Porträt

Die wunderliche Geschichte einer Dissertation

Seine Triebfeder ist die bessere Zukunft dieser Welt. Theodor von Fellenberg über sich und seine Dissertation, die auch nach 50 Jahren Wirkung zeigt.

Sein Gang ist bestimmt, kraftvoll, elegant. Wie Theo von Fellenberg zum Rednerpult schreitet, sieht man ihm seine 81 Jahre nicht an. Schon mit dem ersten Satz wissen die Zuhörer: dieser Mann ist nicht gekommen, um sich nur für den Goldenen Doktor zu bedanken, der ihm 50 Jahre nach seiner Promotion von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät verliehen wird. Das Privileg des Alters, sagt er, gäbe ihm das Recht, länger als die drei ihm zugestandenen Minuten zu reden. «Narrenfreiheit» nennt er es und legt seine Notizen beiseite. Über 700 Personen sind versammelt, um an der Promotionsfeier die Bachelors, Masters und Promovierten zu feiern. Eben hat der Dekan ihnen eine goldene Zukunft versprochen mit viel Geld und Wohlstand.

«Die Dissertation habe ich meinem Vater zulieb gemacht», beginnt Fellenberg seine Rede und: «Sie hat mir nichts genützt. Weder wollte ich Manager werden, noch Professor.» Wer ist dieser Mann, der sich mit entwaffnender Ehrlichkeit weigert, schöne Reden über sich und seine Ehrung zum Goldenen Doktor zu halten?

Die Fellenbergs waren Kirchenmänner, Juristen und Reformer. Viele Generationen lang strebten sie nach Amt und Würde, Bernburger eben. Theodor hätte in ihre Fussstapfen treten sollen.

 

Doch er brach nach dem Studium der Nationalökonomie an der Universität St. Gallen mit den Erwartungen seiner Eltern und ging, statt eine aussichtsreiche Stelle anzutreten, ins Ausland, um mit dem Service Civil International (SCI) in Indien und Sri Lanka als Freiwilliger Arbeitseinsätze zu leisten. Es folgte eine Reise rund um die Welt, «immer der Sonne entgegen». Ein Lernwanderer sei er gewesen, sagt Fellenberg von dieser Zeit, in der aus zufälligen Begegnungen viele lebenslange Freundschaften entstanden.

 

Zurück in Bern wurde er vom Dienst für technische Zusammenarbeit (DftZ) angefragt, der heutigen Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA). «Wir mussten keine Stellen suchen», sagt Fellenberg. Die damalige Haltung des DftZ aber, dass der Fortschritt vorwiegend durch externe staatliche Hilfe initiiert werde und nicht von den Partnern vor Ort, die störte ihn. So entstand die Idee zu einer Dissertation über die Ursprünge der «Dynamisierung traditioneller Sozialgebilde». Sie erlaubte ihm, 1964 den Rucksack erneut zu packen, noch einmal auf Reisen zu gehen, zurück nach Sri Lanka, zu seinen Freunden, mit denen er zwei Jahre zuvor in den Reisfeldern gearbeitet und Strassen gebaut hatte.

Es sollte eine rein soziologische Arbeit werden: Statt eine herkömmliche Dissertation zu schreiben und mit Zahlen und Statistiken die Fortschritte der ländlichen Entwicklung zu erheben, bat Fellenberg die Leute aus dem Dorf Higgoda, ihre Sicht zum Wandel in ihrem Dorf aufzuschreiben. Nach der Promotion von 1966 arbeitete er weitere vier Jahre bei der DftZ, um dann, wie schon einmal, den vorgespurten Weg zu verlassen. Er ging zurück zum SCI, als dessen internationaler Koordinator, quittierte auch diese Stelle nach sechs Jahren, um – nun zusammen mit seiner Familie – auf einem Monti in der Leventina die Vision einer internationalen Begegnungsstätte zu realisieren. Die multikulturelle Gruppe musste das Projekt jedoch aufgeben. Fellenberg wandte sich in der Folge ganz der Natur zu, wurde Ökobauer und Umweltaktivist.

Aus dem Stegreif erzählt Fellenberg, wie er sich damals für seine soziologische Dissertation wehrte. Etwas närrisch Überraschendes hat, wie versprochen, seine Rede tatsächlich, wie er so beiläufig vom Entstehen der Diss. überleitet zu deren Erfolg. Denn vor zwei Jahren war Fellenberg wieder in Sri Lanka, im selben Dorf Higgoda. Diesmal als Ehrengast. Zum dritten Mal hatten die Dorfbewohner ihre Geschichten aufgeschrieben. 1994, das zweite Mal, hatten sie ein Buch in singalesischer Sprache herausgegeben mit dem Titel «Gama pipide» (Ein Dorf meldet sich zu Wort) und es der Premierministerin überreicht. «Die Ehre des goldenen Doktors gebührt eigentlich den Dorfbewohnern», sagt Fellenberg. Sie seien es, die seit fünfzig Jahren über die Sonn- und Schattseiten ihrer Entwicklung reflektieren würden; ein soziales Labor, ein lernendes Dorf sei aus Higgoda geworden. Sagt einer, der sich ein Leben lang weigerte, sich mit den Privilegien seiner Herkunft zu begnügen und hartnäckig auf der Suche nach einem besseren Leben blieb.

 

Theo von Fellenberg wurde 1935 in Bern geboren. Er studierte von 1955 bis 1959 Nationalökonomie an den Universitäten Bern, Genf und St. Gallen und promovierte im Jahr 1966 an der Universität Freiburg. Fellenberg ist verheiratet mit Theres. Sie haben vier Kinder und sieben Enkelkinder.

 

Fotos: Aldo Ellena