Publikationsdatum 12.07.2021

Nutzen unsere Zellen Zyanid zur Kommunikation?


Ein Forscherteam der Universität Freiburg hat starke Indizien dafür gefunden, dass Zyanid – ein bereits in kleinen Mengen gefährliches Gift – in unserem Körper in winziger Dosis der interzellulären Kommunikation dient.

Zyanid – allein das Wort versetzt uns in Angst und Schrecken und lässt uns an Spionagefilme denken. Doch schon Paracelsus stellte im 15. Jahrhundert fest: «Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Professor Csaba Szabo und sein Team haben entdeckt, dass unsere Zellen kleinste Mengen von Zyanidgas produzieren und zur Aktivierung von bestimmten Prozessen nutzen. Zyanid ergänzt somit die Liste der drei übrigen als interzelluläre Botenstoffe bekannten Gase: Stickstoffmonoxid (NO), Kohlenstoffmonoxid (CO) und Schwefelwasserstoff (H2S). Diese Gase durchdringen die Zellmembrane dank ihrer geringen Molekülgrösse leicht und eignen sich daher gut als interzelluläre Botenstoffe.

Die Dosierung ist entscheidend
«In den 1990er Jahren erkannte man, dass Stickstoffmonoxid ein überaus wichtiger Botenstoff in den Zellen ist», erklärt Professor Szabo. «Dies sorgte für einige Überraschung, ist dieses Gas doch bereits in relativ geringen Mengen giftig. Zehn Jahre später zeigte sich, dass CO die gleiche Funktion erfüllt. Und schliesslich wurde dies vor einigen Jahren auch für H2S belegt.» Dies alles sind Giftgase, die in unseren Zellen in winzigen Dosen zum Einsatz kommen und eine Vielzahl von Prozessen regulieren.

Das Team von Profess Szabo hat seine Forschungsergebnisse im Mai in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht und schlägt aufgrund eines Bündels übereinstimmender Indizien vor, Zyanid als vierten gasförmigen Botenstoff zu berücksichtigen. Das Team verwendete insbesondere Bakterien, die auf natürliche Weise Zyanid produzieren und beobachtete im Labor deren stimulierende Wirkung auf lebende menschliche Zellen, beispielsweise Leberzellen.

Zyanid als Regulator
Es war bereits bekannt, dass der Organismus winzige Mengen Zyanid produziert. Das Team konnte aufzeigen, das Zyanid – in minimaler Dosierung – bestimmte zelluläre Abläufe in positiver Weise stimuliert. Bei höherer Dosierung hingegen erweist es sich als schädlich bzw. hemmend. Es scheint also eine biologische Funktion auszuüben. Dieses Verhalten, d. h. bei geringer Dosierung eine positive und bei steigender Dosierung eine negative Wirkung, ist für Gasotransmitter typisch. Es lässt sich insbesondere bei den Mitochondrien, den Organellen, die als Energiespender für unsere Zellen unerlässlich sind, beobachten.

Dieses Ergebnis eröffnet ein neues biologisches Forschungsfeld im Bereich der zellulären Mechanismen. «Das Wichtigste ist der nächste Schritt», erklärt Professor Szabo. «Es gilt aufzuklären, wie und weshalb Zyanid produziert und als Transmitter genutzt wird. Es spielt möglicherweise bei gewissen Krankheiten eine Rolle.»

In der Tat hat Professor Szabo vor nicht allzu langer Zeit aufgezeigt, dass zwischen bestimmten Symptomen des Down-Syndroms und der Produktion des Botenstoffs Schwefelwasserstoff (H2S) ein Zusammenhang besteht – ein eindrückliches Beispiel für die Rolle eines Gasotransmitters bei einer schweren Erkrankung.

> PNAS-Artikel: «Physiological concentrations of cyanide stimulate mitochondrial Complex IV and enhance cellular bioenergetics», Elisa B. Randi, Karim Zuhra, Laszlo Pecze, Theodora Panagaki and Csaba Szabo, 2021, PNAS, May 10.