Beschreibung |
Legenden stellen im Mittelalter eine besonders produktive, kulturell einflussreiche und literarisch innovative Gattung dar. Die Lebensbeschreibungen von heiligen Frauen und Männern vermitteln mehr als nur religiöse Lehren, sie transportieren auch gesellschaftliche Normen und bilden zugleich Freiräume aus für die literarische Verhandlung zentraler ästhetischer, anthropologischer und kultureller Themen: etwa Fragen nach der Zeichenhaftigkeit von Gewalt, von körperlicher Schönheit und Hässlichkeit, von Akten politischer Repräsentation, von Zeit und Raum. Legenden thematisieren überdies das Spannungsfeld zwischen Providenz und Freiheit, sie diskutieren die Geltung höfischer und geistlicher Lebensformen, sie reflektieren die medialen Bedingungen von Gedächtnis und Überlieferung; nicht zuletzt spielt in ihnen immer wieder die Abgrenzung von nichtchristlichen Religionen eine Rolle. Das Seminar vermittelt Einblicke in die komplexen Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Legendenproduktion und -rezeption; darüber hinaus werden anhand exemplarischer, vornehmlich deutschsprachiger Texte unterschiedliche Typen von Legenden literaturwissenschaftlich analysiert und diskutiert. Dabei kommen auch zentrale Forschungsfragen der Gattungs- und Erzähltheorie zur Sprache – Fragen etwa nach der Eigenart ›einfacher Formen‹ (André Jolles), nach der Spannung von Kausal- und Finalmotivierung sowie nach dem Verhältnis von syntagmatischem und paradigmatischem Erzählen. Daneben erarbeiten wir jene kulturtheoretischen Ansätze, die sich neuerdings verstärkt mit der darstellerischen ›Unverfügbarkeit‹ des Heiligen und seiner Korrelate befassen. |