Dossier

Öko-Jihad für eine bessere Umwelt

Grün gilt als die Farbe des Islam und der Prophet Muhammad soll eine Vorliebe für Grün gehabt haben. Dies hat in den letzten Jahrzehnten eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Der Öko-Jihad ermutigt Gläubige mit Bio-Halal-Fleisch, Eco-Iftar und grünen Moscheen zu einem ökologischen Handeln.

«Grüner Islam» steht für eine Bewegung innerhalb des Islam, die Religion und Ökologie zusammendenkt. Gerade junge Muslime eignen sich dabei einen grünen Lebensstil an und verknüpfen ihn mit ihrer Religion. So gibt es inzwischen islamische Öko-Organisationen, die Teil der globalen Umweltbewegung sind und eng mit anderen religiösen und säkularen Einrichtungen zusammenarbeiten. Mit Erklärungen, aber auch mit praxisbezogenen Projekten wollen sie einen Beitrag für die Bewahrung der Schöpfung leisten.

Ein wichtiger Schritt besteht für sie darin, das menschliche Handeln und alle religiösen Vollzüge möglichst umweltfreundlich zu gestalten: «Öko-Jihad» bezeichnet im umfassenden Sinn einen friedlichen Einsatz gegen Umweltzerstörung, der sich auf islamische Werte und Traditionen stützt. Immer häufiger wird Fleisch angeboten, das sowohl Bio als auch Halal ist. Grüne Moscheen mit Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern werden errichtet. Kampagnen für ein «Eco-Iftar» werden geführt. Beim gemeinschaftlichen Fastenbrechen soll so nur wiederverwendbares Geschirr verwendet und in einem ganzheitlichen Sinn die Anfahrt der Teilnehmer, der Energieverbrauch und der Umgang mit Abfällen berücksichtigt werden. Auf diese Weise sollen die Gläubigen auch zu einem ökologischen Handeln im Alltag motiviert werden.

Das hat auch Auswirkungen auf islamische Normen: So regt ein «Green Guide for Hajj» dazu an, die Pilgerfahrt nach Mekka nicht mehr als einmal im Leben zu verrichten und dabei den ökologischen Fussabdruck zu berücksichtigen. Umweltschutz wird so zu einer Pflicht, die im Zusammenhang mit kultischen Geboten hoch gewichtet wurde. Basheer Ahmad Masri (1914–1992), ein britischer Imam, hat die erste islamische Tierethik geschrieben. Seiner Auffassung nach ist das Fleisch von Tieren unrein, wenn diese in der Haltung, beim Transport oder bei der Schlachtung grausam behandelt wurden. Dies gilt für ihn auch dann, wenn die Tiere auf islamische Art und Weise geschlachtet wurden. Rituelle Normen dürfen also nicht dazu führen, dass Gottes Schöpfung geschädigt wird, deren Bewahrung an die erste Stelle tritt.

Grüner Islam ist nicht einheitlich, sondern vielfältig. Dahinter stehen unterschiedliche Positionen, die teils partizipativ und pluralismuskompatibel sind, teils aber auch antimodern und abgrenzend. Seit den 1960er Jahren beschäftigt sich der 1933 im Iran geborene und inzwischen in den USA lehrende Seyyed Hossein Nasr mit Islam und Ökologie. Nasr sieht in der Umweltkrise eine umfassende Krise des modernen Menschen. Für Nasr sind sich die Religionen darin einig, die Natur als heilig anzusehen. So bezieht er sich etwa auf die christliche Mystikerin des 12. Jahrhunderts Hildegard von Bingen, nach der der Mensch Himmel und Erde in sich trägt und von daher der Natur eng verbunden ist. Allerdings kritisiert Nasr, dass dieses Bewusstsein im Westen seit der Renaissance verloren gegangen sei. Dem modernen Anthropozentrismus hält er eine radikale Ausrichtung auf Gott entgegen. Gegenüber nicht-religiösen Positionen ist er grundsätzlich ablehnend. Die Situationsanalyse bleibt bei Nasr aber unterkomplex, denn er greift nicht auf Erkenntnisse unterschiedlicher natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen zurück. Berechtigterweise zeigt er jedoch auf, dass es bei der Ökologie um eine Grundfrage der Moderne geht. Ähnlich sieht etwa Ulrich Beck in einem zerstörerischen Umgang mit der Natur ein Gefahrenpotential der «Weltrisikogesellschaft». Allerdings verfällt Nasr in seiner Antwort darauf in eine ziemlich pauschale Antimoderne.

In zahlreichen Publikationen von muslimischen Autoren zur Umweltkrise wird auf überzeitliche Prinzipien wie die Einzigkeit Gottes und die menschliche Stellvertreterschaft verwiesen. Wenn der Mensch den einen Gott anerkennt und gegenüber der Schöpfung in dessen Sinne handelt, lasse sich die Krise mittels einer islamischen Lösung beheben. Diese Autoren sehen den Islam wie Nasr als kritische Korrektiv für westliche Gesellschaften. Das mag damit zusammenhängen, dass sie die islamische Welt selbst als Opfer der Moderne betrachten und die gegenwärtige Umweltdebatte wiederum als eurozentristisch erleben.

 

       © Chappatte

Ökologie ist somit kein Thema, bei dem sich automatisch alle einig sind. Hier werden unterschiedliche Herausforderungen für eine interkulturell sensible Umweltdebatte erkennbar: Wie können religiöse Traditionen in dieser Debatte berücksichtigt werden ohne den Anspruch, dass eine Religion aus sich heraus alle Probleme zu lösen vermag? Wie können die positiven Errungenschaften der Moderne wie Autonomie und Freiheit mit Schöpfungsverantwortung und der Einsicht in die Grenzen menschlichen Handelns verknüpft werden? Der türkische Philosoph und Theologe Ibrahim Özdemir betont, dass unterschiedliche Weltanschauungen das Verhältnis zur Umwelt prägen und daher ein interdisziplinärer Dialog erforderlich sei. So verknüpft er moderne philosophische Entwürfe mit einer Analyse von Koranversen, die die Natur als Zeichen Gottes betrachten und in ihr ein vom Menschen zu respektierendes Gleichgewicht sehen. Özdemir ist auch Mitautor der 2015 verabschiedeten «Islamic Declaration on Global Climate Change», die die Muslime weltweit aufruft, verantwortungsvoll zu handeln und die Ursachen des Klimawandels zu beheben, indem sie dem Vorbild des Propheten Muhammad folgen.

Es ist unbestritten, dass sich in islamischen Traditionen wichtige Ressourcen für die Ökodebatte finden. Ob der Islam insgesamt weniger anthropozentrisch ist als christliche Traditionen, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. In seiner 2014 erschienenen Umweltenzyklika «Laudato si’» zitierte Papst Franziskus sogar einen muslimischen Mystiker, um zu zeigen, wie in einem intensiven Erleben der Natur eine innere Gotteserfahrung gemacht werden kann. Bei muslimischen Denkern stiess diese Enzyklika auf ein besonders positives Echo, weil der Papst darin Fragen der Ökologie und der Gerechtigkeit miteinander verknüpft. Somit könnte das Thema Ökologie zukünftig auch für den interreligiösen Dialog eine zentrale Rolle spielen.

Zumindest punktuell ist der Grüne Islam auch schon in der Schweiz angekommen. Der Dachverband der Muslime im Kanton Zürich hat im Jahr 2016 eine Broschüre mit dem Titel «Umweltschutz & Nachhaltigkeit im Islam» veröffentlicht. Mit Koranversen wird dort aufgezeigt, wie ein verantworteter Umgang mit der Schöpfung aussehen kann. Es folgen konkrete Hinweise zu umweltbewusster Ernährung, Energiesparen und Abfallvermeidung. Diese Publikation ist Ausdruck eines zivilgesellschaftlichen Engagements und einer Mitverantwortung für das grosse Ganze. In vielen Diskussionen treten Muslime für ihre eigenen Rechte und Belange der Religionsausübung ein, um erst noch ihren Platz in der Schweizer Gesellschaft zu finden. Am Ökologie-Thema zeigt sich aber, dass Muslime in der Gesellschaft angekommen sind und an allgemeinen Debatten partizipieren können. Eine plurale Gesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche Gruppen aus ihren jeweiligen Quellen schöpfen und gleichzeitig geschaut werden muss, wie aus dieser Vielfalt etwas Gemeinsames geschaffen werden kann. Für die Schweizer Muslime werden in Zukunft Fragen der Ökologie und andere gesellschaftliche Themen noch an Bedeutung gewinnen. Vielleicht führt das ja dazu, dass auch die Islamdebatte einen neuen Fokus bekommt.

 

Unsere Experte Hansjörg Schmid ist Professor für Interreligiöse Ethik und geschäftsführender Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft SZIG. Grüner Islam ist ein Thema, das auch im ab Herbst 2019 an der Universität Freiburg angebotenen Masterprogramm «Islam und Gesellschaft» eine Rolle spielen wird.

hansjoerg.schmid@unifr.ch