Fokus

Mehr als nur ein Garten

Menschen mögen botanische Gärten. Diesem Fakt trägt nun auch die Uni Freiburg Rechnung: Die Perle im Pérolles hat seit diesem Jahr offiziell die Mission, mit dem Garten eine Brücke zur Gesellschaft zu schlagen. 

Der Botanische Garten wurde befördert – herzliche Gratulation!

Gregor Kozlowski: Vielen Dank! Wir sind auch sehr stolz und sehr froh über diese «Beförderung». Am Anfang, also 1937, war der Garten eine reine Servicestelle, wo man Pflänzchen gezüchtet hat für den Unterricht. Diese Phase dauerte sehr lange. Erst vor etwa 30 Jahren – ja, ich war da schon dabei! – haben wir langsam begonnen mit der Modernisierung, haben neue Missionen übernommen. Und haben versucht, der Uni zu zeigen, dass der Garten viel mehr ist als eine Parkanlage. Vor ein paar Jahren hat das Rektorat nun entschieden, dass der Botanische Garten zum Institut «befördert» werden soll. Seit dem ersten Januar ist dies in Kraft: Der Botanische Garten ist ein Institut der Uni Freiburg. Damit sind wir aber nicht am Ziel, sondern am Anfang. Es ist der Beginn des modernen Botanischen Gartens.

Annick Monod: Bis anhin hatten wir keinen juristischen Status an der Universität. Wir waren aufgeführt als Plattform des Departements für Biologie. Mit der Veränderung zum Institut sind wir nun nicht mehr ans Departement für Biologie gekoppelt, sondern direkt an die Mathematisch-Naturwissenschaftliche und Medizinische Fakultät.

Die erste Veränderung des Botanischen Gartens begann aber schon rund 10 Jahre nach dessen Eröffnung 1937: Der Garten wurde für die Bevölkerung geöffnet.

Gregor Kozlowski: Die Gärten haben tatsächlich bereits Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen, sich in eine andere Richtung zu entwickeln. Sich zu öffnen, weitere Aktivitäten aufzunehmen und anzubieten, Forschung zu betreiben. Die Öffnung unseres Gartens war sehr wertvoll, es ist ja eine schöne Ecke hier im Pérolles. Die Zusammensetzung des Gartens zeigt auch die Ambitionen der Personen, die sich damals um den Garten kümmerten. Es waren Visionäre, die mehr aus dem Garten machen wollten. Trotzdem hat es dann lange gedauert, bis die eigentliche Modernisierung ins Rollen kam.

Annick Monod: 1968, also 20 Jahre nach der Öffnung des Gartens, wurde der «Verein der Freunde des Gartens» gegründet. Die Anerkennung des Gartens von Seiten der Öffentlichkeit besteht also schon lange. Aber die Öffentlichkeitsarbeit von Seiten des Gartens wurde immer nur nebenbei und mit sehr bescheidenen Mitteln betrieben. Mit der Beförderung zum Institut hat der Botanische Garten nun auch die offizielle Anerkennung der Universität. Die Rolle des Gartens als Brücke zur Gesellschaft, als Vitrine der Universität, gehört nun zu dessen Kernaufgaben.

Neue Aufgaben bedeuten auch neue Pflichten.

Gregor Kozlowski: Oh ja. Wir haben neu einen Institutsrat, der mit uns eine Leistungsvereinbarung ausarbeiten wird. Wir freuen uns sehr auf diese neue Herausforderung, aber, wie Sie sagen, da kommt auch viel Arbeit auf uns zu. Der Garten wurde als Institut ja sozusagen neu geboren. Aber wir haben viel Freiheit, diese neue Mission umzusetzen und zusammen mit dem Institutsrat und dem Rektorat neue Ideen zu entwickeln.

Annick Monod: Die Anerkennung als Institut bedeutet auch eine Anerkennung unserer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Wir haben vor zwei Jahren damit begonnen, die Besuchenden zu zählen. Nun wissen wir, dass der Garten jährlich 200’000 Besuchende hat – ausserhalb Corona. Das ist eine enorme Zahl. Und diese Beliebtheit, wenn ich so sagen darf, wird mit dem neuen Status auch von Seiten der Uni wertgeschätzt.

Gregor Kozlowski: Die hohen Besucherzahlen zeigen, dass Botanische Gärten eine ganz spezielle Rolle haben im Rahmen einer Universität. Sie sind aktiv in Forschung und Lehre, aber gleichzeitig auch Orte zum Verweilen, zum Picknicken. Orte, an und mit denen auch ein Laienpublikum sich weiterbilden, den Frühlingsmarkt oder eine Ausstellung besuchen kann.

 

© STEMUTZ

Annick Monod ist verantwortlich für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit des Botanischen Gartens der Unifr.

annick.monod@unifr.ch

Nun gehört es ja nicht zur Kernkompetenz von Biolog_innen und Gärtner_innen, Ausstellungen zu konzipieren und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

Gregor Kozlowski: Das stimmt. Wir hatten lange Diskussionen zu diesem Punkt, auch mit den Kolleg_innen in der Biologie. Es gehört nicht zu deren Pflichten, Ausstellungen auf die Beine zu stellen und Ideen für die Öffentlichkeit zu entwickeln. Gleichzeitig aber wollten wir gerade diesen Bereich verstärken. Mit der Anstellung von Annick Monod als Kommunikationsbeauftragte des Botanischen Gartens haben wir mit der Anerkennung als Institut jetzt auch die nötige Kompetenz und Verstärkung, um diese Mission richtig umzusetzen.

Bei seiner Gründung wurde der Botanische Garten also in erster Linie zur Belieferung der Lehre gebraucht. Später kam die Forschung hinzu. Müssen diese beiden Missionen des Gartens jetzt etwas zurückstecken zu Gunsten der Öffentlichkeitsarbeit?

Gregor Kozlowski: Nein. Dank zusätzlicher Mittel und eben der Anstellung von Annick Monod verfügen wir über die nötigen personellen Ressourcen, um diese dritte Mission ohne Abstriche auf anderen Ebenen umsetzen zu können. Dafür sind wir der Uni sehr dankbar – es ist ein mutiger Schritt, der auch das Vertrauen zeigt, dass die Universität in den Botanischen Garten setzt. Tatsächlich wurde nicht nur der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch die Forschung verstärkt.

Annick Monod: Die drei Bereiche – Forschung, Technik und Öffentlichkeitsarbeit – stützen sich gegenseitig. Nehmen wir beispielsweise das illustrierte Pflanzen-Glossar oder das vor zwei Jahren herausgegebene Buch «Botanische Grundkenntnisse auf einen Blick». Diese schönen und interessanten Publikationen wurden von unseren Wissenschaftler_innen und Gärtner_innen erstellt, richten sich aber nicht nur an Studierende, sondern auch an das interessierte Laienpublikum. Wir bieten seit 2019 im Frühling einen Einführungskurs in die Botanik an. Der Kurs wird im Tandem durchgeführt, von Yann Fragnière, einem Biologen und Mitarbeiter des Gartens, und Emanuel Roggen, einem Drogisten und Kräuterspezialisten, der ganz andere Kenntnisse mitbringt. An sechs Tagen diskutieren die beiden im Beisein und mit den Teilnehmenden über die Grundlagen der Botanik – ein Dialog zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft.

Sie bieten auch Ausflüge an.

Annick Monod: Die sind sehr beliebt, ja. Im Rahmen des Einführungskurses in die Botanik gibt es auch Exkursionen. Andererseits bieten wir geführte Wanderungen an zu einem bestimmten Thema, wie etwa zum Alpenmannstreu, einer Pflanze, die gerade in der Region Freiburg häufig zu finden ist, dagegen in der ganzen Schweiz sehr selten und vom Aussterben bedroht ist. Unsere Wissenschaftler_innen und Gärtner_innen stellen den Teilnehmenden die Pflanze vor und erzählen von deren Besonderheiten. Ist sie gefährdet? Wo ist sie zu finden? Wozu ist sie gut? Und dazu gehört eben auch eine Wanderung in Gebiete, wo der Alpenannstreu zu sehen ist. Die Kurse und Ausflüge sind sehr gut besucht, wir führen sogar Wartelisten. Der Einführungskurs in die Botanik musste dieses Jahr verdoppelt werden. Dies zeigt, dass das Interesse der Bevölkerung für die Natur und die Welt der Pflanzen gross ist und auch die Lust, mehr dazu zu erfahren und zu lernen.

Die Menschen brauchen den Bezug zur Natur – Tendenz steigend.

Gregor Kozlowski: Man nennt das in der Biologie «Biophilie». Wir Menschen sind normale Organismen. Auch unsere psychologische Entwicklung – die körperliche sowieso – ist direkt mit der Natur verbunden. Wir sind immer noch «primitive» Wesen. Erst seit etwa zehn- bis zwanzigtausend Jahren sind wir «modern». Psychologisch-evolutiv brauchen wir den Kontakt zur Natur. Wir müssen sie berühren und riechen können, wir brauchen den Spaziergang im Wald, ein Stück Garten vielleicht. Der Botanische Garten bietet den Menschen die Möglichkeit, dieses Ur-Bedürfnis zu befriedigen. Es mag pathetisch klingen, was ich da sage. Aber ich bin überzeugt davon.

Annick Monod: Was Gregor sagt, ist absolut richtig. Aber mit der Liebe zur Natur ist es nicht gemacht. Wir als Botanischer Garten haben auch die Aufgabe, in der Bevölkerung das Bewusstsein zum richtigen Umgang mit der Natur zu schärfen. Die Natur zu lieben reicht nicht, wir müssen uns auch um sie kümmern, sie erhalten. Die Wissenschafler_innen an der Unifr beschäftigen sich intensiv mit vom Ausserben bedrohten Arten – auch dieses Wissen muss weitergegeben werden.

Botanische Gärten sind auch Kultur. Viele besuchen im Rahmen eines Städtetrips gerne einen Botanischen Garten, etwa in …

Gregor Kozlowski: London! Die Kew Gardens …

Weshalb besucht man in London den Botanischen Garten?

Gregor Kozlowski: Gärten sind Sehenswürdigkeiten. Auch unserer. Das labyrinthisch angelegte Pflanzensystem, das wir hier zeigen, ist schon 70 Jahre alt. Ähnlich wie ein Gebäude. Unser alljährlicher Frühjahrsmarkt zieht Leute aus der ganzen Schweiz an. Mit den Kew Gardens können wir natürlich nicht mitspielen … wir haben keinen Ausstellungssaal, keine Konferenzräume. Aber stark verkleinert haben wir alles, was London auch hat (lacht).

Annick Monod: Botanische Gärten sind oft auch direkt verknüpft mit Kultur. So haben wir ja hier vor ein paar Jahren die Statue von Paul Canntoneau eingeweiht, dem Professor aus den Tim und Struppi-Comics. Wir empfangen das Theaterfestival FriScènes, öffnen unsere Türen für Konzerte oder auch für die Museumsnacht …

Eine wichtige Aufgabe des Botanischen Gartens ist auch die internationale Zusammenarbeit mit anderen Universitäten.

Gregor Kozlowski: Auch das war nicht immer selbstverständlich. Ich gehöre ja selber zu den Forschenden hier am Departement für Biologie, dem meine Forschungsgruppe angehört. Meine Ambition für den Botanischen Garten waren immer die drei Säulen Öffentlichkeit, Technik – also die Arbeit im Garten – und eben die Forschung. Es hat auch in diesem Bereich etwas Überzeugungsarbeit gebraucht. Internationale Forschung kostet Geld. Seit rund 15 Jahren aber spielen wir auch auf diesem Parkett mit. Und ich möchte sagen, in aller Bescheidenheit, wir spielen sogar ganz gut mit. Man kennt uns mittlerweile, sowohl in der Schweiz, wie auch auf der internationalen Bühne der Botanischen Gärten. Zwei unserer Projekte erforschen Reliktbäume, sogenannte Zelkova und Pterocarya. Für diese Forschungsprojekte arbeiten wir mit gut 15 Ländern zusammen, Costa Rica, USA, Mittelmeerländer und Ostasien. Der zweite Bereich betrifft die alpinen Gebiete, also nicht nur Bäume und Wälder, sondern auch Wasserpflanzen oder alpine und arktische Pflanzen.

 

© STEMUTZ

Gregor Kozlowski ist Direktor des Botanischen Gartens der Unifr. Er forscht und lehrt am Departement für Biologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind Biogeografie und Naturschutzbiologie von Reliktarten, bedrohten Wasserpflanzen und seltenen alpinen und arktischen Arten.

gregor.kozwloski@unifr.ch

Sie sind auch Professor am Shanghai Chenshan Botanic Garden in China.

Gregor Kozlowski: Ich bin dort Adjunktprofessor, natürlich ehrenamtlich. Geplant war, dass ich zweimal jährlich nach Shanghai gehe. Durch Covid wurde das leider auf Eis gelegt. Die Zusammenarbeit mit Shanghai besteht aber bereits seit gut 10 Jahren. Wir haben gemeinsam Reliktbäume erforscht, also seltene und bedrohte Baumarten. Dann hatte ich die Möglichkeit, einen Doktoranden aus Shanghai zu uns zu holen. Vor kurzen ist dieser zurück nach Shanghai gegangen und konnte dort am botanischen Garten eine eigene Forsch­ungs­gruppe aufbauen. Der Direktor dieses Gartens hat vorgeschlagen, weiter mit uns zu arbeiten und mir die Leitung dieser neuen etwa zehnköpfigen Forschungs­gruppe angeboten.

Diese Forschung wird auch an der Uni Freiburg Früchte tragen – im wahrsten Sinne des Wortes sozusagen.

Gregor Kozlowski: Wir planen bei uns am Botanischen Garten einen neuen Sektor mit dem Namen «Bäume aus der Vergangenheit – Bäume der Zukunft». Dieser Sektor soll einerseits die Zusammenarbeit mit Shanghai veranschaulichen und andererseits eben solche Reliktbäume zeigen. Reliktbäume sind Baumarten, die Millionen Jahre und mehrere klimatische Veränderungen überlebt haben. In China gibt es viele solcher Arten. Im neuen Sektor werden Bäume aus verschiedenen Regionen Europas, aus China, aber auch aus der Region Freiburg gezeigt werden. Ja, es gibt sie auch bei uns, etwa mit der hier noch heimischen Arve. Wir wollen in dem für 2023 geplanten Sektor auch erklären, wieso diese Reliktbäume wichtig sind, was wir von ihnen lernen können. Viele dieser Arten sind natürlich bedroht. Aber wer denkt schon an solche Bäume? Also wollen wir sie vermehrt ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. Reliktbäume haben ein enormes Potential.

Annick Monod: Für die Vermittlung der Informationen und der Geschichte dieser Bäume ist es auch wichtig, lebendige Reliktbäume zeigen zu können. Nicht nur Plakate mit Bildern drauf. Im dafür vorgesehenen Bereich werden wir gewisse Reliktbäume zeigen können und dazu Fossile derselben Art. Das ist sehr anschaulich, wenn man etwa ein uraltes fossiles Blatt eines Ginkgobaums sieht und daneben den lebendigen Baum.

Ein weiteres Projekt des Botanischen Gartens betrifft den Erhalt des Labels Bio Suisse.

Annick Monod: Nachhaltigkeit ist Teil der Philosophie des Gartens. Es ist ein grosser Schritt, so ein Label zu erhalten – aber eigentlich auch wieder nicht, da wir diese Linie schon lange verfolgen. Wir haben nun offiziell die Phase der Umstellung begonnen, das heisst, dass wir alle Anforderungen soweit erfüllen und in zwei Jahren das Bio-Suisse-Label erhalten sollten. Ein Botanischer Garten muss Vorbild sein. Wir können nicht die Gefährdung der Biodiversität erklären und gleichzeitig invasive Arten halten, sogenannte Neophythen, die die einheimische Natur gefährden. Wenn wir aufzeigen, warum man beispielsweise Ambrosia aus dem Garten entfernen sollte, dann können wir hier auch keine Ambrosia beherbergen. Wir hatten früher sehr wohl Ambrosia im Garten, weil wir ja auch die Artenvielfalt aufzeigen wollen. Aber in der Interessensabwägung hat die Vorbildfunktion klar das Rennen gemacht.

Gregor Kozlowski: Es ist auch im Sinne der ganzen Fakultät, die sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit legt, dass der Garten nicht etwa chemische Dünger verwendet. Glücklicherweise ist auch unser Chef-Gärtner Alain Müller, der technische Leiter des Gartens, auf dieser Linie und nimmt das sehr ernst.

Annick Monod: Der Gedanke der Nachhaltigkeit geht über das Label Bio Suisse hinaus. So verwenden wir etwa an der Museumsnacht, die uns rund 3000 Besuchende bringt, kein Wegwerfgeschirr mehr. Wir machen uns Gedanken zur Abfallbewirtschaftung. Und zur Bewässerung verwenden wir auch nicht das Wasser der öffentlichen Wasserversorgung, sondern Regenwasser.

Geht es nebst der Vorbildfunktion auch darum, als Botanischer Garten den anderen zeigen und erklären zu können, wie man einen Garten nachhaltig bewirtschaftet? Eine Art Ratgeberrolle?

Gregor Kozlowski: Jein. Es kommt immer wieder vor, dass uns jemand um Rat bittet oder eine konkrete Frage hat zu einer Pflanze – gerade gestern war da diese Dame, die ein Problem hatte mit einer Balkonpflanze. Wir antworten gerne und unsere Gärtner_innen sind auch sehr kompetent. Aus Zeitgründen sind wir aber keine Beratungsstelle. Sollte uns wider Erwarten mal die Arbeit ausgehen, so würde mir die Idee noch gefallen.