Fokus

Eine Bibliothek mit Aussicht(en)

Die Kantons- und Universitätsbibliothek steht vor einem regelrechten Quantensprung: Aus der baufälligen und in die Jahre gekommenen Institution soll ein hochmoderner Ort der Ruhe, des Studierens und der Begegnung werden.

Seit Jahrtausenden erfüllt sie im Kern denselben Auftrag und ist doch einem steten Wandel unterworfen: Die öffentliche Biblio-thek. Auch das inzwischen über hundertjährige neobarocke Gebäude der Kantons- und Universitätsbibliothek (KUB) in der Stadt Freiburg entsprach 1910 – mit einem Aufzug in den Magazinen, elektrischem Licht, fliessendem Wasser in den Garderoben und einer Kapazität von 700000 Büchern für 300 (!) Studierende – durchaus den Anforderungen jener Zeit. In den 1970er Jahren wurde die KUB erstmals erweitert. Das erklärte Ziel: Die Entwicklung der Bibliothek für weitere 40 Jahre zu gewährleisten, also bis maximal 2010.

 

Diese Zeitspanne ist abgelaufen und die KUB hat, in der Tat, einen Zustand erreicht, der nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht. Allem voran steht der Mangel an Platz, der die Bibliothek in verschiedener Weise beeinträchtigt. Als eine der letzten grossen Bibliotheken der Schweiz verfügt die KUB über keinen Freihandbereich. Wer ein Buch ausleihen will, muss die-ses im Online-Katalog ausfindig machen und vorbestellen. Für das Personal der Bibliothek bedeutet dieses Vorgehen unzählige Gänge ins Magazin, um die bestellten Bücher rauszusuchen, für die Abholung bereitzustellen und sie nach der Rückgabe wieder einzuräumen. «Die so zurückgelegte Wegstrecke entspricht in zehn Jahren einer Erdumrundung», veranschaulicht KUB--Direktor Martin Good eindrücklich. Auch ein Blättern durch die stattliche Sammlung der rund 5000 abonnierten Zeitschriften ist oft nicht möglich, da viele sofort nach Erhalt ins Magazin wandern. Sogar der Zugang zu den elektronischen Medien ist wegen des knappen Raumangebots stark erschwert: Zwar nehmen die rund 18000 abonnierten Online-Zeitschriften sowie die Datenbanken und digitalen Archive physisch keinen Platz ein, aber es fehlen geeignete Plätze, um diese vor Ort konsultieren zu können; für nichtuniversitäre Nutzer ist der Zugang aus lizenzrechtlichen Gründen meistens auf das Bibliotheksgebäude beschränkt. «Die Anforderungen an eine Bibliothek haben sich mit der heutigen Informationsgesellschaft stark verändert», erklärt Martin Good. «Ausserdem hat sich die Anzahl Studierender seit den 1970er Jahren verdreifacht.» So sei das Angebot an Arbeitsplätzen, sowohl bezüglich der Anzahl wie unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbedingungen, längst nicht mehr angemessen.

 

Fribourg, Archives de l’Etat : CC-76.1

 

Drohendes Damoklesschwert

Weniger augenfällig als der fehlende Frei-hand-bereich ist der Mangel an verbleibenden Lagerkapazitäten. Die Bibliothek platzt aus allen Nähten, bereits stapeln sich Kartonkisten in einzelnen Gängen. «Unsere Magazine in den Untergeschossen des Gebäudes sind voll. Ausserdem sind die pneumatischen Rollregale dermassen in die Jahre gekommen, dass wir jederzeit mit einem kompletten Ausfall rechnen müssen. Mein grösstes Sorgenkind aber ist die prekäre Sicherheitslage», betont Martin Good. In der Tat: Ein Besuch im Untergeschoss der Bibliothek bestätigt eindrücklich die Worte des Direktors. Die tiefen Decken des Magazins hängen sozusagen durch und wurden in diesem Jahr mit 257 Stahlstützen abgesichert werden. Auch musste in jüngerer Vergangenheit zweimal die Feuerwehr ausrücken und einmal sogar das Gebäude evakuiert werden, weil veraltete Installationen Rauch verursacht und einen Alarm ausgelöst haben. «Ein Feuer in den Magazinen wäre ein Super-GAU, auch wegen der durch das Löschwasser verursachten Folgeschäden!» Nicht zuletzt bedürfen auch die Konservierungsbedingungen für die wertvollen historischen Bestände dringend einer Verbesserung.

 

Oase in der Stadt Freiburg

Zurück aus dem Magazin, stehen wir vor dem wunderschönen Modell des Siegerprojekts aus dem Architekturwettbewerb mit dem klingenden Namen «Jardins cultivés». «Gärten und Bibliotheken stehen in einer ganz besonderen Beziehung zueinander, von Cicero bis Alberto Manguel verbinden sie sich zu Glücksvorstellungen.» Sichtlich begeistert erzählt Martin Good von der jahrhundertealten Verbindung zwischen Gärten und Bibliotheken und schlägt elegant den Bogen zum geplanten Aus- und Umbau, der dem Thema des Gartens viel Platz einräumt. Geplant sind zwei Neubauten sowie eine Neugestaltung des historischen Hauptgebäudes der aktuellen Bibliothek. «Ein neues Hauptge-bäude an der Rue St-Michel zu entwerfen war aufgrund der langgezogenen schmalen Fläche keine leichte Aufgabe. Aber es ist den Architekten gelungen, das Beste aus dieser schwierigen Ausgangslage herauszuholen und ein voll und ganz überzeugendes Projekt vorzustellen», schwärmt Martin Good. «Die vielen Fassaden ermöglichen im ganzen Gebäude optimale Lichtverhältnisse und die transparente Gestaltung betont optimal den Einbezug des Gartens. «Ein eigentlicher Garten soll auf dem Dach des fünfstöckigen Gebäudes angelegt werden und als zusätzliche Arbeitszone dienen», erklärt Good weiter. «Das neue Gebäude funktioniert nach dem Motto: Je höher, desto ruhiger.»

 

Treu diesem Motto soll im Erdgeschoss des luftigen Neubaus der Empfangsbereich entstehen. Der Eingang umfasst die Empfangstheke, wo Auskünfte erteilt und bibliothekarische Dienstleistungen (z.B. Fernleihe) erbracht werden, einen Ausstellungsbereich, die Cafeteria sowie etwas weiter hinten einen Vortragssaal. Das auf Transparenz angelegte Gebäude offenbart den Besucherinnen und Besuchern auf einen Blick sozusagen sein Innerstes. Ein langer Treppenflur führt längs durch den Bau, vom Haupteingang bis zum zwei Etagen höher gelegenen historischen «alten» Eingang. Und selbstverständlich ist der Zugang zum und die Bewegung durchs Gebäude auch für Personen mit eingeschränkter Mobilität gewährleistet.

 

Nebst Licht und Luft in schönen Räumen soll der neue Bibliotheksbau vor allem eines bieten: viel mehr Platz für das Publikum. «Die entsprechende Fläche wird sich verfünffachen», so Martin Good. «Sechs der insgesamt acht Geschosse der neugestalteten Bibliothek sind für die frei zugängliche Konsultation der Bücher und für die Studienplätze vorgesehen.» Insgesamt sollen so 750 individuelle Arbeitsplätze entstehen, ausserdem 150 Plätze in den Gruppen-räumen. Im Freihandbereich werden im Endausbau rund 300000 nach inhaltlichen Kriterien aufgestellte Bücher zur Auswahl stehen. Die ersten beiden Obergeschosse bilden das Herz der neuen Bibliothek: Im heutigen Magazingebäude an der Rue St-Michel werden zwei grosse lichtdurchflutete Lesesäle mit einer Etagenhöhe von 3,8 Metern entstehen. Die individuellen Arbeitsplätze auf der gegenüberliegenden Westseite sind entlang der grosszügigen Fensterfront eingerichtet, mit Blick auf den Garten des Dominikanerordens. «Die zwei Untergeschosse schliesslich bilden den Tresor der KUB und werden den klimatischen Erfordernissen für Kulturgüter entsprechend angepasst», erläutert der KUB-Direktor. Das grosszügige Platzangebot zur Konsultation der Bücher und für Studienzwecke geht allerdings auf Kosten einer Lagerung der Bestände vor Ort. «Rund drei Viertel der Bestände werden extern gelagert werden müssen», räumt Good ein, ein entsprechendes Projekt sei in Vorbereitung.

 

© bütikofer de oliveira vernay architects, Lausanne 

 

1/5

 

 

2/5

 

 

3/5

 

 

4/5

 

 

5/5
Eine richtige Universitätsbibliothek

Zu den Gewinnern der Neugestaltung gehören zweifelsohne auch die Universität und die Studierenden. Mit dem Umbau würden die derzeit noch in den Universitätsgebäuden angesiedelten fünf Bibliotheken für Sprachen und Literaturen sowie für Musikologie zum integralen Bestandteil der KUB. «Wir wollen unser Fachpersonal näher an die Nutzerinnen und Nutzer bringen und so den direkten Kontakt fördern. Deshalb werden sich die Arbeitsplätze der Bibliothekare jeweils in unmittelbarer Nähe der betreuten Bereiche befinden», erklärt Good. Durch den Umzug der universitären Bibliotheken würde an der Universität auch Raum geschaffen, der für andere Zwecke genutzt werden könnte.

 

Besonders stolz beschreibt Martin Good die geplanten 40 Carrels: «Diese abschliessbaren und für längere Zeit reservierbaren Einzelarbeitsplätze werden ideale Bedingungen für das konzentrierte wissenschaftliche Arbeiten in unmittelbarer Nähe der Beständen bieten. Für das gemeinsame Arbeiten wird die Bibliothek zudem 150 Arbeitsplätze in Gruppenräumen für jeweils zwei, sechs oder acht Personen anbieten.

 

Flexibel in die Zukunft

«All buildings are predictions. All predictions are wrong», so die Worte des amerika-nischen Autors und Futurologen Stewart Brand in dessen Buch «How buildings learn» (1994). Was also, wenn die neue Kantons- und Universitätsbibliothek mit ihren Prognosen falsch liegt? «Mit einem Minimum an tragenden Wänden und Säulen ist das neue Gebäude so konzipiert, dass es flexibel an künftige Bedürfnisse angepasst werden könnte», beruhigt Good. Ausserdem erfreue sich die KUB mit 250000 Eintritten jährlich unverändert grosser Beliebtheit – trotz der veränderten Bedürfnisse der Informations-gesellschaft des 21. Jahrhunderts. «Das Projekt ist hieb- und stichfest», ist Martin Good überzeugt. Der von den Architekten gewählte Name «Jardins cultivés» spiele nicht umsonst auf den berühmten letzten Satz aus Voltaires Candide an. «Wir müssen unseren Garten bestellen – eine Aufforderung zum tätigen Optimismus, auch wenn wir nicht in der besten aller Welten leben.»

 

Das Bauprojekt

Der Um- und Ausbau der KUB beläuft sich gemäss Kostenvoranschlag auf insgesamt 79 Mio. Franken. Abzüglich der geschätzten Bundessubventionen (15 Mio. Franken) und des vom Grossen Rat gewährten Studienkredits (4 Mio. Franken) ergibt dies einen Verpflichtungskredit von 60 Mio. Franken, der gemäss Kantonsverfassung dem obligatorischen Finanzreferendum untersteht und vom Volk genehmigt werden muss. Die dafür vorgesehene Abstimmung findet voraussichtlich im Juni 2018 statt. Gibt die Bevölkerung dem Projekt grünes Licht, können 2019 der umfangreiche Umzug der Bücher und im Anschluss daran der Baustart erfolgen. Erforderlich ist zudem, dass bis dahin die nötigen externen Lagerkapazitäten zur Verfügung stehen. Für die drei- bis vierjährige Bauzeit plant die KUB einen provisorischen Betrieb an zwei Standorten in der Stadt Freiburg. Die Eröffnung der neuen Bibliothek ist für 2023 geplant.

 

Martin Good ist seit 2002 Direktor der Kantons- und Universitätsbibliothek. Nacheinem Studium der Jurisprudenz an der Universität Freiburg war Good in diversen Bibliotheken tätig, zuletzt als Leiter der Juristischen Bibliothek der Universität Bern.

martin.good@fr.ch

Literatur
Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg: Geschichte eines hun­dertjährigen Gebäudes, Amt für Kulturgüter des Kantons Freiburg, 2010