Dossier

Warum haben Zebras Streifen? Lin, 9 Jahre

Im Naturhistorischen Museum von Freiburg steht ein ausgestopftes Zebra. Neben den anderen exotischen Tieren besticht es durch die Perfektion und Schönheit seiner Streifen. Für uns sind sie Ausdruck von Eleganz und Exotik. Aber was bedeuten die Streifen dem Zebra und was signalisieren sie seinem Feind?

Der Mann für solche Fragen sitzt in einem Büro keinen Steinwurf vom ausgestopften Zebra entfernt. Daniel Wegmann, Professor für Biologie, hat einen Mitarbeiter, der in Zentralafrika forscht und beteiligt sich auch selber an der Planung eines Naturreservats in der Zentralafrikanischen Republik. Er bezeichnet sich aber keineswegs als besonderer Tierkenner oder gar Zebra-Fachmann. Allerdings ist er Experte für Populationsgenetik und weiss daher, auf welchem Weg Wissenschaftler am Rätsel knobeln, warum Zebras gestreift sind. Denn geklärt ist die Frage bis heute nicht. 

 

Streifen gegen den tödlichen Schlaf

Die aktuell am besten untersuchte Annahme, warum Zebras gestreift sind, hat mit den Tsetse-Fliegen zu tun und mit der Schlafkrankheit, die diese übertragen. Wenn die Fliegen ein Zebra attackieren und es dabei mit der Schlafkrankheit anstecken, dann wird der Organismus des Zebras lahmgelegt. Es fällt dadurch in eine Art Schlaf – und wird so zu einem leichten Opfer für Raubtiere. Herausgefunden haben das Forscher, indem sie Experimente mit Tsetse-Fliegen durchgeführt haben. Die Forscher haben Pferde – echte und solche aus Kunststoff – verschieden angemalt; ungestreift und gestreift, mit breiteren und schmaleren Streifen. Die Kunststofftiere haben sie zusätzlich mit Leim eingepinselt. Danach konnten die Wissenschaftler beobachten, auf welchen Versuchstieren sich mehr Fliegen niederliessen und kleben blieben. Die Experimente zeigten tatsächlich, dass die Tsetse-Fliegen die schwarz-weissen Streifen nicht besonders mögen und die Zebras deutlich weniger intensiv attackieren.

 

Eine Natur voller Zufälle

Für Wissenschaftler wie Daniel Wegmann ist diese Erklärung mehr als eine Antwort auf die Frage, was die Streifen den Zebras nützen. Es ist für sie ein klarer Hinweis dafür, dass sich die Streifen im Laufe der Evolution durch sogenannte Selektion durchgesetzt haben. Von Selektion sprechen die Wissenschaftler dann, wenn eine genetische Veränderung nicht alleine durch Zufall häufig wird, sondern weil sie den betroffenen Individuen einen Vorteil bringt. Die meisten Menschen, so erklärt Daniel Wegmann schmunzelnd, gehen selbstverständlich davon aus, dass Merkmale, die wir in der Natur beobachten – bei den Tieren, den Pflanzen oder auch bei uns Menschen – zweckmässig und notwendig sind. Das allerdings ist mitnichten der Fall: Vieles in der Natur ist nämlich bloss Zufall. Und diesen Zufall als Gegenstück zur genetischen Selektion nennt die Wissenschaft genetische Drift. Eingängig erklärt der Biologe diese beiden Prozesse an Ohrläppchen und am Milchkonsum unserer Gesellschaft: Wir Menschen haben verschiedene Arten von Ohrläppchen; die einen haben solche, die unten abgerundet sind, bei den anderen ist das untere Stück direkt mit der Haut über dem Kiefer verwachsen. Entstanden sind diese Unterschiede durch genetische Veränderungen – durch eine Art Kopierfehler der Natur. Dass heute beide Arten von Ohrläppchen häufig sind, ist jedoch wahrscheinlich einfach das Resultat von genetischer Drift, sprich Zufall, denn einen besonderen Nutzen haben wir weder von abgerundeten noch von angewachsenen Ohrläppchen. Nicht alleine Zufall war hingegen der Selektionsprozess, der dazu geführt hat, dass wir als Erwachsene Milchprodukte verdauen können. Vor vielen tausend Jahren tranken die Menschen Wasser und ernährten sich von Fleisch, von Gemüse und von Früchten. Nur Säuglinge tranken Muttermilch und nur in den Körpern der Säuglinge wurde darum das Protein Laktase produziert, das dem Körper hilft, die Milch zu verdauen. Nach dem Säuglingsalter stellte der Körper die Laktase-Produktion ein; es wäre ja auch denkbar ineffizient, ein Leben lang ein Protein zu produzieren, das zu nichts Nutze ist. Als die Menschen dann aber durch die Kultivierung von Milchkühen anfingen, auch im Erwachsenenalter Milch zu konsumieren und Käse zu essen, musste der Körper seine Proteinproduktion anpassen. Das führte dazu, dass eine Mutation beim Menschen, die ihn auch als Erwachsener laktosetolerant machte, in ihrer Häufigkeit schnell und stark zugenommen hat.

 

© Jan von Holleben
Fülle genetischer Daten

Der Weg zu solchen Erkenntnissen führt über genetische Spuren, die in menschlichen und tierischen Skeletten zum Teil über Jahrtausende erhalten bleiben. Heute können Forschende Informationen von unermesslichem Umfang auswerten. Sie messen Daten, wie sie es sich vor zehn Jahren nicht hätten erträumen können. Die technischen Möglichkeiten sind beeindruckend. Und zuweilen, so Daniel Wegmann, wachsen die Daten den Wissenschaftlern über den Kopf. Deshalb entwickeln er und seine Mitarbeiter neue statistische Verfahren, um grosse Datenmengen mit Hilfe von leistungsstarken Computern zu analysieren. Computer können heute sehr vieles. Eines aber werden sie wohl noch lange nicht können, und das ist das Wichtigste in der Forschung: gute Fragen stellen. Das können nur Menschen. Und besonders Kinder.

 

Unser Experte Daniel Wegmann ist Professor für Bio­informatik. Er entwickelt mit seiner Gruppe neue Algorith­men und statistische Verfahren, um aus grossen biologischen Datensätzen unter anderem die Evolution besser zu verstehen. Zebras konnte er in Afrika oft beobachten, aber ob sie weiss und schwarz gestreift oder schwarz und weiss gestreift sind, ist auch ihm unbekannt.

daniel.wegmann@unifr.ch