Beschreibung |
Predigt ist die älteste und anfangs bedeutendste Prosagattung der deutschen Sprache. Sie belehrt, polemisiert und provoziert. Das Recht, zu predigen, ist deshalb bitter umkämpft: „Denn unser Herr hat jedem Menschen eine Aufgabe gegeben; niemanden hat er dazu geschaffen, untätig zu sein. […] Ich habe auch eine Aufgabe: Ich muss predigen.“ (Wan unser herre hât eime iegelîchen mensche ein amt verlihen, er hât nieman ze müezekeit geschaffen, […] Ich hân ouch ein amt: predigen ist mîn amt). Der Franziskaner Berthold von Regensburg beschreibt mit diesen Worten das Selbstverständnis der Bettelorden, die seit dem 13. Jahrhundert in den städtischen Zentren die Gläubigen mit ihren Predigten faszinieren. Die neuen Prediger rufen allerdings auch Kritiker auf den Plan, die sie als ‚Spielleute Gottes‘ (ioculatores Dei) beschimpfen. Berthold wiederum polemisiert gegen die eigentlichen ›Spielleute‹, nämlich die Sangspruchdichter: „denn nach den Teufeln bist du benannt und trägst ja ihre Namen; du heißt Lasterbalg, und dein Kumpan heißt Schandolf.“ (wan dû heizest nâch den tiuveln unde bist halt nâch in genennet. Dû heizet der Lasterbalc: sô heizet dîn geselle Schandolf). Einer von diesen, der Marner, kontert Berthold und lästert seinerseits über die Franziskaner: Sie geben für ein Mittagessen mindestens hundert Tage Ablass und ernten für diese Ablasstage Gold und Silber. Bislang von der Forschung wenig beachtet ist die Tatsache, dass die Predigt auch in beträchtlichem Maße auf die höfische Literatur eingewirkt hat: Der Prolog des ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg oder die Unterweisungen, die der Protagonist des ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach von einem Eremiten erhält, erschliessen sich auch vor dem Hintergrund dessen, was zeitgenössisch in der Predigt gelehrt wird. Vernetzung und Verortung der Predigt innerhalb der Literatur und Kultur des Mittelalters stehen im Zentrum des Seminars: Predigt für den Hof um 1200, Literarisierung der Gattung bei Berthold von Regensburg, mystagogische Lehre für Frauen in den ‚St. Georgener Predigten‘, Erzählen biblischer Inhalte in den ‚Schwarzwälder Predigten‘, Dominikaner im Codex Manesse, die Übersetzung des Liebesdiskurses in die Klöster um 1300, Konrads von Würzburg ‚Der Welt Lohn‘ als Predigtexempel, der Solitär Meister Eckhart, die Parodierung in der Versnovellistik und die Materialität der Predigt in den mittelalterlichen Handschriften (Exkursion in die Handschriftenabteilung der UB Basel). Literatur: Ein Reader mit allen Texten (mhd./nhd.) wird zu Semesterbeginn verfügbar sein. Lektüreempfehlungen zur Vorbereitung: [Art.] Predigt, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, 2003, S. 151-156. Termine der Seminarblöcke: 28.02./01.03., 21./22.03. und 02./03.05., jeweils freitags: 13-17 Uhr / samstags: 9-13 Uhr. Exkursion in die Handschriftenabteilung der UB Basel: 16. Mai, 13-17 Uhr. Der öffentliche Vortrag von Prof. Schiewer findet am 15. Mai 2025, 18:00 Uhr, im Museum für Kunst und Geschichte statt. |