten nur durch einen kollaborativen Forschungsansatz erfolgreich sein kann. Es ist erfreulich, dass diese prestigeträchtige Förderung ein so wichtiges Projekt und vielfältiges Team unterstützt.  Wir von der Dienststelle Forschungsförderung wünschen dem Team von Holy Networks viel Erfolg für die nächsten fünf Jahre!

Wenn Sie den neusten Artikel von Michele Bacci über Heilige Stätten lesen möchten, können Sie dies hier tun.

Ein Video über Michele Baccis Arbeit in der Geburtskirche in Bethlehem finden Sie hier.

Sind Sie eine etablierte Forscherin oder ein etablierter Forscher und möchten Sie sich für einen SNF Advanced Grant bewerben? Die nächste Bewerbungsfrist ist am 31. Januar 2024, und wir von der Dienststelle Forschungsförderung unterstützen Sie gerne bei der Antragstellung. Melden Sie sich bei uns!