EvolutionPublikationsdatum 20.11.2024
Panzer bremst die Evolution von Schildkröten
Eine Studie der Universität Freiburg legt nahe, dass der Panzer von Schildkröten deren evolutionäre Entwicklung stark einschränkt. Das erklärt ihre geringe Artenvielfalt im Vergleich zu anderen Tiergruppen.
Obwohl Schildkröten vor über 230 Millionen Jahren im Trias entstanden sind, gibt es heute nur rund 350 Arten. Im Vergleich dazu existieren mehr als 10'000 Vogelarten. In ihrer neuen Studie, die im Journal Ecology & Evolution publiziert wurde, untersuchen Guilherme Hermanson und Dr. Serjoscha Evers von der Universität Freiburg die Beziehung zwischen Körpergrösse und Gliedmassenlänge bei Schildkröten und beleuchten, wie diese Proportionen die evolutionären Möglichkeiten der Tiere begrenzen.
Der Panzer als evolutionäre Einschränkung
Während bei anderen Tieren Gliedmassen flexibel mit der Körpergrösse wachsen und sich anpassen (Allometrie), zeigen Schildkröten eine feste Körper-Gliedmassen-Proportion (Isometrie). «Unsere Messungen an über 200 Schildkrötenarten, sowohl lebend als auch ausgestorben, zeigen, dass sich das Verhältnis von Panzer- zu Gliedmassenlänge seit Millionen Jahren kaum verändert hat», erklärt Hermanson. Der Panzer fungiert als evolutionäre ‘Sackgasse’: Schildkröten können dadurch keine neuen Körperformen wie flugfähige oder gliedmassenlose Varianten entwickeln.
Ausnahmen bei Meeresschildkröten
Meeresschildkröten zeigen leichte Abweichungen, da sie ihre Vorderflossen für die Fortbewegung im Wasser nutzen. Mithilfe statistischer Skalierungsmodelle konnten die Forschenden zudem die Grösse ausgestorbener Arten schätzen und vermuten, dass die maximale Panzerlänge von Meeresschildkröten bei etwa 2,2 Metern liegt – ähnlich wie bei der heutigen Lederschildkröte. Die Meeresschildkröten können möglicherweise deshalb nicht grösser werden, weil sie zur Eiablage an Land zurückkehren müssen, wo grössere Tiere schneller überhitzen. Meerestiere wie Wale und Delfine oder ausgestorbene Reptilien wie Plesiosaurier und Ichthyosaurier hatten diese Einschränkung nicht: Sie brachten ihre Jungen im Wasser zur Welt und konnten dadurch viel grösser werden.
Studie:
Hermanson G, Evers SW. 2024. Shell constraints on evolutionary body size-limb size allometry can explain morphological conservatism in the turtle body plan. Ecology & Evolution, 14. https://doi.org/10.1002/ece3.70504