Der Biologe Sven Bacher gehört zu den meistzitierten Wissenschaftler_innen der Welt. Im Interview erklärt er, warum sein Spezialgebiet «Alien Species» auf so viel Interesse stösst und wie er bei seiner Forschung vorgeht.
Sven Bacher, zum wiederholten Mal haben Sie es 2021 auf die von «Clarivate Analytics» veröffentlichte Liste der weltweit meistzitierten Biolog_innen geschafft. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Das weiss ich zwar nicht genau, aber ich habe eine Vermutung: Ich interessiere mich sehr für Synthesen. Die naturwissenschaftliche Forschung ist heute oft detailorientiert, ich hingegen habe mich schon immer für das grosse Ganze interessiert. Wie erzeugen wir Sinn mit dem Detailwissen, das wir anhäufen? Diese Frage hat mich schon immer beschäftigt. Und mutmasslich ist diese Herangehensweise auch für andere Leute interessant.
Worüber haben Sie im vergangenen Jahr geforscht?
Mein Hauptforschungsgebiet sind seit Jahren gebietsfremde Arten. Auf Englisch klingt es spektakulärer, dort heisst es «Alien Species». Das sind Arten, die vom Menschen direkt oder indirekt von Gebieten, in denen sie natürlicherweise vorkommen, in andere Gebiete verschleppt werden. Fragen, mit denen wir uns in diesem Zusammenhang auseinandersetzten, sind: Müssen wir uns Sorgen machen? Wenn ja, bei welchen Arten? Und wie können wir Verschleppungen verhindern?
Sie würden kaum so oft zitiert werden, wenn das Thema belanglos wäre. Warum ist es relevant und aktuell?
Erstens ist es ein weitverbreitetes Phänomen. Allein in Europa kennen wir 14’000 verschiedene Arten, die nicht hierhergehören. Zweitens trägt das Verschleppen von Arten zum globalen Wandel bei. In aller Munde ist der Klimawandel, doch fast alle Berichte kommen zum Schluss, dass der Klimawandel nicht unser grösstes Umweltproblem ist, sondern andere Aspekte, die zum globalen Wandel beitragen und den Planeten stark verändern. Nebst der globalen Verschmutzung, den Landschaftsveränderungen durch Landwirtschaft und Städtebau gehört dazu auch das Verschleppen von Arten an Orte, in denen sie zuvor nie vorgekommen sind. Das Ganze geschieht in einer immer grösseren Geschwindigkeit, die Zahl invasiver Arten steigt wegen des globalen Handels und der globalen Mobilität der Menschen exponentiell. Deswegen ist das ein aktuelles Thema, das vielen Leuten unter den Nägeln brennt.
Was für Probleme können entstehen?
Einige Arten breiten sich an ihrem neuen Ort aus. Das kann nicht nur für den Menschen zu Problemen führen, indem sich zum Beispiel ein Landwirtschaftsschädling ausbreitet, sondern auch für die Natur. Es kommt vor, dass durch invasive Arten ganze Landschaftsgebiete radikal verändert werden. Das Beispiel, das alle kennen, sind die Kaninchen, die sich in Australien sehr stark ausbreiteten, weite Teile des Landes als Weideland unbrauchbar machten und viele einheimische Arten dadurch gefährdeten. In Nordamerika existieren ähnliche Probleme mit invasiven Pflanzen aus Europa – oder mit eingeschleppten Insekten aus Asien, die Bäume befallen und massenweise zum Baumsterben führen. Dazu gehört der Asiatische Laubholzbockkäfer, der auch im Kanton Freiburg schon für Probleme gesorgt hat. Die Verschleppung von Arten kann also sehr grosse und grossflächige Umweltveränderungen nach sich ziehen. Das ist auf allen Kontinenten der Fall, eigentümlicherweise in Europa allerdings nicht ganz so ausgeprägt.
Trotzdem bleibt auch die Schweiz nicht von invasiven Arten verschont. Wo liegen hier die aktuellen Probleme?
Es gibt eine Diskrepanz zwischen den Sorgen, die auf der politischen Agenda stehen und den wirklichen Problemen. Auf der politischen Agenda stehen hauptsächlich die Neophyten, gebietsfremde Pflanzen also, die sich in der Landschaft ausbreiten. Das hat auch praktische Gründe: Die Pflanzen sind gut sichtbar und man weiss, was man gegen sie unternehmen kann –z. B. sie jäten oder Herbizid spritzen. Meines Erachtens gibt es allerdings viel wichtigere Problemfelder, z. B. im Süsswasser. Dort vermehren sich gewisse Arten rasant und verdrängen grossflächig einheimische Arten. Eine solche invasive Art ist die Körbchenmuschel im Rhein und im Bodensee. Probleme verursachen auch die amerikanischen Krebse, welche die Krebspest auf einheimische Krebse übertragen, die deshalb am Aussterben sind. Für die Menschen direkt problematisch ist die Tigermücke, die sich im Tessin bereits angesiedelt hat. Sie überträgt Krankheiten und ist extrem lästig, weil sie auch am Tag aktiv ist.
Wie kann gegen das Problem der invasiven Arten vorgegangen werden?
Der internationale Handel müsste besser überwacht werden. Es gibt internationale Abkommen, allerdings wird kaum überwacht, ob diese auch wirklich eingehalten werden. Keine Blume, kein Apfel, kein Spargel darf international verschickt werden ohne ein Zertifikat, das bescheinigt, dass keine Schädlingsorganismen darauf vorhanden sind. Es wird allerdings nur zu einem verschwindend kleinen Teil kontrolliert. Verschleppungen zu verhindern ist das Wirksamste. Klappt das nicht, ist es wichtig, früh zu erkennen, welche Arten Probleme machen, schliesslich sind das bloss die allerwenigsten. Entsprechend müssen die vorhandenen Ressourcen in erster Linie dafür eingesetzt werden, diese zu bekämpfen.
In welcher Rolle sehen Sie sich als Wissenschaftler beim Versuch, diese Herausforderungen zu meistern?
Wir Wissenschaftler_innen versuchen zu antizipieren, welche Arten wohin verschleppt werden und welche davon problematisch werden können. Dazu entwickeln wir Systeme und Methoden, um die Bewegungen zu beschreiben und zu quantifizieren. Dafür benutzen wir globale Daten von Invasionen. Sehr viel läuft über den Bereich Statistik, der ist unsere Grundlage, um zu verstehen, was passiert, warum es passiert und welche die treibenden Kräfte dahinter sind.
Sie verbringen also mehr Zeit am Computer als in der Natur?
Für die Auseinandersetzung mit solchen Fragestellungen ganz klar, ja. Angefangen habe ich mit Freilandarbeiten an einzelnen Arten. So viel Spass mir das auch gemacht hat und so wichtig diese Arbeit ist, empfand ich es als frustrierend, immer nur sein System zu kennen und beim nächsten Problem wieder von vorne anzufangen. Deswegen ist das nur noch mein zweites Standbein. Denn wir ertrinken bereits in Daten, aber es gibt wenige Leute, die Zusammenhänge herstellen. All die Daten sind eine Schatzgrube – doch wir nutzen sie noch nicht richtig.
In einer viel beachteten Studie benannten Sie als Teil einer Forschungsgruppe 66 bedrohliche Arten, deren Einschleppung nach Europa wahrscheinlich ist und die das Ökosystem gefährden könnten. Wie sah konkret der Arbeitsprozess aus, an dessen Ende diese Zahl herauskam?
In dieser Studie beschäftigten wir uns mit Quarantäneschädlingen, Organismen also, die als Schädlinge eingestuft werden und deren Eindringen in neue Gebiete verhindert werden soll. Konkret haben wir uns dabei weltweit jede einzelne Art angeschaut, die auf dieser Quarantäneliste steht, haben deren globale Verbreitung analysiert und das alles abgeglichen mit den Warenströmen von Pflanzenexporten nach Europa. Von jedem Ort der Welt, der nach Europa exportiert, haben wir uns jedoch nicht nur die Warenströme angeschaut, sondern auch das Risiko berechnet, dass diese Waren kontaminiert sind. Dafür haben wir die Daten benutzt, die aufzeigen, wie häufig die jeweiligen Schädlinge auf diesen Waren bei Inspektionen gefunden werden. So konnten wir berechnen, bei welcher Art das höchste Risiko besteht und erhielten so unsere Liste.
Klingt, als wären Sie manchmal auch noch ein bisschen Wirtschaftswissenschaftler.
Invasionsbiologie ist tatsächlich nicht reine Biologie, sondern eine sehr interdisziplinäre Forschungsrichtung. Man tut gut daran, mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten, dazu gehören die Bereiche Wirtschaft, Soziologie oder auch Ethik.
Wo liegt Ihr Forschungsschwerpunkt für 2022?
Wir haben uns in den letzten Jahren damit beschäftigt, Methoden zu entwickeln, wie man den Einfluss, den eine invasive Art hat, an verschiedenen Orten und über verschiedene Artengruppen hinweg miteinander vergleichen kann. Eine Pflanze stellt andere Dinge an als ein Waschbär oder ein Insekt. Wie kann man das, was Organismen mit ihrer Umwelt machen, quantifizieren, damit es vergleichbar ist? Sodass man am Ende möglicherweise zum Schluss kommt: Der Waschbär ist schlimmer als die Pflanze. Wir haben derartige Systeme nicht nur für die Umweltbeeinflussung erstellt, sondern auch für die Beeinflussung der Gesellschaft und der Wirtschaft, nun wollen wir sie in der Praxis testen – dafür gehen wir ins Feld. Wir haben einen Ort ausgewählt, der abgeschlossen und dadurch nicht so komplex ist: Galapagos. Es ist ein Archipel, das durch Tourismus und Handel mit sehr vielen invasiven Arten in Kontakt kommt. Wir versuchen zu verstehen, welche Arten am schlimmsten sind für die Menschen, welche für die Natur und so weiter.
Womöglich schaffen Sie es anschliessend erneut auf die Liste der meistzitierten Wisschenschaftler_innen. Sterneköch_innen berichten oft von einem Druck, der damit verbunden ist, wenn sie die Auszeichnung erst einmal haben. Denken Sie auch jeweils, wenn die Liste herauskommt: «Hoffentlich bin ich wieder drauf!»
Es ist schön, seinen Namen dort zu lesen. Es verschafft einem ehrlich gesagt eine enorme Befriedigung und ist ein willkommenes Bauchpinseln. Aber es ist nicht so, dass ich meine Forschung in irgendeiner Weise danach ausrichten würde.
Interessante Forschung ist das eine, gehört und gelesen zu werden das andere. Haben Sie einen Tipp für Kolleg_innen, wie man Aufmerksamkeit generieren kann?
Ich beobachte zumindest bei uns in der Ökologie einen Wandel weg von der Forschung in kleineren Arbeitsgruppen hin zu internationaler Zusammenarbeit. Viele Fragen, die eine grössere Tragweite haben, werden im Moment nur in internationalen Forschungsverbünden beantwortet. Für viele Antworten sind Perspektiven, Daten und Inputs von verschiedener Seite notwendig. Tatsächlich sind bei mir die Arbeiten, aus denen oft zitiert wird, vielfach diejenigen mit internationaler, breiter Beteiligung.
Zur Person: Sven Bacher ist Titularprofessor für Ökologie am Departement für Biologie der Universität Freiburg. Zu seinen Fachgebieten gehören Invasionsbiologie und Biodiversität.
Zur Liste: «Clarivate Analytics» führt die Literatur- und Zitationsdatenbank «Web of Science» und veröffentlicht jährlich eine Liste mit den weltweit meistzitierten Wissenschafler_innen in den verschiedenen Forschungsgebieten. Auf die Liste mit dem Namen «Highly Cited Researchers» schafft es nur ungefähr ein Promille aller Forschenden. Das Analyseunternehmen bezieht sich dafür auf die Zitationen der letzten zehn Jahre. Sven Bacher wurde allein im letzten Jahr 2601 Mal zitiert.
- Webseite von Sven Bacher
- Bacher Group
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