«Albanische Muslime haben Erfahrung in interreligiöser Koexistenz»
Arlinda Amiti (28) ist die Koordinatorin des Doktoratsprogramms „Islam und Gesellschaft: Islamisch-theologische Studien“ am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG). Das Programm wird von der Stiftung Mercator Schweiz gefördert. Sie kam im Jahr 2000 als Zehnjährige mit ihrer albanischen Familie aus Mazedonien in die Schweiz. Sie studierte Islamwissenschaft und Iberoromanistik an der Universität Basel. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit am SZIG der Universität Freiburg erforscht sie die albanisch-muslimische Gemeinschaft in der Schweiz, die die grösste muslimische Gruppe hierzulande bildet.
Interview von Katja Remane
Frau Amiti, Sie koordinieren seit September 2016 das Doktoratsprogramm des SZIG der Universität Freiburg. Welches sind die Hauptziele dieses Programms?
Das Ziel dieses einzigartigen Projekts ist es, an der Universität eine islamische Selbstauslegung zu entwickeln, die in der Wissenschaft, im Islam sowie in der Schweizer Gesellschaft ihren Platz finden soll. Dies trägt zur Integration der Muslime bei und zeigt, wie vielfältige Islamdeutungen zwischen Traditionen und kontextuellen Anforderungen ausgehandelt werden. Die wissenschaftlichen Analysen können im innerislamischen Diskurs aufgegriffen werden und zur Identitätsbildung von Muslimen in der Schweiz beitragen. Das Programm ist für die Gesellschaft insgesamt von Nutzen, da es nicht nur differenziertes Wissen bereit stellt, sondern auch religiöse, kulturelle und soziale Ressourcen des Islams für das Zusammenleben aufzeigt.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, über dieses Doktoratsprogramm zu kommunizieren?
Es lässt sich beobachten, dass der Islam oft pauschal wahrgenommen und dargestellt wird. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Da in der Gesellschaft ein hohes Interesse an Islamthemen und oft auch eine grosse Neugierde besteht, sehen wir die Chance, mit unseren Forschungsthemen nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern ganz breite Zielgruppen in der Gesellschaft anzusprechen. Als Doktorandinnen und Doktoranden können wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Islamdebatte in der Schweiz vielfältiger wird und sich neuen Horizonten öffnet.
Sie kamen als muslimische Albanerin im Alter von zehn Jahren in die Schweiz, nach Pratteln (BL). Fühlten Sie sich aufgrund Ihrer Religion diskriminiert?
Nein, aufgrund meiner Religion fühlte ich mich nicht diskriminiert. An erster Stelle wurde ich als albanische Migrantin oder Ausländerin wahrgenommen und die Religion war zweitrangig. Mein Wissen über den Islam habe ich persönlich und später während meines Studiums angeeignet.
Nun zum Thema Ihrer Dissertation: Die Auslegung des Islams bei der albanisch-muslimischen Gemeinschaft in der Schweiz. Was kennzeichnet diese Muslime und wie sind sie hierzulande vertreten?
Die Mehrheit der Muslime, die in der Schweiz leben, ist, mit etwa 40 Prozent, albanisch stämmig, gefolgt von den Bosniern, mit circa 20 Prozent. Muslime albanischer Herkunft und aus anderen Balkanländern stammen aus Europa. Sie bringen Erfahrung in der Koexistenz mit Christen und Juden mit. Viele lebten im ehemaligen kommunistischen Jugoslawien, wo die Religion strikt aus der öffentlichen Sphäre verdrängt wurde. Für die muslimischen Albaner hiess das folglich, sich auch mit säkularen Positionen auseinanderzusetzen, um nicht mit dem Staat in Konflikt zu geraten. Diese Erfahrung können sie in den interreligiösen und gesellschaftlichen Dialog einbringen. Seit den 2000er Jahren ist eine zunehmende Präsenz albanischer Muslime in der schweizerischen Islamdebatte zu verzeichnen. Die muslimische Landschaft in der Schweiz ist sehr heterogen, weshalb unterschiedliche Vertreterinnen und Vertreter zu Wort kommen. Auch die albanischen Muslime sind in sich sehr vielfältig: So gibt es «kosovarische Moscheen», deren Vorstand hauptsächlich aus Kosovaren besteht, und «mazedonisch-albanische Moscheen», deren Vorstand sich aus Albanern aus Mazedonien zusammengesetzt ist. Die Moscheebesucher sind wiederum sehr heterogen und stammen oft aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Ausserdem existiert ein weites Spektrum an Auslegungen von einem mystischen bis hin zu einem puritanischen Islam. Die junge Generation orientiert sich stark am schweizerischen Kontext und hat teilweise nur noch geringe Kenntnisse der Sprache ihrer Eltern und Grosseltern. Da ich in Mazedonien mehrere Jahre die Schule besuchte und in einem albanischsprachigen Umfeld aufwuchs, beherrsche ich beide Sprachen.
Wie gehen Sie Ihre Forschung an und welches sind Ihre ersten Ergebnisse?
Ich beschäftige mich einerseits mit theoretischen Aspekten wie Diaspora. Dabei fokussiere ich mich auf die Imame, indem ich ihre Predigten sowie ihre Aktivitäten untersuche. Die Imame sind Vorbeter und Prediger in Moscheen. Sie arbeiten als Seelsorger in Spitälern und Gefängnissen, vollziehen religiöse Trauungen und Begräbnisse. Innerhalb der Gemeinschaft spielen Imame eine zentrale Rolle für das Religionsverständnis. Zuletzt habe ich eine Predigt analysiert, in der ein Imam neben dem Koran auch Albert Camus zitiert hat. Es war für mich spannend zu sehen, wie er damit auf die Situation von Menschen in der Moderne Bezug genommen und diese mit muslimischen Deutungsangeboten verknüpft hat. Ein interessantes Phänomen sind auch gebildete muslimische Frauen, die Vorträge zu religiösen Themen halten.
Welchen Beitrag leistet Ihre Arbeit für die islamisch-theologischen Studien?
Die Arbeit zeigt exemplarisch anhand einer Islamtradition auf, wie Identitäten und theologische Position sowohl aus den Herkunftskontexten der Muslime schöpfen, aber auch in enger Beziehung zum Kontext der Schweiz stehen. Imame sind gerade als Prediger herausgefordert, hier einen Brückenschlag zu leisten. Mit dem Thema muslimische Predigt hat sich bisher fast noch niemand beschäftigt. Das könnte in der Zukunft auch Gegenstand eines weiteren Forschungsprojektes sein.