Porträt

Keine klassische Karriere

Wenn es um Bildung geht, macht ihm niemand was vor: Albert Studer war 13 Jahre lang als Berufsberater tätig  und hat auch selber einen Parcours, der einen guten Teil der Schweizer Bildungslandschaft umfasst.

Albert Studer, Sie haben an der Uni Freiburg studiert – aber nicht auf direktem Weg, wenn man so sagen kann.

Man kann. Nach der obligatorischen Schulzeit begann ich zuerst die Ausbildung am Lehrerseminar. Ich musste allerdings nach einem knappen Jahr abbrechen, Klavier und Blockflöte lagen mir ganz und gar nicht. Mangels besserer Ideen habe ich dann eine Schreinerlehre absolviert – und danach am Collège die Matura nachgeholt. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.

Das Nachdenken hat Sie an die Unifr geführt, zum Studium der Heilpädagogik.

Nicht das Nachdenken, nein (lacht). Ich habe nach der Matura für die Stiftung «Les Buissonnets» gearbeitet und dort meine künftige Frau getroffen, eine Praktikantin, die an der Uni Heil- und Sonderpädagogik studieren wollte. Also habe ich mich auch eingeschrieben. Hinzu kam, dass die Universität für mich die einzige Möglichkeit war, um studieren zu können, da ich nebenbei 80 Prozent arbeiten musste. 

Nach einem Jahr Arbeit als Heilpädagoge zog es Sie in die Jugendarbeit. Später leiteten Sie den Verein für aktive Arbeitsmarktmassnahmen. Dafür haben Sie erneut die Schulbank gedrückt und einen CAS in BWL für Führungskräfte gemacht.

Die Jugendarbeit hat mir sehr gut gefallen – sie hat mich aber auch beschäftigt. Ich habe viele Jugendliche kennengelernt, die Schwierigkeiten hatten, ihren Weg zu finden. Als ich dann erfahren habe, dass mein ehemaliger Berufsberater in Pension geht, hat der Funken wieder gezündet.

Sie wurden Berufs- und Laufbahnberater beim Kanton Freiburg.

Ich hatte Glück, diese Stelle zu kriegen. Ich war ja nicht ausgebildeter Berufsberater. Mit meiner Erfahrung in der Jugendarbeit und dem Diplom als Heilpädagoge konnte ich den Kanton überzeugen. Ich habe die Stelle angetreten und einen Master gemacht in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung an der ZHAW.

War dieser Wechsel ein Kopf- oder ein Bauchentscheid?

Es war beides. Mit meinen mittlerweile 42 Jahren und als mehrfacher Vater wusste ich, dass ich diesen Jugendlichen etwas mit auf den Weg geben konnte – nicht zuletzt durch meine eigenen Erfahrungen. Ich war damals ein grosser Fan des dualen Systems, für das die Schweiz ja bekannt ist. Also eine Lehre zu absolvieren mit dem Besuch der Berufsschule. Und danach, bei Bedarf, via Berufsmatura und Passerelle an eine Hochschule oder Fachhochschule.

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Ihre Formulierung lässt schliessen, dass Sie heute nicht mehr ganz so überzeugt sind von diesem dualen Bildungssystem?

Das duale System mit dem Verkaufsargument «Lerne Coiffeuse, werde Biologin» –  einst ein Werbespruch für dieses System  – macht keinen Sinn. Wir klagen über Fachkräftemangel und sagen, dass zu viele die Matura machen würden. Aber das stimmt nicht. Heute gibt es die Berufsmatura, die man während und nach der Lehre machen kann – und DAS machen viele. Und so finden wir Lehrabgänger_innen dann an der Uni oder an einer Fachhochschule, wo sie Physik studieren oder Lehrer_innen werden.

Sie sind auch ein Beispiel für dieses System: Lerne Schreiner – werde Berufsberater

Aber das System ist nicht mehr zeitgemäss. Wir sollten die Lehre an die heutige Gesellschaft, die heutigen Jugendlichen anpassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die «Ecole du Métal» für angehende Metallbauer_innen. Das erste Jahr der Ausbildung verbringen sie in der Schule mit Peers – das macht den Übergang von der obligatorischen Schulzeit in die Lehre viel einfacher.

Haben Universitäten an Attraktivität verloren unter den Jugendlichen?

Nein, viele möchten an die Uni – aber nicht alle erfüllen die Anforderungen am Ende der obligatorischen Schulzeit. Also versuchen sie es über die Lehre und die Berufsmatura mit anschliessender Passerelle.

Ist es durch die vielen Möglichkeiten nicht einfacher geworden für die Jugendlichen?

Jein. Heute stehen 240 Berufe zur Auswahl! Aber die Jugendlichen müssen sich zu früh entscheiden. Eine europäische Vergleichsstudie zeigt, dass Europäerinnen zwischen 17 und 19 die Berufswahl treffen, die unsere Mädchen hier zwischen 13 und 15 treffen sollten. Das Resultat: Mädchen wählen mehrheitlich unter 12 Berufen aus – von 240! Dabei weiss man: Bei den Mädchen stabilisiert sich die pubertäre Phase so mit 17, 18 Jahren – sie werden mutiger, entscheidungsfreudiger. Bei den Jungs dauert die Pubertät ja mitunter bis 50 (lacht).

Seit kurzem sind Sie Sektionschef bei der kantonalen IV-Stelle und leiten die Eingliederung von Jugendlichen ins Berufsleben. Diese Stelle vereint Vieles, das in Ihrem Curriculum vorkommt.

Ich möchte keine meiner Erfahrungen missen und denke, dass ich damit gut aufgestellt bin für diese neue Herausforderung. Ich sehe den Sinn der Massnahmen, die wir bei der IV anwenden – seit Anfang 2022 gibt es neu die Frühintervention ab 13 Jahren – und ich kann abschätzen, wann welche Unterstützung Sinn macht.

Und der Schreiner in dem Ganzen?

Gerade heute hat mir jemand gesagt er sei froh, dass ich einen handwerklichen Background habe – und nicht nur einen Universitätsabschluss in der Tasche.