Fokus
Sinnvoll smart
Der Umgang mit der Künstlichen Intelligenz gehört zu den wohl grössten Herausforderungen unserer Zeit. Auch am Human-IST Institut brütet man über der Frage: Wie smart wollen wir die Zukunft?
Wenn der Mensch es mit der Maschine zu tun bekommt, dann gibt nicht selten die Maschine vor, wie die Interaktion aussieht. Google zum Beispiel: Wir haben uns den etwas grobschlächtigen (manche würden auch sagen: nach wie vor nicht besonders intelligenten) Möglichkeiten der Suchmaschine längst angepasst und massschneidern unsere Suchanfragen selber mit vielversprechenden Stichworten. Es ist gar noch nicht so lange her, da war uns versprochen worden, Google und Konsorten würden bald Alltagssprache verstehen und Anfragen kontextbezogen bearbeiten können. Nichts davon ist eingetreten. Stattdessen amüsiert sich das Netz über eine Grossmutter in England, die tatsächlich ins Suchfenster tippt, was man in einer «normalen» Welt an Kommunikation erwarten würde: «please translate these roman numerals mcmxcviii, thank you.» Die Ingenieure arbeiten indessen weiter mit Hochdruck an technischen Knacknüssen – und vergessen dabei gern, dass doch gerade eine solche Grossmutter-Unbedarftheit die Richtschnur sein müsste für unsere Interaktionen mit der Maschine.
Denis Lalanne, der Direktor des Human-IST Institut (Human Centered Interaction Science and Technology), hat auch mal als Software-Ingenieur angefangen, und zwar nicht auf irgendeinem Nebengleis, sondern im aktuell wohl zu Recht überall gehypten Feld der Künstlichen Intelligenz. Ehemalige Kollegen arbeiten nun vielleicht bei Google oder haben längst eigene Startups gegründet (auch Lalanne war kurz Teil dieser Startup-Szene) und sind womöglich Millionäre. Lalanne indessen überlegt zunächst mal lange, bevor er seine Arbeit auf den Punkt bringt – indem er einen unscheinbaren Würfel vom Pult nimmt, der in der Hand Platz findet und mit diversen Sensoren und Feedbacktasten lernen soll, wie es um das Wohlbefinden des Menschen steht. Wie ein Produkt, das auf den Markt abzielt sieht das irgendwie nicht aus, und Lalanne verkauft es auch nicht so. Man merkt: Am Human-IST wird lieber geforscht als digitale Umwälzung betrieben. Doch so sehr Denis Lalanne es auch schätzt, frei von Marktzwängen an Ideen zu arbeiten, so klar scheint ihm auch, dass es in Zukunft Spinoffs von Human-IST geben wird.
Dieser eher reflektierende Design-Ansatz ist nicht ganz verkehrt, wenn man sich die conditio humana zu Zeiten von omnipräsenten Gadgets und (für manche erschreckend, für andere verblüffend) schnell lernender AI vor Augen führt. Denn: Wenn die Maschinen schlauer werden, dann profitieren sie dabei mitunter auch davon, dass wir sie schlauer machen als sie eigentlich sind. Oder simpler gesagt: Nicht alles, was man «smart» machen kann, macht smart auch Sinn – das weiss auch Lalanne. Er beginnt vom smart living lab zu sprechen, das der Kanton Fribourg zusammen mit der der ETH Lausanne lanciert hat, und von Stühlen, die mit allerlei Sensorik ausgerüstet sein und ihren Be-Sitzer allmählich kennen werden. Um dann auf die scheue Nachfrage, ob die Welt solche Stühle denn tatsächlich brauche oder ob eine Sitzgelegenheit ihren Zweck auch im 21. Jahrhundert immer noch bestens erfüllt, wenn sie eben einfach: Sitzgelegenheit ist, prompt antwortet, dass man überall da, wo sich der Nutzen von intelligenten System nicht erweist, natürlich zurückbuchstabieren und auf digitalen Schnickschnack verzichten sollte.
Gemeinsam ist man smarter
Da spricht dann plötzlich nicht mehr der Wissenschaftler-Nerd, sondern der Designer – form follows function, denkt man. Und das ist eben das besondere dieses Instituts, dass hier zwar an digitalen Zukunftskonzepten gearbeitet wird, aber mit einer ganz anderen Herangehensweise als im Silicon Valley, wo die Weltanschauung des Ingenieurs alles andere dominiert; wo also vor allem daran gearbeitet wird, eine Technologie zum Funktionieren zu bringen. Das interessiert Lalanne und sein Team von inzwischen rund zehn Mitarbeitenden irgendwie auch, aber erst an zweiter Stelle. Zuerst sehen sie sich als Forscher, die herausfinden wollen, wie die (digitalen) Dinge sein sollten, die uns umgeben, wie diese so zum Funktionieren gebracht werden können, dass der Mensch möglichst im Zentrum steht. Und weil im Moment gerade alles Mögliche (und sogar manches Unmögliche) ein digitales Update bekommt, ist die Gruppe thematisch sehr breit aufgestellt. Es gibt einen Schwerpunkt in der Architektur, es gibt einen zweiten in der Medizin und auch bei Ideen der Datenvisualisation versucht man, möglichst nah am «einfachen Menschen» zu bleiben und Kompetenzen in der Mensch-Maschinen-Interaktion aufzubauen, die einen gesellschaftlichen Einfluss haben können.
«Wir gehen von der Frage aus, welche Bedürfnisse die Nutzer haben», sagt Lalanne. Und weil sich mit einer solchen Frage schon eine gewisse Komplexität auftut, ist ein Labor wie das Human-IST gut damit beraten, sich auch entsprechend breit aufzustellen – hier arbeiten IT-Leute ganz selbstverständlich mit Psychologen und Soziologen zusammen. Und für das smart living lab wurde auch das Atelier oï, ein renommiertes Designbüro, beigezogen. Lalanne sagt es noch anders: Man arbeite eben an einem Thema, das grosses Potential für synergetische Herangehensweisen birgt.
Und während er das sagt, kämpft er mit seinem neuen Macbook, das doch einfach nur ein Video mit einem inspirierenden Designprojekt aus England abspielen sollte aber nicht so recht tut wie es soll. Auch an diese Macken haben wir uns ja inzwischen schon gewöhnt – man fragt sich sogar für einen Moment, ob sie die Mensch-Computer--Interaktion nicht irgendwie menschlicher machen – ob einer wie Lalanne also einer Maschine absichtlich ein paar Launigkeiten einprogrammieren würde. Aber zurück zur Interaktion Mensch-Gebäude, wo man solche Launigkeiten wohl eher vermeiden will: da werden die Human-ISTen nämlich zu Versuchskaninchen in eigener Sache. Die Forschenden wollen alle Bewegungen exakt tracken und mit diversen Sensoren auch noch versuchen, via physiologische Merkmale das Wohlbefinden der Menschen im Gebäude zu erfassen. Die Frequenz des Blinzelns könne zum Beispiel so ein Indikator sein, oder auch die Körpertemperatur. Im besten Fall würden sich diese Daten dann so korrelieren lassen, dass das Gebäude ein sich ankündendes Unwohlsein schon ahnt, bevor es dem Betroffenen richtig bewusst wird – und dass es dann entsprechend reagiert: die Temperatur erhöht, ein Fenster öffnet, das Licht dimmt.
Man stolpert wieder: Ist das nicht ein wenig unheimlich, so ein exaktes Tracking? Wie steht es denn mit dem Datenschutz? «Oui, ça va être la folie!», bricht es aus Lalanne heraus, aber das sei ja zunächst einmal das Ziel dieser Forschung, möglichst umfassende Daten zu sammeln. Und dann eben zu reflektieren, was damit anzufangen sei. Und was auch nicht. Dies mit dem Ziel, die Interaktion zwischen Menschen sowie ihre Interaktion mit dem Gebäude besser zu verstehen. Und ferner, um aus diesem Verständnis heraus dereinst bessere Gebäude bauen zu können – oder auch auf das Verhalten der Menschen einzuwirken.
Ein kleiner Schwerpunkt am Human-IST-Zentrum bildet deshalb auch der Datenschutz. Für Lalanne ist klar, dass auch hier ein etwas anderer Ansatz gelten müsste als er im Moment von der Digitalwirtschaft praktiziert wird: Privacy by Design müsste das Motto sein: die Systeme so gebaut, dass grundsätzlich ein starker Datenschutz gewährleistet ist, und zwar auf transparente Weise. Auch eine Frage der Architektur, letztlich: wie baut man eine Software-Umgebung so, dass der Mensch nicht dauernd getäuscht wird? Beispielhaft für diese Human centered-Leitidee ist ein zusammen mit dem Freiburger Tinguely Museum konzipiertes Projekt: ein neuartiges Besuchersystem mit Kamerabrillen. An der Kasse bekäme man so angeboten, einen «virtuellen» Besucher mit auf den Museumsrundgang zu nehmen: ältere Menschen im Heim oder andere Kunstinteressierte, die wenig mobil sind. Diese würden fern des Museums ihrerseits eine Stereobrille aufsetzen und so dieselben Werke sehen wie der Besucher vor Ort. Die so verbundenen Personen könnten sich dabei zwanglos über das Gesehene austauschen – eine Technologie, die Menschen zusammenbringt statt sie zu isolieren.
Apropos ältere Menschen
Google hat die Anfrage der englischen Grossmutter selbstverständlich richtig beantwortet. Und sich dabei auch gleich noch per Tweet für die netten Worte bedankt, nachdem ein von ihrem Enkel gemachter Screenshot viral gegangen war. Die Ingenieure haben sich wohl tatsächlich gefreut über diesen Moment der Menschlichkeit im algorithmisch optimierten Getriebe der Maschine. Man sollte die Geschichte vielleicht zum Pflichtstoff in Informatik-Lehrgängen machen.
Denis Lalanne ist Professor für Informatik an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Seine akademische Ausbildung erhielt Lalanne an der ETH Lausanne (PhD, Informatik), am Institut National Polytechnique de Grenoble (Kognitionswissenschaften), an der Université Pierre Mendès, Grenoble (Sozialwissenschaften) sowie an der Université Joseph Fourrier, Grenoble (Informatik).
Seit anfangs 2015 koordiniert Lalanne verschiedene interdisziplinäre Projekte unter dem Dach des Human-IST Research Center, das dank zwei grosszügigen Spenden lanciert werden konnte.
smart living lab
Eines der Hauptprojekte von Human-IST, für welches das Institut mit der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg und der ETH Lausanne zusammenspannt. Hier soll die Behausung der Zukunft entwickelt werden, wobei es um Materialforschung ebenso geht wie um Energiefragen und um Fragen des Komforts, also der Interaktion zwischen Menschen und Gebäude. Die Forschenden werden demnächst in der Freiburger BlueFactory verschiedene Räume beziehen, die teils als klassische Büros, teils als Lounges konzipiert werden. Das Nutzungsverhalten wird akribisch aufgezeichnet und laufend ausgewertet und soll dann in die weitere Entwicklung der Behausung der Zukunft einfliessen – Forschung als Feedbackloop. Ganz konkret geht es auch darum, ein komplettes Smart living building zu konzipieren, das dereinst Human-IST und andere Gruppen beherbergen soll, die an der Behausung der Zukunft arbeiten.
iSight / IKnowU
Zusammen mit Kollegen aus der psychologischen Fakultät (Roberto Caldara, Nicolas Ruffieux) arbeitet das Human-IST-Team an der Entwicklung von visuellen Prothesen. Die simple Idee:
Könnten Augmented-Reality-Brillen für Leute mit eingeschränktem Seh- und Wahrnehmungsvermögen nutzbar gemacht werden, nicht indem zusätzliche Informationen in die sichtbare Welt eingeblendet, sondern indem die Beeinträchtigung «zurechtgebogen» wird? Eingeschränkte Gesichtsfelder zum Beispiel könnten dank der Brille so bespielt werden, dass die gesamte von den Kameras erfasste Umgebung künstlich zusammengestaucht wird, auf die Grösse, die von den Betroffenen tatsächlich gut wahrgenommen werden kann. Oder blinde Flecken werden automatisch mit Information gefüllt. Bestenfalls könnte so für jede individuelle Beeinträchtigung eine optimale prothetische «Weltsicht» errechnet werden, und zwar in Echtzeit.