„Gegenwärtige konfessionelle Zugehörigkeit und religiöse Praxis von Jenischen und Manischen der Schweiz: Institutionen, Netzwerke und Identitäten.“
Sylvia Hobbs
Die Dissertation wird im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projektes mit dem Titel: „Der religiöse Wandel der Jenischen - von Ausgrenzungen zu religiöser Integration und Neuorientierung“ unter der Leitung von Prof. Oliver Krüger verfasst.
Dauer: 1. September 2015 - 30. August 2018.
Die Religionsausübung Jenischer ist bis jetzt ein vernachlässigtes Thema in der Forschung. Die jenische Minderheit wird in den Medien gegenwärtig vor allem wegen ihrem Kampf um ihr Recht auf ihre, kulturell und beruflich bedingten, fahrenden Lebensweise thematisiert. Denn seit 1995 ist es ihr Recht - aber nur auf dem Papier. In der Realität gibt es nur wenige Gemeinden oder private Landbesitzer, die fahrende Jenische auf ihrem Boden dulden. Fahrende Jenische sind eine Minderheit innerhalb der Minderheit, denn die meisten Jenischen leben inzwischen sesshaft.
Wurden die Jenischen (wie auch die Sinti oder Roma) im 20. Jahrhundert von der katholischen Kirche ignoriert bis ausgegrenzt, so fand in Europa ab 1965 und in der Schweiz ab 1995 ein Wandel statt. Im Jahr 1995 wurde in der Schweiz die Katholische Seelsorge für die Fahrenden gegründet. Zunächst mit Freiwilligenarbeit aufgebaut, wurde bald eine Institutionalisierung angestrebt. In meiner Masterarbeit: „Die katholische Seelsorge bei den Fahrenden in der Schweiz. Comme l’oiseau sur la branche…" habe ich in Form einer dichten Beschreibung diesen Institutionalisierungsprozess beschrieben. Dabei wurde klar, dass die Seelsorge auch deshalb institutionalisiert wurde weil man sich bald bewusst wurde, dass die meisten Manischen/Manouches (Sinti) und auch ein Grossteil der Jenischen sich bereits der evangelikalen Freikirche „Vie et Lumière“ (evangelische Zigeunermission) angeschlossen hatten. Die katholische Seelsorge entstand also nicht zuletzt als Antwort auf diese Entwicklung. Zeitlich fiel die Begründung der katholischen Seelsorge auch in die Aufarbeitungsphase nach den Enthüllungen über die Machenschaften des Hilfswerks Pro Juventute.
Die Verfolgung der Jenischen in der Schweiz zwischen 1926 und 1972 durch das staatlich subventionierte Hilfswerk Pro Juventute gehört zu den schwarzen Kapiteln der Schweizer Geschichte, welches zum Teil bereits wissenschaftlich aufgearbeitet ist.
Mit den expliziten Ziel, die fahrende Lebensweise auszumerzen, wurden mit Hilfe von kirchlichen Institutionen, Lehrpersonal, Sozialarbeitern u. a. Kinder aus ihren Familien entrissen und fremdplatziert, verdingt und auch ohne Gerichtsurteil in Strafanstalten untergebracht. Es wurden auch Zwangssterilsationen durchgeführt. Durch die schwerwiegenden und gewaltsamen Eingriffe in die Biographien einzelner Menschen wurden ganze Familien zerstört.
Die Erweiterung des Forschungsfeldes auf die evangelikale Freikirche Vie et Lumière führte zum Projektantrag beim Schweizerischen Nationalfonds SNF unter der Leitung von Prof. Oliver Krüger mit dem Titel: „Der religiöse Wandel der Jenischen - von Ausgrenzungen zu religiöser Integration und Neuorientierung“
Folgenden Fragen möchte ich in meiner Dissertation nachgehen:
- Wie prägen religiöse Affiliationen die sozialen Netzwerke innerhalb der jenischen Gesellschaft?
- Welche Antworten geben die beiden Denominationen auf existentielle Themen im Leben der Gemeindemitglieder?
- Wie nehmen die Gläubigen Wirksamkeit religiöser Praxis in Bezug auf verschiedene Herausforderungen im Alltag wahr?
- Welche spezifischen Anpassungen erfolgen von Seiten der Denominationen in der rituellen Praxis für ihre Gemeindemitglieder?
- Wie gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Religionsausübung und Raumbedarf für das Gemeindeleben?
Die Antworten auf diese (und im Sinne von grounded theory mit Sicherheit auch auf weiterführende Fragen) sollen mit Hilfe von qualitativen Forschungsmethoden (teilnehmende Beobachtung, informelle Gespräche und Interviews) ermittelt werden. Die Basis dafür besteht im inzwischen mehrjährigen Feldkontakt.