Fokus
Zwischen Hilfe, Solidarität und Einschränkungen
24 Geflüchtete aus der Ukraine forschen und studieren derzeit an der Universität Freiburg. Für sie gibt es verschiedene Formen der Unterstützung – aber auch Auflagen und Herausforderungen.
Als Russland Ende Februar die Welt mit dem Angriff auf die Ukraine schockte, war den Verantwortlichen der Universität Freiburg schnell klar, dass dieser Krieg auch Auswirkungen auf ihre Institution haben würde. Früh wurde eine Taskforce ins Leben gerufen, in der die akademische Direktion, die Dienststelle für internationale Beziehungen, das Sprachenzentrum, der Sozialdienst, die Dienststelle für Zulassung und Einschreibung sowie die Dienststelle Forschungsförderung die Situation analysierten, offene Fragen klärten und das weitere Vorgehen koordinierten. «Wir wussten nicht, ob sich 20 oder 200 Ukrainer_innen einschreiben würden. Unabhängig davon war es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Dadurch konnten wir transparent kommunizieren, was möglich ist – und was nicht. Das ist wichtig, damit keine falschen Hoffnungen geweckt werden», sagt die Sektionschefin der Dienststelle für internationale Beziehungen, Veronika Favre.
Deutschschweiz beliebter
Mehrere Monate nach Kriegsausbruch zeigt ein Blick auf die Zahlen: Der grosse Ansturm auf die Uni Freiburg ist ausgeblieben. 15 Geflüchtete aus der Ukraine sind als Gaststudierende (so genannte Freemover) eingeschrieben, fünf Forschende arbeiten im Rahmen des internationalen Netzwerks Scholars at Risk in Freiburg, vier weitere Forschende haben von der Universität Freiburg ein Stipendium erhalten. Bis auf einen über 65-jährigen Forscher handelt es sich dabei ausschliesslich um Frauen. Der Grund liegt auf der Hand: Wehrfähige Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine aktuell nicht verlassen. Ausnahmen gelten einzig für Familienväter, die drei oder mehr minderjährige Kinder haben sowie für alleinerziehende Väter. «Wir erhalten regelmässig weitere Anfragen, aber wir haben es nicht mit Massen zu tun. Grundsätzlich zieht es ukrainische Studierende eher in die Deutschschweiz, weil ihnen die deutsche Sprache näher ist als die französische», erklärt Veronika Favre. Die Universität ist zwar zweisprachig, in der Stadt Freiburg überwiegt die französischsprachige Mehrheit jedoch klar. Kommt hinzu, dass an der Universität Freiburg viel Wert auf die Zweisprachigkeit gelegt wird. «Dadurch ist das Angebot auf Englisch weniger gross als an anderen Universitäten.»
Unterschiedliche Bildungssysteme
Dass sich die Taskforce bei Kriegsausbruch genau anschaute, welche Möglichkeiten es für Flüchtende aus der Ukraine geben wird – und welche nicht –, hat gute Gründe. Die Herausforderungen sind vielschichtig und beginnen bereits bei den unterschiedlichen Bildungssystemen, die nur begrenzt kompatibel sind. In der Ukraine, wo die Studierendenquote eines jeweiligen Jahrgangs bei 75 bis 80 Prozent liegt, machen die Schüler_innen bereits im Alter von 17 Jahren die Matura – nach elf Schuljahren. Das sind zwei Jahre weniger als in der Schweiz.
Für die Freemover spielt das kaum eine Rolle. «Den Status der Gaststudierenden anzubieten, war der erste Schritt, den wir auf die Schnelle machen konnten», sagt Favre. Freemover befinden sich ausserhalb jeglicher Austauschprogramme, es braucht deshalb keine Austauschverträge zwischen den jeweiligen Unis. «Es ging darum, zu schauen, dass die Personen etwas studieren, das wir ebenfalls anbieten.» Ausnahmen gibt es auch hier; Medizinstudierende etwa können wegen des Numerus Clausus und des stark durchstrukturierten Medizinstudiums in der Schweiz auch nicht als Gäste mit dabei sein. «Wir können einzig Biologie, Chemie oder Biomedizin als Alternative anbieten.»
Im Allgemeinen können Freemover zwar normal mitstudieren und Prüfungen ablegen, sie erhalten auch eine Bestätigung für erlangte Studienleistungen, die ihnen später an ihren Stammuniversitäten in der Ukraine womöglich angerechnet werden. Was Freemover allerdings nicht können, ist ein Studium regulär fortführen oder sogar abschliessen. Entsprechend erhalten sie keine Diplome. Im Herbstsemester wollen vereinzelte von ihnen deshalb als reguläre Studierende weitermachen. Das allerdings ist dann mit zusätzlichen Auflagen verbunden. Wegen der kürzeren Schulzeit bis zur Maturität müssen Ukrainer_innen mindestens zwei Jahre an einer anerkannten Universität absolviert haben, bevor sie in der Schweiz studieren dürfen. «Und sie müssen auch über genügend Sprachkompetenz verfügen. Wir schauen uns jeden Fall einzeln an, man tut den Studierenden keinen §Gefallen, wenn man alle akzeptiert, und einige dann komplett verloren sind», sagt Veronika Favre.
Schwierig für Drittstaatenangehörige
Auch wenn es für geflüchtete Ukrainer_innen ebenfalls Einschränkungen gibt, dank dem Schutzstatus S erhalten sie in der Schweiz ohne Asylverfahren Schutz, was rasche und unbürokratische Hilfe überhaupt erst möglich macht. Das unterscheidet sie von früheren Gruppen Geflüchteter, etwa aus Syrien oder Afghanistan. Und es unterscheidet sie auch von Drittstaaten-Angehörigen, die in der Ukraine studieren. «Viele Personen aus Nordafrika, aber auch aus dem Iran, der Türkei oder Afghanistan studieren in der Ukraine Medizin. Entsprechend erhalten wir sehr viele Anfragen von Drittstaatenangehörigen, die nun hier weiterstudieren möchten.» Da sie eine Aufenthaltsbewilligung allerdings nur dann erhalten würden, wenn sie in einem Asylverfahren beweisen könnten, dass es für sie zu gefährlich ist, in ihr Heimatland zurückzureisen und weil der Zugang zum Medizinstudium in der Schweiz ohnehin restriktiv gehandhabt wird, tendiert die Chance für diese Drittstaaten-Angehörigen gegen Null, an einer Universität in der Schweiz aufgenommen zu werden.
Gratis-Sprachkurse
Den Studierenden, die aufgenommen werden können, versucht die Universität Freiburg indes zu helfen, wo es nur geht. Das beginnt bei der sprachlichen Integration. «Das Sprachenzentrum hat die ankommenden Studierenden schnell in seine Kurse integriert», sagt Favre. Auch Freemover können nicht nur gratis studieren, sondern auch kostenlos die Sprachkurse besuchen.
Finanziell versucht die Uni ebenfalls, den Geflüchteten unter die Arme zu greifen. «Uni-Social ist am Abklären, inwiefern gewisse Hilfestellungen wie zum Beispiel Essens-Bons möglich sind, ohne dass diese sanktioniert werden.» Will heissen, ohne dass der Kanton den Geflüchteten die finanzielle Unterstützung kürzt, weil sie Essensgutscheine für die Uni-Mensa erhalten.
Improvisation für Forschende
In Bezug auf die Forschenden hat die Uni Freiburg versucht, dahingehend zu improvisieren, dass sie möglichst vielen Personen helfen kann. Das reguläre Stipendienprogramm für junge Forschende sieht grundsätzlich vor, dass zweimal pro Jahr kurze Forschungsaufenthalte von drei bis fünf Monaten an Doktorand_innen und Postdoktorand_innen vergeben werden. «Die Universitätsleitung hat nun aber entschieden, den Call für nächsten Frühling zu sistieren und das Geld für ukrainische Forschende zu verwenden», erklärt Veronika Favre. «Dabei wollten wir nicht kurzzeitige Stipendien vergeben, sondern lieber vier bis fünf mit langfristiger Perspektive, da unklar ist, wie lange der Krieg noch dauern wird.»
Unabhängig von den Stipendien der Universität Freiburg kommen fünf weitere Forschende aus der Ukraine im Rahmen des Programms Scholars at Risk hinzu. Finanziert werden sie vom Schweizerischen Nationalfonds. Scholars at Risk ist ein internationales Netzwerk akademischer Institutionen, das Wissenschaftler_innen unterstützt, die in ihrem Heimatland gefährdet sind. «Sie werden von engagierten Professor_innen gehostet und erhalten zwölf Monate einen Lohn als Senior Researcher», präzisiert Favre. Derzeit forschen in Freiburg im Rahmen dieses Programms Personen aus den verschiedensten Bereichen, vom Physiker über die Archäologin und Historikerin bis hin zum Städtesoziologen.
Viel Solidarität
Neben offiziellen Programmen und Hilfestellungen gab es in den vergangenen Monaten immer wieder auch individuelle Initiativen. Die Leiterin des Sprachenzentrums etwa organisierte Online-Workshops für Übersetzer_innen. Der Hintergrund: Die Behörden hatten Personen, die Ukrainisch oder Russisch sprechen, dazu aufgerufen, beim Übersetzen zu helfen. Daraufhin meldeten sich auch viele Laiinnen und Laien. «Diese erhielten in den Online-Workshops Tipps, worauf sie achten müssen und wo die Gefahren liegen. Das Angebot fand grossen Anklang», sagt Favre.
Auf sprachlicher Ebene setzt auch die Hilfe der Fachschaft Osteuropa-Studien Bern-Freiburg an. Sie organisiert Sprachenapèros mit der Idee eines Austauschs im Tandem-System. OFI/OBI und UNA, studentische Organisationen, die Geflüchteten in der ganzen Schweiz beim Einstieg in das Hochschulleben helfen, unterstützen die Ukrainer_innen dabei, sich an der Uni und in der Stadt zurechtzufinden. Das Wohnheim St-Justin hat angeboten, Zimmer zur Verfügung zu stellen – mittlerweile wohnen zwei Ukrainerinnen dort. Eine Professorin, die zum Thema Traumabewältigung forscht, hat einen Doktorand_innen-Posten für eine Person aus der Ukraine angeboten. Die Idee: Die Person soll hier forschen können, um später in ihrer Heimat das erlangte Wissen sinnvoll einsetzen zu können. «Es herrscht eine grosse Solidarität. Sehr viele Personen sind bereit, sich einzusetzen und auf die eine oder andere Art behilflich zu sein», sagt Veronika Favre.
Und die Russ_innen?
Die Hilfe für Ukrainer_innen ist vielfältig. Wie aber sieht es mit der Unterstützung von russischen Studierenden und Forschenden aus, die womöglich ebenfalls unter dem Krieg leiden? «Wir hatten im Zuge des Krieges Anfragen von russischen Forschenden. Unterstützung ist möglich, allerdings im üblichen Rahmen. Sie müssen vorgehen wie vor Kriegsausbruch, mit Visa-Antrag und allem Drum und Dran. Wir haben keine Möglichkeit für eine Spezialbehandlung», sagt Veronika Favre. Auch wenn sie einen Platz im Programm von Scholars at Risk beantragen wollen, müssen russische Forscher_innen die Standardprozedur durchmachen. Das heisst, sie müssen vom Hauptsitz in New York abklären lassen, inwiefern sie im Heimatland gefährdet sind. Erst dann können sie in der jeweiligen Region finanzielle Mittel beantragen. «Die ukrainischen Forschenden konnten sich direkt bei uns melden, da musste man nicht lange abklären, ob sie gefährdet sind. Entsprechend konnten wir direkt beim Nationalfonds die finanziellen Mittel beantragen.»
Und was ist mit russischen Studierenden? «Wir hatten schon immer russische Studierende und haben das auch weiterhin, da blockieren wir nichts», sagt Favre. Wie auch ukrainische Studierende, die schon länger hier sind, können sie sich beim Sozialdienst Uni-Social melden und um finanzielle Unterstützung bitten, sollten sie aufgrund des Krieges in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein, etwa wegen Problemen mit Geldtransfers oder Stipendien. Ansonsten gilt aber wie für die Forschenden auch für die Studierenden aus Russland: Alles ist wie vor dem Krieg.
Sistiert wurden hingegen die Verträge mit den russischen Partneruniversitäten und die damit verbundenen Austauschprogramme. «Dieser Entscheid der Uni-Leitung war eine Antwort darauf, dass die russische Rektorenkonferenz den Krieg in einem Statement unterstützte. Wir sind uns bewusst, dass die russischen Unis möglicherweise zum Teil dazu gezwungen wurden, aber eben…»
Wie sich die Situation auf die kommenden Semester hin entwickeln wird, ist schwierig abzuschätzen. «Wie viele Ukrainer_innen noch zu uns kommen werden, hängt von der Kriegsentwicklung ab. Viele sind in den Westen des Landes geflüchtet. Sollte sich die Front also klar in Richtung Westen verschieben, würden wir sicher wieder mehr Anfragen erhalten», so Veronika Favre.
In den letzten Wochen ist es bei der Dienststelle für internationale Beziehungen rund um den Ukraine-Konflikt allerdings zumindest vorübergehend ruhiger geworden. Auch die Taskforce trifft sich seltener. Im Alltag sind für Veronika Favre die Geflüchteten manchmal zwangsläufig vor allem Zahlen und Dossiers. Ihre Dienststelle ist das Eingangstor, sie informiert und koordiniert, delegiert die Forschenden und Studierenden danach aber weiter an die Fakultäten und Studienberater_innen. Bei persönlichen Kontakten erinnert sie sich dann aber doch wieder an die schrecklichen Bilder in den Nachrichten, denkt sich, dass womöglich die Ehemänner, Brüder oder Söhne der Geflüchteten in der Ukraine kämpfen. «Das ist schwierig, gleichzeitig motiviert es einen zusätzlich, die Leute maximal zu unterstützen.»
Unsere Expertin Veronika Favre ist Leiterin der Diensstelle für internationale Beziehungen
swissuniversities zur Ukraine: swissuniversities.ch/themen/ukraine