ForschungPublikationsdatum 25.10.2022

Aus Covid-19 lernen


«Absage an die Demokratie! Diktatur!» Die Massnahmen, die von Regierungen während der Covid-19-Pandemie ergriffen wurden, haben eine heftige Polemik ausgelöst und die Gesellschaft zutiefst gespalten. LEGITIMULT, ein europäisches Projekt, an dem sich auch die Universität Freiburg beteiligt, will herausfinden, mit welchen Regeln eine demokratische und legitime Regierungsführung in Krisenzeiten gewährleistet werden kann.

Durch die Covid-19-Krise wurde die Funktionsfähigkeit der Demokratie in den europäischen Staaten ernsthaft infrage gestellt. Ist es legal, eine Impfpflicht zu verordnen, für einen Teil der Bevölkerung eine Ausgangssperre zu verhängen, den Ausnahmezustand auszurufen oder Demonstrationen zu verbieten? Diese und weitere Massnahmen haben zu hitzigen Debatten geführt und die Gesellschaft zersplittert. Ein europäisches Forschungsprojekt mit einem Budget von knapp 3,7 Millionen Euro hat die Entwicklung des Konzepts einer legitimen Regierungsführung in Krisensituationen und die Prävention gegen gesellschaftliche Fragmentierung und Entfremdung zum Ziel. Das Projekt LEGITIMULT, kurz für Legitimate Crisis Governance in Multilevel Systems, vereint Institutionen aus zehn europäischen Ländern und Kanada unter der wissenschaftlichen Koordination des Internationalen Forschungs- und Beratungszentrums (IRCC) der Universität Freiburg.

Eine Pandemie, die den Rechtsstaat ins Wanken bringt
In den nächsten drei Jahren soll LEGITIMULT analysieren, wie sich die in der Covid-19-Krise ergriffenen Massnahmen auf die demokratische Funktionsfähigkeit von 27 Ländern der Europäischen Union sowie der Schweiz, Norwegens, Islands und des Vereinigten Königreichs ausgewirkt haben. «Wir wollen zunächst einmal die Folgen für Menschenrechte, Minderheiten und das Vertrauen in die Institutionen untersuchen», erklärt Thea Bächler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IRCC, «und anschliessend schauen, welche Lösungen sich anbieten, um die Regierungsführung in künftigen Krisen zu verbessern.»

Globale und lokale Analyse
Nur die politischen Entscheidungen auf Staatsebene zu berücksichtigen, reicht jedoch nicht aus, um sich ein vollständiges Bild vom Umgang mit Covid-19 zu machen. Im Rahmen von LEGITIMULT sollen auch die Entscheidungsprozesse auf überstaatlicher Ebene – Weltgesundheitsorganisation und Europäische Union – sowie auf regionaler und lokaler Ebene samt den entsprechenden Interaktionen analysiert werden. «Zu Beginn der Pandemie trafen in Norditalien manche Bürgermeister Entscheidungen, noch bevor Rom reagierte», erklärt Sören Keil, Leiter des Internationalen Forschungs- und Beratungszentrums (IRCC).

Aus der Pandemie gestärkt hervorgehen
Die gewonnenen Daten können als Grundlage für den Vergleich politischer Entscheidungen in den verschiedenen Ländern und des jeweiligen Rechtsrahmens in Notsituationen dienen: Welche Stellen haben welche Entscheidungen getroffen? Sind diese zeitlich begrenzt oder nicht? Haben die Bürger_innen ein Mitspracherecht (z.B. via Referendum oder Vernehmlassung)? Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt sollen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden von Fachleuten über gewöhnliche Bürger_innen bis hin zu öffentlichen Behörden. LEGITIMULT soll helfen, aus dieser noch nie dagewesenen Krise zu lernen.