Interview

«Die Frauenfrage ist ein Männerproblem»

Die Frauen sollen in der Gemeinde schweigen, schrieb Petrus im Korintherbrief – aber das ist lange her. Welche Rolle spielen Frauen in der heutigen Kirche? Wir haben mit Prof. Astrid Kaptijn und Prof. Franz Mali darüber gesprochen.

Franz Mali, Sie sind mit einer Gruppe Frauen nach Rom gepilgert, um einen grösseren Einfluss der Frauen in der katholischen Kirche zu fordern. Über den Marsch wurde unter dem Titel «Habemus Feminas» auch ein Dokumentarfilm gedreht.

Franz Mali: Es ging uns darum, dass die Frauen in der Kirche noch nicht den Platz haben, der ihnen eigentlich zusteht. Man diskutiert heute zwar gemeinsam über Reformen, am Ende entscheiden aber nur die Männer. Das ist schief. Damit bin ich nicht einverstanden.

Astrid Kaptijn: Papst Franziskus hat sich 2015 ja selbst für eine grössere Präsenz der Frauen in der Kirche ausgesprochen. Dabei hatte er allerdings in erster Linie die Gemeinden im Blick. Aber auch in Rom hat er mehr Laien und gerade auch Frauen ernannt.

Im kirchlichen Alltag gewinnen die Frauen also an Bedeutung?

Astrid Kaptijn: Nicht nur die Frauen. Insgesamt hat sich die Stellung der Laien in den letzten Jahren verbessert. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten wir eine richtig klerikale Kirche: Die Hierarchien waren ausgesprochen steil und Priester waren die einzigen, die für höhere Ämter in Betracht kamen. Heute wandelt sich das. Die Laien sind deutlich aktiver und bringen sich beispielsweise über die Synoden ein. Deren Beschlüsse sind zwar kirchenrechtlich nicht immer bindend, aber es finden wichtige Debatten statt – und für die Kirchenoberen wird es schwieriger, gegen den ausdrücklichen Willen der Basis zu entscheiden. Franz Mali: Trotzdem muss man einschränken, dass es oft quälend langsam vorangeht.

Wo liegt denn überhaupt das Problem? Haben die Männer Angst vor den Frauen?

Astrid Kaptijn: Ganz klar! Es droht die Auflösung der Männerwelt im Vatikan; einige fühlen sich deswegen in ihrer Identität bedroht. Zwar haben die Priester schon immer Mütter, Schwestern, Köchinnen um sich gehabt und Priester wie Franz Mali sind sich Frauen absolut gewöhnt. Aber traditionell war die klerikale Welt stets eine Männerwelt und in Rom ist sie das auch heute im Allgemeinen noch. Gerade ist übrigens ein Buch über Homosexualität im Vatikan erschienen. Der Autor versucht zu zeigen, dass es da ein System gibt, eine Kultur des Schweigens und Geheimhaltens, die auch in Stand gehalten wird. Wenn es mehr Frauen in Machtpositionen geben würde, liesse sich diese Kultur wohl nicht mehr aufrechterhalten.

 

 

Astrid Kaptijn © STEMUTZ.COM

War die Kirche denn schon immer so von Männern dominiert?

Franz Mali: Nein. Im vierten oder fünften Jahrhundert gab es weibliche Diakone, die das damalige Äquivalent der Konfirmation durchführten. Aber mit dem Aufbau der kirchlichen Strukturen gerieten die Frauen in den Hintergrund.

Astrid Kaptijn: Die Kirche rechtfertigt die dominierende Rolle der Männer damit, dass Jesus nur Männer als Priester berufen habe.

Aber diese Position wird gerade auch von Theologen kritisiert.

Franz Mali: Und das zu Recht. Und mir persönlich ist gerade neulich wieder aufgefallen, dass man auch jahrtausendealte Positionen einfach mal über Bord werfen kann, wenn sie nicht mehr stimmen. Nehmen wir die Abschaffung der Todesstrafe: Im letzten Katechismus, der in den 1990er-Jahren herausgekommen ist, war immer noch drin, dass es in Extremis eine Option sein kann, jemanden hinzurichten. Es ist nie wünschenswert, kann aber legitim sein. Franziskus hat das gestrichen. 1500 Jahre lang wurde es gerechtfertigt und jetzt kommt er und ändert das mit einem Federstrich!

Liegt es denn an den Dogmen, dass es bei den Frauen nicht vorwärts geht? Wäre es ein zu grosser Tabubruch beispielsweise Frauen ins Priesteramt zu lassen?

Astrid Kaptijn: Für einzelne schon. Oder liegt es daran, dass die Kirche global tätig ist und alle im Boot behalten muss, von den liberalen Christen hier, bis zu den Konservativsten in… wo auch immer.

Franz Mali: Da müssen sie nicht besonders weit gehen. Ich denke, es ist eine Mischung von Vielem. Entscheidend ist auch, dass die Männer die Macht nicht abgeben wollen. Die Frauenfrage ist sehr oft eigentlich ein Männerproblem. Dabei liessen sich grundsätzlich in vielen Fragen auch regionale Lösungen finden.

Das wäre möglich? Zu sagen «in der Schweiz haben wir kein Pflichtzölibat mehr»?

Franz Mali: Ja sicher. Aber viele können sich eine Regionalisierung nicht vorstellen. Sie denken, dass von Neuseeland bis zur Beringstrasse alles gleich sein müsse.

Astrid Kaptijn: Dabei gibt es ja schon heute auch regionale Unterschiede. Ich merke beispielsweise nur schon Unterschiede zwischen meinen Studierenden aus der Deutsch- und aus der Westschweiz. In der Deutschschweiz finden die Laien leichter ihre Rolle, etwa als Gemeindeleiterin oder Gemeindeleiter. Sie können Verantwortung übernehmen und sich einbringen. In der französischsprachigen Schweiz sind die Laien öfter Bénévols und haben begrenzte Möglichkeiten.

 

 

Franz Mali © STEMUTZ.COM

Die konkreten Möglichkeiten der Frauen in der Gemeinde sind also auch eine Frage der lokalen Kultur.

Franz Mali: Absolut. Wenn beispielsweise polnische Pfarrer hierherkommen, haben sie oft grosse Mühe damit, wie hier gearbeitet wird, weil sie es sich gewohnt sind, dass der Pfarrer alles alleine entscheidet. Ich habe kürzlich mit einem Pfarrer gesprochen, der keine Frauen am Altar wollte und die Messdienerinnen nur an den Ausgängen positionierte.

Astrid Kaptijn: In mehreren Ländern gibt es im Moment ziemlich konservative Bischöfe. Das hat teilweise auch mit der Ernennungspolitik der letzten Päpste zu tun. Aber Rückschritte sind zum Glück gar nicht so leicht. Für einen Pfarrer ist es beispielsweise nicht einfach, die Ministrantinnen, vom Altar wegzubefördern. Seit den 1980er-/1990er-Jahren können auch Mädchen ministrieren, die Leute schätzen es, sie sind es sich gewöhnt und wenn das ein Pfarrer ändern will, verstehen sie überhaupt nicht, was das soll. Manchmal führt es dazu, dass die Leute dann zuhause bleiben.

Würden denn mit Pfarrerinnen oder der Abschaffung des Zölibats wieder mehr Leute in die Kirche kommen?

Franz Mali: Nein.

Astrid Kaptijn: Vermutlich nicht. Aber um diese beiden Themen geht es auch nicht.

Woher kommt denn überhaupt der Impuls, Frauen vom Altar fernzuhalten?

Franz Mali: Früher ging es da sehr stark um Fragen der Reinheit. Das Heilige sollte rein bleiben und Frauen wurden als unrein angesehen.

Gibt es denn auch positive Zeichen?

Astrid Kaptijn: Der Papst hat gesagt, dass er mehr Frauen will, die sich um die Gläubigen kümmern. Dabei spricht er nicht von Komplementarität zwischen den Geschlechtern und das finde ich spannend. Denn bei Komplementarität sagt ja meistens einer vom anderen «Du bist komplementär zu mir». Franziskus sagt, es brauche eine Reziprozität. Es geht ihm um die Anerkennung der Gleichwertigkeit trotz der Unterschiede zwischen Mann und Frau.

Franz Mali: Ich glaube, wir müssen gar nicht so sehr über die Frauen diskutieren, als über die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Es geht um die gegenseitige Wertschätzung der Fähigkeiten. Die Frauenfrage ist nicht nur eine feministische Frage, sondern eine der Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen.

Sind Sie für die Zukunft zuversichtlich? Kann sich die Kirche verändern?

Astrid Kaptijn: Ja, natürlich. «Ecclesia semper reformanda» ist ein gutes Prinzip der kirchlichen Tradition: Die Kirche muss immer verändert werden. Und sie ändert sich auch. Vielleicht sehr langsam, aber sie ändert sich auch.

Franz Mali: Ich bin überzeugt, dass wir vorangehen können. Heute gibt es Männer, die blockieren, weil sie Angst haben, etwas zu verlieren. Aber was ist so schlimm daran, wenn man etwas verliert? In der Bibel heisst es: «Habt keine Furcht». Wenn du Angst vor Frauen hast, sind nicht die Frauen das Problem, sondern du. Es geht nicht um die Frauen, es geht um die Männer, die sich verändern müssen.

 

Astrid Kaptijn ist Professorin für kanonisches Recht an der Universität Freiburg und Gastprofessorin in Paris, Leuven und Yaoundé.

astrid.kaptijn@unifr.ch

Franz Mali ist Professor für Patristik, Geschichte der Alten Kirchen und christlich-orientalischen Sprachen.

franz.mali@unifr.ch

www.habemus-feminas.com